Motorradtouren Rumänien Oltenien | West-Walachei

Târgu Jiu Zwangsaufenthalt in einer rumänischen Großstadt

Der Brâncuși-Skulpturenpark mit mächtigem Eingangsportal aus Stein

Târgu Jiu befindet sich in der Region Oltenien, benannt nach dem Fluss Olt, dem wir noch öfters begegnen werden. Hier im Süden Rumäniens ist der Olt ein großer Strom, aber Tage später und ein ganzes Stück nördlicher wird er uns als gerade erst entsprungenes Bächlein auf unserem härtesten Offroadritt durch Karpaten- und Bärengebiet im Harghita-Gebirge den Weg weisen.

Ein Geistlicher möchte hinter einem Lieferwagen die Straße in Târgu Jiu überqueren
Mann trinkt Wasser aus einem Brunnen an der Straße

Oltenien ist die kleinere, westliche Hälfte der bei uns sprichwörtlichen Walachei. So öde, wie man sich die Walachei in der Regel vorstellt, ist Oltenien jedoch in keinster Weise. Das Gebiet zwischen Donau, Olt und den Südkarpaten ist abwechslungsreich mit Weinbergen und Thermalbädern gespickt.

Eigentlich wollten wir etwas raus aus der Stadt Târgu Jiu, aber die Gegend ist mit Möglichkeiten zur Übernachtung nicht gepflastert und da es schon spät ist, beschließen wir, uns für eine Nacht in dieser wuseligen Großstadt ein Quartier zu suchen.

Wir steuern das Hotel Hotel Anna junior* an. Die Preisverhandlungen an der Rezeption verlaufen eigenartig: man hätte nur noch ein Appartement, jedoch für 490 Lei (rund 120 Euro). Dafür kriegen wir anderswo ein Zimmer für fünf Tage. Die Dame meint, sie hätte in einer Dependance ein Doppelzimmer und fragt, welchen Preis wir denn zu zahlen bereit wären. So läuft das hier also – man nennt uns einen Preis, wir nennen ihr einen Gegenvorschlag und sollten wir dem ursprünglich angemessenen Preis für das Zimmer sehr nahe gekommen sein, bekommen wir das Zimmer.

Was meint er mit
"Das gefällt mir jetzt gar nicht...?

Gut, dass es nur für eine Nacht ist. Die brettharte Matratze ist ein Folterinstrument für meinen steifen Hals und die ohnehin verspannten Rückenmuskeln. 29° C, nächster Vormittag. Die Straßen Richtung Südkarpaten sind von den typischen Häuschen gesäumt. Die niedrigen, einstöckigen Häuser besitzen eine geschwungene Fassade mit maximal zwei Fenstern im Erdgeschoss. Ein weiteres Stockwerk existiert nur als Spitzboden.

Überdachter runder Hausbrunnen steht auf einer Wiese

Links und rechts der Straße befindet sich ein Graben, der zu den Häusern hin in Spurbreite überbaut ist, so dass man auf das Grundstück gelangen kann. Ein Muss für die Kommunikation und den Feierabend scheinen die Bänke zu sein: Mindestens ein Bänkchen vor jedem Grundstück, manchmal auch links und rechts der Einfahrt je eines, das ist Usus. Entweder im eingezäunten Grundstück oder vor dem Gartenzaun befindet sich außerdem fast immer ein Ziehbrunnen. Natürlich müssen wir einen der tausend Brunnen fotografieren und halten etwas außerhalb einer Ortschaft an.

Jochen dreht danach den Zündschlüssel ... nichts... dreht ihn noch mal ... Was meint er mit "Das gefällt mir jetzt gar nicht ..." ?

