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Wieder mal quer durch's Land | Von Shëngjin nach Valbonë

Straße in den nordalbanischen Alpen

Unser heutiges Ziel ist das abgeschiedene Valbona-Tal in den nordalbanischen Alpen (das in Albanien korrekt Valbonë geschrieben wird). Wieder mal müssen wir das Land durchqueren, diesmal von West nach Ost.

Trotz dass die für heute geplante Strecke eigentlich kein Problem ist, fahren wir die rund neunzig Kilometer bis Kukes auf der Autobahn. Die kurvige Landstraße bis nach Kukës genießen wir dann bei der Rückfahrt. Außerdem sieht die restliche Landstraße in die nordalbanischen Alpen auf der Karte so aus, als könnte sie noch genug kurventechnisches Können erfordern. Wie wir später sehen, ist das eine weise Entscheidung, denn wir sind trotz der geringen Distanz bis abends unterwegs.

Autobahn in Albanien: neu gebaut und ohne Verkehr

Wir würden unserer BIG TURTLE gerne wieder mal besseren Kraftstoff gönnen. Einmal konnten wir in den vergangenen Tagen 98 Oktan tanken, ansonsten müssen immer 95 Oktan reichen. 98er gibt's meist nicht. Aber das letzte Benzin war Dreck! Der Motor klingelt wie ein Sack alte Schrauben. 100 Oktan steht zwar an jeder Anzeigetafel, aber ohne Preis. Dann ist davon auszugehen, dass es keines gibt. Und auch wenn 98 Oktan dransteht, heißt das nicht, dass das Zeug 98 Oktan hat. Grrrr. Wir finden überall nur normalen Sprit. Also nehmen wir irgendwann wieder das Zeugs mit Klingelgarantie.

Die Autobahn ist vierspurig, kaum befahren und ein Schonwaschgang für unser Fahrwerk. Staugefahr gleich null. Sie sieht aus, wie eine Autobahn aussehen soll. Nur das Drumherum ist albanisch. Die gemeine Reiselangeweile, die jeden Fahrer auf mitteleuropäischen Autobahnen überfällt, ist in Albanien äußerst störanfällig: Am Rand suchen sich Ziegen ihren Weg oder auch schon mal ein Fußgänger. Direkt an der für einige Meter unterbrochenen Leitplanke wartet eine improvisierte Imbissbude auf Kunden. Autos halten einfach auf dem knapp zwei Meter breiten Standstreifen.

Kukës? wären wir mal lieber vorher abgebogen!

Wir erreichen Kukës. Wie wir später feststellen, hätten wir schon vorher abbiegen müssen, aber noch sind wir der Meinung, dass wir uns einfach nur durch Kukës durch fummeln müssen, um die Straße Richtung Pukë zu erwischen. Einfach. Puhhh! Einfach ist gut! Wären wir mal lieber gleich wieder umgekehrt!

Die Straßen in Kukës sind eigentlich keine. Es sind ungeteerte Wege mit knietiefen Schlaglöchern, um die alle Verkehrsteilnehmer weit ausholend herumfahren. Nicht immer mit Erfolg. Und nicht immer auf ihrer eigenen Straßenseite. Links und rechts befinden sich kleine Handwerksbetriebe und Läden, die ihre Auslagen auf die Straße gestellt haben.

Durch die Schlaglöcher ist das Verkehrsgeschehen chaotisch und unberechenbar. Der Gegenverkehr kommt alle paar Sekunden auf unsere Seite, weil sich drüben ein unergründlicher See oder ein langsam vor sich hin tuckerndes Dreirad befindet. Oder beides. Autos fahren und stoppen, wo sie es für nötig halten. Wir fühlen uns wie in einer Zeitreise. Irgendeiner hat den Schalter auf '80 Jahre in die Vergangenheit' gestellt und die Zeitmaschine in Gang gesetzt.

Als wir eine Kreuzung überqueren, müssen wir einen entgegenkommenden, großen, dunklen Wagen mit einem Jüngelchen als Fahrer durchlassen. Die Schrittgeschwindigkeit reicht, dass wir nach dem Wagen einbiegen könnten. Nur dumm, dass dieser jählings mitten auf der Kreuzung die Bremse reinhaut und Passagiere einsteigen lässt. Jochen flucht. Und das tut er nicht oft.

