Motorradtour an der Schwarzmeerküste | Schnelldurchlauf


Was unterscheidet die Schwarzmeerküste von der Mittelmeerküste?
Die Abwesenheit von Pauschaltouristen. Und was noch? Der Regen.
Ersteres können wir uneingeschränkt bestätigen. Letzteres, der Regen, muss jedoch eine urbane Legende sein! Ist der berühmtberüchtigte Regen der Schwarzmeerküste vielleicht ein Schreckgespenst, um einfallsreiche Hotelarchitekten von der Gegend fernzuhalten und unliebsamen Pauschaltouristen gar nicht erst eine Chance zu bieten, ihr Handtüchlein auszulegen ??? Oder sollten wir einfach nur ein unbändiges Glück gehabt haben?
Man kann jedoch davon ausgehen, dass es hier 10°C kälter ist als am Mittelmeer. Im Juni verbrutzelte es uns während der ersten Türkeitour fürchterlich. Temperaturspitzen von 45°C an der Mittelmeerküste und im Landesinneren. Die Koffergriffe selbst während der Fahrt so heiß, dass man sie ohne Handschuhe nicht anfassen konnte. Und wir mittendrin in Gore-Tex-Klamotten. Nein, in Gore schwitzt man nicht, auch so eine urbane Legende.
Dieses Mal sollte es uns im Mai besser ergehen. Anfangs waren wir sehr froh über die vielen Tankstellen, die uns mit heißem Çay und auch mal einem holzbeheizten Bollerofen etwas Leben einhauchten.
Klug, dass die Beste aller Sozias das Thermofutter in der luftdurchlässigen Sommerhose gelassen hatte. Die Mittelgebirge im westanatolischen Binnenland warten Anfang Mai noch mit einstelligen Temperaturen auf. Zwischenquartier nehmen wir in Tavşanlı, wo wir die Sensation in der Stadt sind.
Wildromantische Streckenabschnitte

Erstes Ziel: Zonguldak – Kohlenpott der Schwarzmeerküste. Zu Adnan und Nejla, die uns erwarten, müssen wir uns mit einer Polizeieskorte lotsen lassen: durch die landschaftlichen Gegebenheiten hätten wir keine Chance gehabt, sie allein ohne Karten zu finden. Die Polizei, dein Freund und Helfer.
Was wir allerdings trotzdem brauchen: ein gutes Fahrgestell, denn die Straßen sind strapaziös. Und die Polizei bräuchte dringend neue Stoßdämpfer. Die quietschen wie ein alter Drahtesel!
Amasra ist das Kleinod dieser Küste. Ein Städtchen mit bewegter Vergangenheit in exponierter und fotogener Lage. Das Ausflugsziel der Wochenendausflügler aus Istanbul und Ankara – am Samstag geht hier der türkische Bär ab. Ein Kellner grinst heimtückisch und freut sich wohl auf das angeekelte Gesicht der Touristin, als er Iskembe Corbasi serviert – er weiß nicht, dass ich Kuttelsuppe mag. Unser Hotel hält sich einen hauseigenen Reiher am Hotelpool.

Wir lassen uns einfach an der Küste entlangtreiben. Im Schnitt 300 Kilometer Tagesetappe. Es ist sonnig, aber kühl. Der Hauch des Çays an den Tankstellen kondensiert vor blauem Himmel. Ab Inebolu wird die Straße breiter, die Schlaglöcher weniger, die anliegenden Städte größer, die LKWs abenteuerlicher und der Verkehr dichter. Unsere "Big Turtle" muss ganz schön arbeiten (und unser Schutzengel), wenn auch das schönste-schlimmste Stück bis Inebolu überstanden ist.
Sinop. Ordu. Trabzon. Breiter Küstenhighway mit wenig Flair. Kilometerfresserei. Sinop ist noch ganz schön, aber der weiteren Strecke bis Trabzon können wir nicht viel abgewinnen. Aber wir haben uns vorgenommen, mindestens bis Trabzon zu fahren. Die menschlichen Begegnungen sind immer wieder erfrischend und machen die Tour trotz Kilometerfresserei zu einem Genuss.
Die Ampeln sind mit Sekundenanzeigen ausgestattet, die anzeigen wie lange es bis zur nächsten Grün- oder Rotphase dauert. So weiß der LKW-Fahrer, der sich zum Beifahrerfenster wirft, es herunterkurbelt und uns begeistert erzählt, welches Motorrad er fährt, ganz genau, welche Zeit er für die Konversation mit uns noch hat.

