Die Region, die aussieht wie ein Gulaschkessel

Bei der heutigen Fahrt zum Glatzer Bergland soll Schluss sein mit dem Gezuckel. Schnellstraßen sind das Mittel der Wahl, zumindest für etwa die Hälfte der Strecke. Zu sehen gibt’s eh' nicht viel. Um Katowice herum Kohleabbau und Industrie. Auch Gleiwitz (Gliwice) umfahren wir achtlos ganz am Rande, ohne nach dem Funkturm Ausschau zu halten, der mit seinen 110 Metern die höchste Holzkonstruktion der Welt ist und der durch seine Rolle in der Geschichte des II. Weltkriegs bekannt wurde. Die Deutschen fingierten am Turm einen polnischen Überfall auf den schlesischen Sender und konstruierten so einen Grund für den Überfall auf Polen.

Das Oppelner Land ist trocken, die blühenden Gräser der Wiesen sind so gelb wie die Weizenfelder. Die ersten sind schon abgeerntet. Die Büsche und Pflanzen am Wegesrand lassen ihre Blätter traurig hängen. Es scheint schon längere Zeit keinen Regen gegeben haben. Kurz nach Gleiwitz ist uns das erste zweisprachige Ortsschild aufgefallen. Im Oppelner Land lebt die größte deutsche Minderheit im Land. Über 150.000 Menschen dürften es heutzutage sein, die deutsche Wurzeln haben und den Dialekt Wasserdeutsch sprechen. 1945/1946 wurden die meisten Deutschstämmigen vertrieben sowie in Lager deportiert. Wer blieb, und das waren 500.000 Menschen, war meist mit einem Polen verheiratet oder wurde schlicht als Arbeitskraft gebraucht. Sie wurden geduldet, ihr Deutschsein musste jedoch versteckt werden. Die Obrigkeit wünschte eine Assimilierung, was bis zu den Namen ging, die verpolnischt wurden. Seit der Wende 1989 wird die deutsche Kultur wieder gepflegt, was sich unter anderem in zweisprachigen Ortsschildern zeigt.
Sucht man das Glatzer Bergland bzw. die Grafschaft Glatz, wie es auch genannt wird, auf der Karte, muss man an der südlichen Grenze zur tschechischen Republik nach einer großen Ausbuchtung ins tschechische Gebiet suchen. Es schaut aus wie ein großer Gulaschkessel, der ins Tschechische hineinragt. Das Glatzer Bergland ist ein relativ ebener Kessel, umgeben mit lauter kleinen Gebirgen. Im Uhrzeigersinn genannt, umkränzen den Kessel erst im Osten das Eulengebirge, dann das Reichensteiner-, das Glatzer Schneegebirge, das Bielen- sowie das Habelschwerdter Gebirge, bekannt ist auch das Adlergebirge sowie das markante Heuscheuergebirge, womit wir im Nordwesten angekommen sind. Die Region wurde im 12. und 13. Jahrhundert von Deutschen besiedelt und gedieh wegen seiner günstigen Handelslage zwischen Böhmen, Mähren und Schlesien hervorragend. Im Jahr 1945 wurden allerdings alle deutschen Einwohner vertrieben und durch polnische Siedler ersetzt, die ihrerseits auch Vertriebene waren, da sie aus Gebieten stammten, die man an die Sowjetunion abgeben musste.
Türmchen, Basteien und windschiefe Häuschen