Das Mopped hat keine Zündung mehr. Na super. Mittlerweile 32° C und wir in der Sonne mit einer Kuh, die nicht mehr laufen mag. Also okay, die Q den kleinen Schotterweg hinaufgewuchtet, wo Bäume Schatten spenden. Der Übeltäter ist schnell gefunden: das Kabel zum Zündschloss. Vermutlich ein Kabelbruch. Jochens Versuche, das Ganze mit Klebeband zu fixieren, scheitern. Bei jeder Linksbewegung geht der Motor aus. Links – fährt. Rechts – fährt nicht. Ab sofort nur noch Rechtskurven. Das wird mühsam!

Nach zwanzig Minuten gesellt sich Claudiu zu uns. Claudiu bewohnt mit seiner Familie das Haus, vor dem wir uns häuslich eingerichtet haben. Er will uns gern behilflich sein. Soweit wir uns verständigen können – er spricht nur rumänisch – gibt es in der Nähe keine Werkstatt oder zumindest keine, die uns helfen könnte.

Defektes vollbepacktes Motorrad steht inmitten einer Schafherde
Zwei Männer sitzen an Gartentisch und warten auf den Abschlepper

Er telefoniert und organisiert, dass jemand kommt, der unser Mopped abholt und nach Târgu Jiu zurückbringt. Ein LKW mit "Plattform", soviel verstehen wir – also vermutlich oder hoffentlich ein Pritschenwagen. Der ACR, der rumänische Pendant zum ADAC, wird verständigt. Ich rufe in der Zwischenzeit Johann, den Mann meiner rumänischen Kollegin, an. Das Handy wandert zwischen mir und Claudiu hin und her. Wohl dem, der beide Sprachen spricht.

Wir stehen mit Claudiu auf dem Weg und versuchen verzweifelt seinen (für uns) kryptischen Hilfsangeboten zu folgen. Hier trifft die Moderne das Althergebrachte: Jochen sitzt mit dem Laptop im Gras neben dem Mopped, um Betriebsanleitungen und Pläne zu studieren, als eine Herde Schafe mit einem Esel mittendrin an uns vorbeigetrieben wird. Allen voran ein Pferdewagen. Auf der einen Seite im Gras ein schwitzender Goretexjünger mit Laptop auf dem Schoß, dazwischen die BMW und auf der anderen Seite eine blökende Schafsherde mit freilaufendem Esel.

Der Pritschenwagen wird noch etwas auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit bewirten uns Claudiu, Luci und Jana (Schanna gesprochen – aber wie wird es geschrieben?) im Garten mit lebensgeisterweckenden Kaffee (obwohl ... Aufregung hätten wir genug!) und Mineralwasser. Die Oma, Jana, holte ein Buch mit dem Titel "Englisch vom Professor" – "Inglesia hanna professor".

Drei Handwerker sind nach unserer Panne mit neuen Fenstern den Berg heraufgeschaukelt und flexen gerade die alten Fenster in der Veranda heraus. Sie haben ihren Spaß dabei, ständig zu messen, einzusetzen, wieder zu messen, wieder nachzubessern, wieder zu messen. Mit Jana übe ich das Zählen bis Zehn auf Rumänisch und sie mit mir auf Deutsch. Mittlerweile hat Luci die elfjährige Petruska von der Schule abgeholt, die dort englisch lernt. So wird sie in der letzten halben Stunde unsere Dolmetscherin.

Ein Mann verstaut auf dem Abschleppwagen die Motorradkoffer

Der Fahrer kommt mit einem Abschleppwagen... Gelb isser. Eine Pritsche hat er. Aber für ein Motorrad ist er eigentlich nicht wirklich eingerichtet. Ich darf gar nicht hingucken. Wie sie die Q da zu dritt rauf bugsieren. Wenn die jetzt runterfällt! Der Fahrer lässt sich den Defekt beschreiben und telefoniert mit der Zentrale. Johann ruft wieder an und fragt nach dem Stand der Dinge. Wiederum geht das Handy hin und her.