Von Kugeln durchlöchertes Strassenschild mit im Hintergrund stehendem Motorrad.

Wenn man den knietiefen Schlaglöchern ausweichen muss, Passanten zugleich mit der Bewegungsgeschwindigkeit eines Chamäleons in die Fahrbahn spazieren und auch keine Anstalten machen, die Straße wieder zu verlassen ...

Die Passanten scheinen alle Zeit der Welt zu besitzen, zwischen Autos, Karren, Eseln und kleinen Lkws die Fahrbahn zu benutzen. Vermutlich suchen sie ebenso wie die Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn die besten Stellen, um trockenen Fußes zu bleiben. Fahrbahn ist hier nicht die richtige Bezeichnung. Slalomparcour wäre angebrachter. Oder Schlammparcour?

Apropos Fahrer. Haben die jungen Milchgesichter am Steuer, die vermutlich gerade in die Pubertät gekommen sind, überhaupt einen gültigen Führerschein? Plötzlich ertönt hinter uns ein anhaltendes Johlen und Kampfgeschrei mehrerer Jungs, die wir mangels Eulenhals nicht sehen können. Eine Sekunde später tut es einen Schlag. Einer der Milchreisbubis ist hinter das Motorrad gesprungen und hat mit der flachen Hand auf den Topcase geschlagen. Schreck! Du Depp!

Straße nach Bajram Curri (SH22)

Kukes ist eine sehr arme Stadt, nur wenige Kilometer vom Kosovo entfernt. Das verrückte Verkehrsgebaren nervt. Hoffentlich finden wir bald wieder raus! Die Häuser, meist mehrstöckige Bauten, sind renovierungsbedürftig und für Straßenbau ist kein Geld da. Die Arbeitslosigkeit ist auf hohem Level, nur eine Schuhfabrik gibt einigen Frauen Arbeit. Irgendwann haben wir das Schlimmste hinter uns und sind wieder raus aus der Stadt. Wir müssen wieder zurück und finden nach kurzer Zeit den Abzweig, der uns Richtung Pukë bringt.

Blick auf die im Tal verlaufende SH22
Blick auf die nordalbanische Alpen mit Motorrad im Vordergrund.
Motorrad vor Tal mit dem angestauten Fluss Drin in der Ferne.

Als wir schließlich auf die Straße Richtung Bajram Curri abbiegen, ist es halb zwei. Jochen meint, wenn wir so weiterfahren, werden wir wohl gegen 18:00 Uhr in Valbona sein. Bis Bajram Curri sind es 72 Kilometer, dafür brauchen wir zwei Stunden. In der Karte ist das als Hauptverbindung eingezeichnet.

Die Straße ist der Wahnsinn! Kurvig ohne Ende. Der Straßenbelag ist recht gut. Eigentlich könnte man flott fahren, wenn nicht die Straße ständig rauf und runter und brav der bergigen Landschaft folgen würde. Alpenpassfeeling, nur mit wesentlich weniger Verkehrsteilnehmern.

Hier ist kaum jemand unterwegs. Alle halbe Stunde ein Auto. Mehr nicht. Stellenweise ist der Straßenbelag am Rand abgerutscht, Steinschlag liegt auf der Straße. Schlaglöcher gibt es nur wenige, aber es gibt sie! Das ist das Perfide: Selbst wenn man am Gashahn ziehen könnte, sollte man ständig auf der Hut sein vor Wellen, die einen aushebeln oder Löchern, in die man bis zum Anschlag rein sackt.

Tief unter uns blitzt mit türkisblauem Wasser ein Ausläufer des Koman-Stausees herauf. Der Drin hat sich Hunderte von Metern tiefe Schluchten in die Berge der Albanischen Alpen gegraben. Nun zieht sich der See als langer Schlauch über 34 Kilometer durch das schmale Tal des Drin und ist manchmal nur 50 Meter, aber selten mehr als 400 Meter breit. Wir werden hoffentlich noch mehr davon zu sehen bekommen.