Die Stadt Bystrzyca Klodzka (Habelschwedt) laufen wir als erstes an. Unser Reiseführer nennt sie ein mittelalterliches Städtchen, über der Nysa Kłodzka (Glatzer Neiße) thronend, mit Türmchen, Basteien und windschiefen Häuschen. Die Silhouette ist auch vielversprechend, als wir jedoch durch die Stadt tuckern, können wir ihr nicht viel abgewinnen. Heruntergekommene Häuser in Straßen ohne Flair. Die Stadt ist fast menschenleer. Klar, es ist Sonntag. Aber irgendwo gibt es am Rynek, in der Altstadt, bestimmt ein Cafè. Doch auch eine viertelstündige Rundfahrt erschließt uns keine Möglichkeit für einen gemütlichen Kaffee am Nachmittag. Okay, wir kommen in zwanzig, dreißig Jahren wieder, dann sind die alten Häuser bestimmt schön renoviert und es gibt einige Bars und Restaurants, von dessen Freisitzen aus man die noch immer teils etwas renovierungsbedürftigen Gebäude länger betrachten kann. Und dann stöhnen wir: Mensch, was war das noch ruhig damals, wo alles noch so herrlich marode war und noch kaum ein Tourist die Stadt besucht hat. Bystrzyca Klodzka ist das Český Krumlov der Zukunft. Wer dieses tschechische Städtchen im Süden Böhmens kennt, der weiß, was wir meinen.
Im Ort Sienna beginnen wir mit der Unterkunftssuche. Zwar herrscht kein solch nerviger Trubel wie in Zakopane und Szczyrk, doch Sienna würde man in erster Linie als künstliches Übernachtungsdorf bezeichnen und irgendwie können wir uns dafür nicht so recht erwärmen. Hotels und Pensionen scharen sich locker um eine Liftanlage. Alpenländische Pensionen oder riesige, verglaste Appartementbunker in einem Resort. Wir wenden und fahren ein Stückchen weiter. In einer Pension im kleinen Dorf Janowa Gora (Johannesberg) oben am Berg macht niemand auf als wir klingeln. Wer weiß, wofür es gut ist. Eine weitere, ebenso etwas abgelegene Pension meint, Zimmer ja, aber Abendessen erst ab morgen. Heute werden nur die aktuell eingebuchten Gäste verköstigt. Mannomann, hier wird mit den Lebensmitteln aber knapp kalkuliert!
Besuch beim heiligen Nepomuk

Beim Zurückfahren untersuchen wir die Kirchenruine unweit der kleinen Straße etwas näher, die wir schon im Vorbeifahren entdeckt hatten. 1752 wurde hier inmitten eines Friedhofs eine Kapelle gebaut, die 1826 abgerissen und durch eine Kirche des Heiligen Johannes von Nepomuk, auf polnisch mit dem sperrigen Namen Rzymskokatolicki Pw. św. Jana Nepomucena, ersetzt wurde. Die Kirche befindet sich in einem äußerst bedauernswertem Zustand. Das Dach ist teilweise abgedeckt, hängt bedenklich durch, das Mauerwerk zeigt Risse und die Fensterhöhlen sind ohne Glas. Das ganze Gebäude ist einsturzgefährdet und das Gelände drumherum ein einziger Dschungel, durch den man sich am besten auf einem Pfad kämpft, den andere Besucher niedertraten. Der ehemalige Friedhof lässt sich nur noch dadurch erahnen, weil einige steinerne Kreuze aus dem dornenbewehrten Dickicht ragen.

Sieben Kilometer weiter in die Stadt Stronie Slaskie (Seitenberg). Schon besser. Zwar scheint der Ort touristisch eher uninteressant zu sein, denn unser Reiseführer erwähnt ihn nicht einmal, aber da jegliche Infrastruktur wie Tankstelle, Supermarkt und Bancomat vorhanden sind und das Ganze auch sonst nicht potthässlich zu sein scheint – why not? Den Rest, das Glatzer Bergland, erfahren oder erlaufen wir uns in den kommenden Tagen. In Stronie Slaskie finden wir am Stadtrand ein schönes Zimmer in einer Fabrikantenvilla, der Villa Elise Park Pension*. Die Hotelbesitzerin spricht deutsch und englisch, das Motorrad parkt hinter dem Haus und das wundervolle Restaurant serviert im Garten und den Innenräumen alles, was die Kulinarik hergibt. Allein schon wegen des grandiosen Essens lohnt sich die Übernachtung hier, der Koch zaubert Gerichte wie man sie nur selten auf den Tisch bekommt! Gut, dass Sienna uns nicht gefallen hat.
Hinter dem Haus befindet sich ein urig angelegter Park an einem steilen Hang. Mit Bänken, Hängematten, Sitzrunde für das Lagerfeuer, großer überdachte Bude zum Grillen, eine Fläche mit Liegestühlen. Teilweise als alpiner Garten angelegt, die Wege mit buckligen Steinen gepflastert und die Terrassierung mit Trockenmauern errichtet. Hinter diesem Garten steigt das Gelände steil an und geht in einen dichten Mischwald über.
Błędne Skały | Heuscheuergebirge