Also dann, die "Bigturtle" ist aufgeladen, sie wird mit breiten Gurten festgezurrt, die Koffer und Taschen sind am Motorrad verblieben. (Das Foto entstand erst, als die Q in der Werkstatt war und man uns mit den Koffern nur noch ins Hotel chauffierte). Hätte auch echt Probleme gemacht, das Gepäck in das kleine Führerhaus mit reinzunehmen. Zwei Helme und zwei Jacken reichen schon. Ich sag noch zu Jochen: Gottseidank ist die Straße bis nach Târgu Jiu relativ gut. So ist die Hoffnung größer, dass unser Reisegefährt auf der Ladefläche stehenbleibt. Wir treten die Fahrt mit einem Strauß Buntnelken auf dem Schoß an. Die Blumen brachte mir Petruska als Gegengeschenk für einige Tütchen Gummibären, die ich ihr in die Hand drückte.

Nein, wir schauen nicht nach hinten.
Nicht an die Fliehkraft denken!

Der Abschleppwagen knarzt und knackt wie ein Vehikel aus dem letzten Jahrhundert. Der Vergleich hinkt nicht mal. Wir weigern uns standhaft, unseren Bedenken nachzugeben. Nein, wir schauen nicht nach hinten. Der Fahrer schon. Genau so oft wie er mit "Cheffu" telefoniert. Und er telefoniert oft! Die größte Herausforderung für TURTLES Standfestigkeit sind die Straßen, Kurven und Kreisverkehre von Târgu Jiu. Bloß nicht an die Fliehkraft denken!

Großes weißes Gebäude an einer Straßenkreuzung mitten in Targu Jiu

Der Fahrer ist sich der Gefahr wohl bewusst, denn wenn möglich schneidet er die Kurven und Kreisverkehre. Halt durch, BIGTURTLE! Abschließend erwartet uns als Krönung die Beton-Piste des Gewerbegebiets. Stoßgebete in inflationärer Anzahl. Unsere Schutzengel fahren wieder Doppelschicht.

Ein BOSCH-Service. Aufatmen. Keine rumänische Hinterhofwerkstatt. Sofort sind drei Leute auf der Pritsche und begutachten den Defekt. Unsere TURTLE funktioniert wie ein Blinker: geht – geht nicht – geht – geht nicht. Ein anderer Bosch-Kunde meint lachend ob der Geschäftigkeit um die immer noch auf dem Abschlepper festgezurrten BMW: „Kaputt? Musst Du neue kaufen!“ Das Ersatzteil kann in Deutschland bestellt werden. Ein Freund sucht die Teilenummern raus, gibt sie uns telefonisch durch und der ADAC veranlasst den Transport per Flieger nach Rumänien. Wir werden Târgu Jiu noch etwas länger erhalten bleiben.

Unsere Motorrad-Koffer werden auf der Pritsche festgezurrt und der Fahrer bringt uns zum Hotel Europa*. Wir schleppen die Motorradklamotten und die Koffer hinein, mitten durch den Freisitz des Restaurants. Als wir schwerbepackt die zwei Stufen vor dem Hoteleingang hochgehen, gibt es einen riesigen Rummmms – Jochen übersieht die zweite Stufe. Die Schwerkraft fordert ihren Tribut. Unsere Helme, die er in der Hand hatte, schießen die geriffelte Terrasse entlang und hinterlassen einen metallischen Silberstreifen auf dem dunkelbrauen Boden. Restaurantgäste schauen sich erschrocken nach uns um. Jochen rappelt sich schnell wieder auf. Nix passiert, nur den Ellbogen scheint etwas angeschlagen. Hätte er die Motorradjacke getragen, wär’ vermutlich nichts passiert – aber bei 34 Grad ...

An der Rezeption gibt es zwischen Fahrer und Rezeptionistin einen langen Disput, der in einem Telefonat gipfelt. Vermutlich ist kein Zimmer frei. Nach zehn Minuten Disput beziehen wir dennoch eines. Wir wollen dem Fahrer noch ein kleines Trinkgeld in die Hand drücken, er lehnt es jedoch standhaft ab. In einem Land, in dem die Korruption herrscht wie in keinem anderem europäischen Land; wo man laut Reiseführer und den Berichten von Arbeitskollegen nicht zum Arzt gehen kann, ohne ein angemessenes Geschenk dabeizuhaben, verwundert es, dass unsere kleine Aufmerksamkeit abgewiesen wird.