Mitten im Nichts stellen sich uns drei Kinder in den Weg und strecken uns kleine Becher mit Himbeeren entgegen. Erst in letzter Sekunde springen sie aus der Fahrbahn. Woher die wohl kommen? Die nächsten Häuser sind ziemlich weit weg. "Die haben verdammt viel Mut", schimpft Jochen, doch ich beschwichtige ihn: "Das sind ja noch Kinder, die können einfach die gefährliche Situation noch nicht erkennen".

Valbona-tal ... unbeschreiblich!

Zwischen Bajram Curri und Valbona liegen 23 Kilometer Entfernung und es führt nur eine Naturpiste hin, das wissen wir. Auf dieser kurzen Etappe ohne Asphalt herrscht der meiste Verkehr der ganzen Tour bis Valbona. Mehrere Autos und Kleinbusse kommen uns entgegen und stauben uns ein. Die Piste hat zwar auch Schlaglöcher, ist aber im Gesamten gut zu fahren. Und sie scheint ein bequemes Bett für eine Kuh darzustellen, die mitten auf dem fünf Meter breiten Weg liegt. Ein Motorrad wie unseres bringt sie überhaupt nicht aus der Ruhe. Warum auch? Es ist ja genug Platz, um an ihr vorbeizufahren.

Blick in das Valbona Tal am Anfang des Tales. Im Hintergrund die nordalbanischen Alpen.

Wir folgen flussaufwärts der mit tonnenschweren Steinblöcken durchsetzten Valbona, die sich wild und laut durch das Tal schlängelt. Nur wenige Häuser stehen vereinzelt am Wegesrand. Die Einwohner fristen ein karges Dasein. In diesen einsamen Gegenden spielte die Blutrache eine große Rolle. Von den ehemals dreitausend Einwohnern leben heute nur noch achthundert Menschen im Tal, das durch die archaischen Regeln des Kanuns zu entvölkern drohte. Aber nun, scheint es, wendet sich das Blatt langsam.

Motorradfahrer fährt langsam an einer, auf der Strasse liegenden Kuh vorbei.

Als markantes Beispiel für den rechtsfreien Raum in Albanien, was Grund und Boden anbetrifft, kann eine Geschichte aus dem Jahre 2010 gelten. Damals erfuhren die Bewohner des Valbona-Tals von einem Hotelvorhaben mit fünfhundert Betten – und das mitten im Tal auf einem 4000-Hektar-Grundstück, das seit Generationen im Besitz einer Familie war.

Da nun aber in Albanien in den wenigsten Fällen Eigentumspapiere existieren und wenn, dann liegen sie in unzugänglichen Archiven, hatten die Einwohner ein Problem. Als über Nacht die Bagger auffuhren, entschlossen sich die Bewohner zum kollektiven Aufstand. Jeder einzelne bezeugte die Unrechtmäßigkeit der in Tirana frisch gedruckten (gut, gell?) Eigentumspapiere der Baufirma. Als sie auch noch den Taleingang für weitere, anrückende Baufahrzeuge blockierten, hatte der Spuk ein Ende. Die Baumaßnahmen wurden gestoppt. Bis heute. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt, denn der sanfte Tourismus, der derzeit im Aufkeimen ist, passt perfekt zur ursprünglichen Alpenlandschaft.

Kies im Flussbett der Valbona

Schließlich – taraaa! – liegt eine nagelneue, schwarze Teerstraße vor uns. Wie das? Nach vierzehn Kilometern Schotter ist es uns vergönnt, noch auf Asphalt die verstreuten Häuser von Valbona zu erreichen? Wow! Wer hätte das gedacht? Wir hatten mit dreiundzwanzig Kilometer Schotter gerechnet. Wobei die Nachricht vor der Tour übers WWW schon ins ferne Deutschland gedrungen war, dass irgendwo die Teermaschinen anrücken. Aber wer rechnet denn damit, dass denen nicht das Material ausgeht? Oder abhanden kommt? Der Fluss ist komischerweise weiter oben nicht mehr zu sehen: er versickert einige Kilometer lang im karstigen Gestein und tritt erst weiter flussabwärts wieder an die Oberfläche.

Nordalbanische Alpen | Valbona-Tal
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