Motorradtouren Polen Von Nordost nach Südost bis Sandomierz

Ab in den Süden!

Hinweisschilder auf Entfernungen zu einzelnen Städten vor Haus in Polen

Polen ist ganz schön groß. Unser nächstes Ziel ist der äußerste Südosten mit den polnischen Waldkarpaten. Von Ryn bis in den Dreiländerzipfel mit den Waldkarpaten sind es 700 Kilometer. Deshalb versuchen wir uns heute bei dem opulenten Frühstück im Gosciniec Rynski Mlyn* bzw. im Schlosshotel Ryn nicht so lange aufzuhalten. Doch es fällt schwer! Die haben eine Auswahl wie im 5-Sterne-Hotel, Wahnsinn!

Petrus begegnet unserem Plan mit Wohlwollen. Je südlicher wir kommen, desto trockener und wärmer wird’s. Wir starten in Regenklamotten, aber verlassen das Regengebiet schon nach kurzer Zeit. Dunkelrote Kirschen am Straßenrand – eines meiner Highlights jeder Tour! Der Beste aller Fahrer dreht ungefragt um, als ich ihm ins Ohr säusele, dass die nette ältere Dame doch eine von vier ausgestellten Kirsch-Kilos loswerden möchte. Dicke, saftige Süßkirschen – Herz, was willst du mehr?

Motorradfahrer steht vor Backsteinhaus der Unterkunft in Ryn

Angesichts der geplanten Kilometer benutzen wir vorwiegend Schnellstraßen, die jedoch nicht mautpflichtig sind. Um Warschau herum herrscht eine aggressivere Fahrweise als im restlichen Land. Rechts überholen ist hier offenbar gang und gäbe. Besonders ätzend ist eine dreißig Kilometer lange Baustelle mit stockendem Verkehr. Keine Ahnung, ob es Einbildung ist, aber wir meinen, der Sprit ist im Südosten Polens billiger als im Norden. Und cool, manche Tankstellen werben mit FREE WIFI. Vor Sandomierz ändert sich das Straßenbild ein wenig. Die Landschaft wird bergiger. Wir sind nicht mehr die einzigen Motorradfahrer und sichten deutlich mehr zweirädrige Verkehrsteilnehmer als bisher. Am Straßenrand sitzen Menschen und bieten 500g-Gläser voller Blaubeeren zum Kauf an.

Wenn wir in den vergangenen Jahren in Ländern unterwegs waren, in denen Motorradreisende nicht gerade zum alltäglichen Straßenbild gehörten, war es ganz normal, dass wir ständig von Passanten angesprochen wurden. In der Türkei wollten wir uns damals schon eine Pappe mit den Antworten auf die fünf W's basteln: Wohin? Woher? Wie teuer? Wie schnell? Wie schwer? Und war mal keine Gelegenheit zum Ansprechen, dann wurde der Daumen gehoben, gewinkt oder gehupt. Dies ist hier in Polen anders. Keiner spricht uns an, winkt uns zu oder hupt. Wir deuten das so: Motorradfahrer sind entweder ganz normal oder man ist zurückhaltend und möchte uns nicht belästigen. Wobei, ganz stimmt das nicht, einmal wurden wir am Supermarktparkplatz angesprochen, aber mangels Sprachkenntnissen konnten wir uns mit dem Mann nicht verständigen. Aus diesem Grund fällt uns ganz besonders auf, dass hier, kurz vor Sandomierz, ein LKW-Fahrer wohlwollend nickend aus seiner Fahrerkabine auf uns herunter blinzelt.

Stadt mit „unterirdischer Touristenroute“
Zwei rote Autos stehen geparkt vor dem Marktplatz von Sandomierz

Obstplantagen soweit das Auge reicht. Kirschen, Pfirsiche, Aprikosen und Äpfel. Fast erinnert uns die Landschaft an Südtirol. Nur die hohen Berge fehlen. Hügelig ist es jedoch durchaus. Sandomierz (Sandomir) ist eine Stadt mit einer sehenswerten Altstadt, weswegen wir uns bei unserer Ankunft einfach mal hin zum Marktplatz orientieren. In dem kleinen Hotel Basztowy, gleich um die Ecke des Marktplatzes, kommen wir unter und so schlendern wir schon wenig später frisch geduscht durch die Altstadt. Der Marktplatz ist von Häusern aus der Zeit der Gotik, der Renaissance und des Barocks gesäumt. Mittendrin thront das Rathaus aus Backstein. Dahinter war heute anscheinend ein Markt. Schade, gerade baut der letzte Händler die Stangen seines Standes ab.

Ein schmaler Treppenaufgang mit Handlauf in der Stadtmauer
Kleiner grüner Kiosk in Torbogen eingebaut am Marktplatz von Sandomierz

Und schon ist auch die Stadtreinigung mit zwei Mann unterwegs, sie leeren die Mülleimer und sammeln liegengebliebene Abfälle wieder ein. Eins muss man den Polen lassen: es ist überall sehr sauber! Achtlos weggeworfener Verpackungsmüll ist die absolute Ausnahme, Kinder bringen ihr Eispapier zum nächsten Mülleimer, ohne dass die Eltern sie dazu auffordern müssen. Übrigens hatten wir den gleichen Eindruck auch im Baltikum, in allen dreien der baltischen Staaten. Um den Marktplatz scharen sich zahlreiche Restaurants und Cafés.

Nach einem Rundgang überlegen wir, ob wir morgen früh nach einem Late-Check-Out fragen und nach dem Frühstück versuchen, eine Führung in den geheimnisvoll angepriesenen „Kellern der Stadt“ mitzumachen. Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts brachen hier immer wieder Straßen ein und Fuhrwerke versackten in unheimlichen Löchern. Als man der Sache auf den Grund ging, wurden längst vergessene Keller gefunden. Unter den Häusern befinden sich weit verzweigte Stollen, im 16. Jahrhundert gebaut, als die Stadt zu einer wichtigen Handelsstadt zwischen Krakau und Danzig aufstieg. Man lagerte darin Weinfässer, Lebensmittel, aber auch andere Handelsgüter. Unsere Recherchen im Internet zu „Unterirdischen Touristen-Route“ ergab, dass es wohl nur polnischsprachige Führungen gibt und ein mancher das Ganze auch nicht so übermäßig interessant fand. Also nehmen wir das gar nicht in Angriff, noch dazu, wo uns die Waldkarpaten locken, dessen rumänischer Teil uns vor einigen Jahren ungemein begeistert hat.

Waldkarpaten
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