Wir telefonieren mit der netten Șandra vom rumänischen Automobil Clubul Romania in Bukarest ein letztes Mal vor deren Dienstschluss um 17 Uhr und hoffen, dass alles soweit in die Wege geleitet ist. Der Bosch-Service versucht, das Teil provisorisch zu reparieren, sie schicken uns sogar über den ACR Fotos des ausgebauten Teils – gut, dass wir im Hotel Internetzugang besitzen.

Plan B, falls die Ersatzteile nicht kämen

In Deutschland tüftelt unser Freund derweil schon an Plan B für unsere Weiterfahrt, falls die Beschaffung des Ersatzteils Probleme machen würde und zu lange auf sich warten ließe. Schickt uns also Verkabelungszeichnungen, erklärt uns per Skype, welches Kabel für was gut ist und welche man im Notfall mit welchem kurzschließen und wo man einen Notschalter einbauen könnte. Und da es uns schwerfällt, dies einem oltenischem Bosch-Elektriker in seiner Muttersprache zu verklickern, liefert uns Viktor auch gleich noch per Email die Umbau-Anweisungen mit detaillierten Fotos in Deutsch und Rumänisch. Wie Diebe sollten wir im Notfall die Maschine kurzschließen.

Ich bin unschuldig.

„Ich bin unschuldig!“ Das ist der entscheidende Satz, den Michael Martin als Jugendlicher in arabisch während einer seiner ersten Fernreisen auf einen Zettel gekritzelt hatte. Nur für den Fall, er würde eines Verschuldens angeklagt. Wir brauchen also einen Schein auf rumänisch: „Wir sind unschuldig!!“ Und vor allem: „Das Motorrad gehört uns! Und vor allem: "Das Motorrad gehört uns!"

Ich hatte vor der Tour noch mit dem rumänischstämmigen Arbeitskollegen gesprochen, dass wir gern ein paar Sätze in Rumänisch übersetzt haben wollten, aber in der Hektik der letzten Arbeitstage ist das untergegangen. Wir sehen uns schon geblendet von gleißenden Schreibtischlampen im hochnotpeinlichen Verhör, falls uns die Polizei mit einem kurzgeschlossenem Motorrad anhält und ein Diebstahldelikt vermutet. Falls wir uns einen solchen Notschalter einbauen lassen, werden wir also eine Unschuldsbescheinigung anfordern.

Der Flieger, der unserer Ersatzteil bringt, soll um dreizehn Uhr in Bukarest landen und dieses dann durch einen Kurier nach Târgu Jiu gebracht werden. Falls wir viel Glück haben, wird unsere Big Turtle noch am Freitag abend wieder flott gemacht. Mal sehen, wie groß unser Glücksvorrat noch ist ... Ist er so hoch wie die Anzahl der Mücken in unserem Zimmer, kann es bald weitergehen.

Kleiner weißer Keramik-Schutzengel mit einem roten Herz in der Hand

Wir sind nicht abergläubisch. Echt nicht. Dass unser kleiner Keramik-Schutzengel, den wir vor drei Jahren von einem Freund als Tour-Begleiter geschenkt bekamen, plötzlich nur noch einen Flügel hat – sollte uns das was sagen? Beim Einpacken waren beide Flügel noch dran. Wir werden ihn wohl auf's Altersteil schicken und eine Anzeige aufgeben: "Suche neuen Schutzengel."

Vormittags hören wir von Bukarest, dass der Flieger schon gelandet ist, und das Ersatzteil nach Târgu Jiu gebracht wird. Das klingt vielversprechend. Wir sehen uns schon nachmittags bei 35° C vollbepackt gen Karpaten düsen. Die Hitze ist unbeschreiblich. Zwei Tage vor unserer Abfahrt zeigte das Thermometer in Deutschland 8° C und jetzt schwitzt ganz Europa bei mind. 30° C. Bei diesen Temperaturen in Motorradklamotten ist schon Mist, aber egal bei welchen Temperaturen ohne Motorrad – das ist echt Sch ...