An manchen Ampeln passiert uns folgendes: Die Ampel schaltet auf Grün, wir fahren los und alle anderen bleiben stehen... Hmmm? Wir erklären es uns nur so, dass die hinter uns wie paralysiert auf das große, vollbepackte Motorrad starren und dabei das Losfahren ganz vergessen.
Das Kloster Sumela, das wie ein Adlernest im nordostanatolischen Felsen hängt, lässt uns unsere nichtvorhandene Kondition spüren. Wir hätten gern noch etwas weiter gewollt, einmal bis an die georgische Grenze, dann ins Kaçkargebirge und über Artvin zurück, aber der Abfahrtstermin unserer Fähre sitzt uns im Nacken – und dafür Kappadokien zu opfern, ziehen wir auch nicht in Betracht. Wir stecken also unser Zielfähnchen bei Trabzon in die Landkarte und touren von hier aus in die Umgebung.
Gebirgssee mit türkischem Alpenflair

Der Gebirgssee mit Alpenflair in Ostanatolien: Uzungöl. Übersetzt "langer See". Sieht aber eher aus wie ein südtiroler Naturbad mit Moschee.
Der Soganlipass hat es in sich. In Google Earth kann man sich den Pass schon mal anschauen. Besonders eindrucksvoll: in 3D. Dann schwankt das Gefühl zwischen "Muss-ich-unbedingt-fahren" und "Nee-lieber-nicht".
In der irrigen Ansicht, in über 2500 Metern Höhe garantiert wäre es knackig kalt, hatte ich das Thermofutter in der Hose gelassen ... Mir wurde jedoch heiß. Sehr heiß! Unser Schutzengel schwitzt auch barbarisch – aber das wissen wir nicht. Mit dem Wissen, wie es um ein Bauteil unseres Motorrads bestellt ist, wären wir gar nicht erst losgefahren. Aber dazu später ... Die Piste ist die heftigste, die wir je gefahren sind. Es ist zu früh im Jahr. Sie wird von Baufahrzeugen unterhalb 2000 Metern gerade wieder "geputzt", aber weiter oben liegt der Schnee noch in den steilen Kehren.
Siebenhundert Kilometer Gewaltfahrt. Entweder wir schaffen es und schlafen die nächste Nacht in Kappadokien, oder müssen noch einmal ein Übernachtungsgeld an einen zentralanatolischen Hotelier abführen. Der Hotelier geht leer aus. Die Polizei nicht. Übernachtungsgeld umgeleitet.

Kappadokien. Die zweite. Die Faszination vom ersten Mal hält an. Wir schlafen in Mustafapasa, einem kleinen Ort, der vom Tourismus noch nicht ganz so zerfressen wurde wie Ürgüp oder Göreme. Wieder kriechen wir durch unterirdische Gänge von halber Körperhöhe. Muskelkater in den Oberschenkeln ist gratis. Gut, dass Motorradklamotten einen hohen Abriebwert haben.
Der Tuz Gölü ist der salzigste See der Welt und der zweigrößste Binnensee der Türkei. Ein See, der je nach Wasserstand zwischen 1100 und 1600 qkm groß ist.


Im heißen Sommer 2001 ist er auch schon einmal komplett augetrocknet. Man hat uns prophezeit, das wir nicht viel sehen werden, aber DAS wollen wir selbst sehen ...
Eigentlich ist geplant, von Kappadokien aus in zwei Tagestouren zurück zur Fähre an die Ägäis zu fahren. Aber nach Studium der Straßenkarte machen wir drei Tage draus. Vorbei an erloschenen Vulkanen und Karawansereien, erreichen wir am ersten Tag Beyşehir am gleichnamigen See. Wir nehmen Quartier in einem Hotel. Uns wird ein Minizimmer zugeteilt, das uns Zweien einiges an räumlicher Koordination abverlangt.
Vor der Holzmoschee von Beyşehir verscherzen wir's uns mit einer türkischen Sockenstrickerin. Kein Platz im Koffer! Selbst meine eindeutige Pantomime überzeugt sie nicht. Einige Türkische Lira gehen dafür an den Imam der Moschee, der uns seine imposante Gesangsstimme vorführt. Die Tour auf dem Asphalt-Mosaik am Westufer des Sees macht Lust auf mehr. Nur ein paar Angler teilen sich diesen Uferabschnitt mit uns.
Wir nehmen ein weiteres Mal Quartier in Pamukkale Köy. Im Hotel "Melrose Allgäu" fühlen wir uns wie zu Hause, nicht nur des Namens wegen. Als unser Laptop-Akku für das Skypegespräch nach Hause nicht mehr ausreicht, setzt uns der Hotelier kurzerhand in sein Wohnzimmer neben die Steckdose. Eine überragende Gastfreundschaft, wie wir finden! Nach der dritten Tagestour erreichen wir Çesme.
Das Fährschiff liegt schon im Hafen. Ääähhh – lag schon im Hafen. Am nächsten Morgen ist es weg.
Weg?
Weg!
Auflösung folgt.