Wild verlegte Stromleitungen am Verteiler außen an einem Haus in Targu Jiu

Wir schlagen die Zeit tot, indem wir uns aufraffen, die Gegend per pedes zu erkunden. Zuerst das nahe Stadtzentrum. Die Stadt besteht aus Häuserschluchten mit unscheinbaren, mehrstöckigen Häusern, nur einige wenige Gebäude stechen mit ihrer Pracht aus dem Einheitsbrei heraus.

Fotos von rumänischen Städten geben neben den mehr oder weniger sehenswerten Gebäuden auch den Einfallsreichtum sowie die Improvisationskunst der Elektriker wieder. Man nehme ein paar hundert Meter Kabel, ziehe es von A nach C und wieder zurück nach B und wenn noch Kabel übrig ist, wickle man es einfach auf und binde es an den Strommast. Man weiß ja nie, für was es gut sein könnte. Die Rumänen sind wahre Kabelkünstler – tja, es ist einfacher und billiger, die Kabel zu Dutzenden gebündelt über die Straßen zu ziehen als sie unterirdisch zu verlegen. Aber wehe, wenn ein Unwetter die Masten beschädigt. Wir werden in den Folgetagen noch oft feststellen, dass kurze bis zu einstündige Stromausfälle rumänische Normalität und kein Grund zum Aufregen sind.

Mädchen trinkt an einem Wasserspender an der Hauptstraße in Targu Jiu

Überall in der von Ceaușescu zwangsmodernisierten Stadt befinden sich Trinkwasserspender, die bei der Hitze rege von den Passanten zum Trinken und Erfrischen genutzt werden. Die orthodoxe Religion ist allgegenwärtig, wenn man sieht, wie sich jeder Gläubige, der an einer Kirche oder Kapelle vorbeiläuft, geflissentlich bekreuzigt. Das Wahrzeichen der Stadt ist der Skulpturenpark mit der Säule der Unendlichkeit, dem Tisch der Stille und dem Tor des Kusses, unter dem sich die Paare tatsächlich alle küssen. Er wurde von dem Bildhauer Brâncuși geplant und eingerichtet. Unter dem schattenspendenden Blätterdach des Parks vertreiben sich Dutzende rumänischer Männer die Zeit bei Schach und Backgammon. Familien mit Kindern, Rentner und junge Leute suchen die Kühle des Parks und ruhen sich auf den Bänken aus, unterhalten sich oder tippen auf ihren Handys herum. Selbst der Streife laufende Polizist telefoniert eifrigst mit seinem Handy.

Unter dem schattenspendenden Blätterdach des Parks vertreiben sich Dutzende rumänischer Männer die Zeit bei Schach, Dame und einem Spiel ähnlich Backgammon. In Rumänien nennt man es Tabla, in der Türkei heißt es Tavla. Womit wir bei der Sprache wären. Viele Wörter haben eine eindeutige Verwandschaft zum Türkischen, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass bis Anfang des 18. Jahrhunderts in Oltenien die Osmanen herrschten. Die rumänische Sprache ist als einzige Sprache der ehemaligen Ostblockstaaten nicht slawischen, sondern romanischen Ursprungs.

Aber gewöhnungsbedürftig ist manchmal die Aussprache. Nehmen wir den Bildhauer Brâncuși. Suchen wir nach der Straße "Strada Brâncuși", fragen bei einem Rumänen danach, und sprechen den Namen so wie man ihn schreibt, erntet man verständnislose Blicke. (Das s ist allerdings ein diakritisches Zeichen, es hat ein kleines Häkchen am Fuß und so wird es wie "sch" gesprochen). Gut, sagen wir also "Brankuschi" – noch immer blickt das Gegenüber fragend. Ach, wir vergaßen, dass auch das A ein Dächlein hat. Scheibenkleister – also Brönkuschi... Immer noch nix? Nein, denn das "i" muss auch noch weg – Brönkusch... jetzt haben wir gute Chancen, die Straße zu finden.

Männer stehen hinter Auto mit Sarg auf dem Dach
Gasse in Targu Jiu mit Sargtischlern, Kreuzschnitzern und Totengewandschneider
Sargtischlerei mit blauem Auto in Rumänien

Während wir auf der einen Seite des Hotels sofort in das Großstadtgewühl eintauchen, finden wir uns auf der Rückseite schon nach hundert Metern in einer ruhigen Gegend mit kleinen Einfamilienhäuschen wieder. Wir landen in einer kleinen Straße, dessen Geschäfte alle mit dem Tod zu tun haben.

Fünf Meter über dieser Straße und den Häusern wurde eine Hochstraße gebaut, dessen breiter Betonüberbau die Gegend in ein schummriges Dämmerlicht taucht. Die Auffahrtsrampe nähert sich den Häuserdächern bis auf zwei Meter. Man hat das Gefühl, in einer schmalen Gasse unterwegs zu sein. Die Lichtverhältnisse sind den Gewerken angepasst, denn die Geschäfte und Handwerker haben hier alle mit dem Tod zu tun. Linkerhand entziffern wir über einem Geschäft das Schild "Executor" – der Vollstrecker? Unserer Phantasie geht mit uns spazieren. Keine Ahnung, welcher Art das Handwerk ist, dem der Inhaber dieses Ladens nachgeht. Danach folgt (chronologisch angeordnet – oder?) der Sargtischler und die Kreuz-Bildhauer.

Das Ganze findet man in einer Gasse mit einem betonierten Straßengraben und man fühlt sich ins vorletzte Jahrhundert versetzt, wäre da nicht so viel Beton und stünden da nicht nagelneue deutsche Autos neben verbeulten und verrosteten Schrottkarren. Unter der Schnellstraße hat ein Rumäne gerade einen Sarg auf den Dachgepäckträger seines Wagens geschnallt. Im Fond des Wagens stapeln sich Dutzende Weißbrote bis zur unteren Fensterkante. Sicher hat er den Sargkauf mit dem Einkauf für's Totenmahl verbunden. Ein Aufsteller wirbt für sakrale Holzkunst, Holzsärge und Holzkreuze.

Fussgänger-Bahnübergang heisst ...
dass die fussgänger über die bahn gehen
Mädchen klettert über Wagon von Eisenbahn

Wir gelangen an einen Fußgänger-Bahnübergang. Eigentlich besteht er nur aus ein paar unförmigen Betonplatten zwischen den Gleisen. Als wir näherkommen, rollt ein ewig langer Güterzug ein und die letzten Waggons halten genau vor unserer Nase.

Wir witzeln noch, dass der Abstand zwischen den Wagen hoch genug wäre, dass man locker unten durchkriechen könnte, oder man könnte über die Plattform klettern ... als der erste Passant über zwei hohe Stufen eine Plattform am Ende eines Tankwagens erklettert hat und auf der anderen Seite nach unten steigt. Echt? Macht man das hier so? Und was ist, wenn der Zug losfährt? Nee, nee, da sind wir Schisser...

Zwei Mädels im Alter von vielleicht dreizehn Jahren beobachten die anderen Fußgänger genau. Und wollen auch gern rüber. Die erste rafft nach einiger Bedenkzeit allen Mut zusammen und klettert auf den Tankwagen hinauf. Die zweite ist etwas kleiner und zögert lange, ihrer Freundin zu folgen und die erste, in Brusthöhe befindliche Stufe in Angriff zu nehmen. Als sie oben ist – ruckt der Zug an. Wie erwartet. Aber sie schaffte es heil drüben wieder herunter. Gott sei Dank.

Transsilvanien
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