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Quer durch's Land: Auf verschlungenen Wegen ins Valbona-Tal

Motorradfahrer an einem Abzweig der Hauptstrasse zu einer Hütte im Valbonatal.

Unser nächstes Ziel sind die nordalbanischen Alpen. Um vom östlich gelegenen Ohrid-See in den Norden zu gelangen, könnte man die direkte Route über Peshkopi und Kukes benutzen, aber zwischen den beiden Städten existiert nur eine schwer zu fahrende Schotterpiste. Nach unseren Recherchen braucht man für die achtzig Kilometer von Peshkopi nach Kukes fünf Stunden. Uns stellt sich die Frage: Ist das für uns – ein schweres Reisemotorrad mit Gepäck (unter anderem mit ziemlich viel Video- und Fotoequipment) und Sozia – überhaupt fahrbar?

Landschaft im Valbona Gebiet mit Bergen und Wald.

Der beste Weg scheint zu sein, nicht den direkten Weg über Peshkopi zu nehmen, sondern das Land gen Westen zu queren, um vom Meer aus auf (hoffentlich) guter Asphaltstraße in den Norden zu fahren. Die Hoffnung auf lückenlosen Asphaltbelag erfüllt sich zwar meist nur auf der Autobahn, aber man soll ja die Hoffnung nie aufgeben.

nach albanien? na dann: viel glück!

Am Anfang tuckern wir entlang des Ohrid-Sees und verlassen Albanien noch einmal für die nächsten sechzig Kilometer. Die Strecke führt vor Debar landschaftlich schön am Fluss entlang, der später den langgezogenen Debar-See bildet.

Nach Debar müssen wir irgendwann auf den Grenzübergang treffen. Fein, da ist der Abzweig ja schon, ein „Albania“-Wegweiser zeigt nach links. Laut Karte ist das aber noch zu früh, weswegen wir verwundert neben einer Passantin anhalten. Sie fragt uns: „Wohin?“ Wir antworten: „Nach Albanien.“ Ungläubig hakt sie in bestem Deutsch nach: „Ihr wollt wirklich nach Albanien?“ „Ja.“, entgegnen wir wiederum und sie meint: „Da nach links. Viel Glück!“ Wir biegen ab und ihre letzten Worte hallen in uns nach ... Viel Glück. Warum viel Glück? Hmmm ...

Helm an Motorrad am Strassenrand im Bergbaugebiet beim Valbona Tal.

Die Straße, erst vor kurzer Zeit neu angelegt, führt in wunderschönen, weit ausladenden Kurven den Berg hinauf. Besser geht’s nicht! Dieses Asphaltband ist ein Traum. Wir hoffen, der Traum endet nicht so bald. Endet er doch: Nach kurzer Fahrt stehen wir an einem Schlagbaum. In fünfzig Meter Entfernung befindet sich eine Baracke und dahinter mündet die Straße in einen Waldweg. Shit! Drei Grenzbeamte kommen auf uns zu und bedeuten uns, dass es hier nicht weitergeht. Vermutlich ist dieser Grenzübergang nur für Fußgänger gedacht. Aber dass gleich drei Beamte den lieben langen Tag Wache schieben und Däumchen drehen?!

Zickzackkurs von ost (ohridsee) nach west (shëngjin)

Also weiter zur offiziellen Grenze. Der Grenzübertritt ist wie gehabt schnell geschehen, nur zwei Autos sind vor uns, in fünf Minuten haben wir alle Formalitäten erledigt. Nur wenige Kilometer nach der Grenze haben wir den Fluss Drin erreicht. Die Straße überquert den Fluss auf einer neuen Brücke und wendet sich wieder südwärts. Eigentlich wollen wir ja nach Norden, aber wie schon erwähnt, müssen wir, um auf Asphalt zu bleiben, einen großen Haken schlagen.

Auf der SH6 durchqueren wir das ganze Land von Ost nach West. Schon ein wenig schizophren, aber die Piste von Peshkopia nach Kukes wäre uns wie gesagt zu heavy. Das heißt ... der Beste aller Fahrer wäre schon geneigt, sich ins Offroadvergnügen zu stürzen, noch dazu, wo er erst vor paar Wochen ein Training im Enduro-Park Hechlingen absolviert hat. Jedoch sieht er die Notwendigkeit ein, Mensch, Maschine, Fotogerödel und die Sozia heil ans Ziel zu bringen und versagt sich – schweren Herzens – die Schotterpiste. Lieber das Foto- und Videogerödel auf vielleicht nicht so abenteuerlichen Asphaltstraßen heil ans Ziel gebracht als auf aufregenden Schotterpisten geschrottet!

Es klappert die Mühle ... nein, es klappert die BMW ...

Außerdem haben wir fortwährend das klackernde Geräusch im Ohr, das die BMW seit drei Wochen von sich gibt. Wenn wir nicht wüssten, dass die BMW einen Kardan hat, würden wir behaupten, da schlägt eine schlecht gespannte Kette. Der „Freundliche“ bei uns zu Hause hatte sich die BIG TURTLE vor unserer Abfahrt noch angeschaut, jedoch die Ursache des Geräuschs nicht feststellen können.

Da erinnerten wir uns an einen Thread in einem Motorradforum. Ein User hatte ein ähnliches Problem und fragt in dem Forum um Rat.
Ein anderer fragt ihn: „Fährt dein Mopped noch?“
„Ja.“, entgegnet der Threaderöffner.
„Na, dann ist es auch nicht kaputt.“

Die BMW klappert – was soll's! Scheinbar macht ihr das Klappern nichts aus – am Fahrverhalten ist jedenfalls nichts zu merken. Wer weiß – vielleicht hätte es sich dann genau auf der Rüttelpiste ausgeklappert? Also fahren wir Zickzackkurs.

Wir befinden uns auf der Rruga e Arbërit, der geschichtlich schwerwiegendsten Straße Albaniens. Auf dieser sollen im 15. Jahrhundert die Arbaresh, die katholischen Albaner, vor den anrückenden Osmanen nach Italien geflüchtet sein. Noch heute findet man deshalb in Süditalien albanische Minderheiten. In den letzten Jahren hat man an der Straße einiges gebaut. Nicht besonders spektakulär, aber trotzdem eine schöne Motorradstrecke, vor allem, weil man endlich mal fahren kann. Wohlgemerkt fahren, nicht schleichen!

Wir haben uns die Straße auch auf Google Maps und Co angeschaut: In den Onlinekarten sieht man von der Rruga e Arbërit einen eingezeichneten Streckenabschnitt unterhalb der alten Straße, der unvermittelt im Nichts endet. Vielleicht gab es diese Straße schon, aber mehr als eine Baustelle kann es nicht gewesen sein. Wir jedenfalls fahren noch auf der alten. Auf einem Foto in Wikipedia ist außerdem ein Tunneleingang markiert, von dem wir auch noch nichts sahen. Vermutlich ist die digitale Kartographie dem realen Leben einen wesentlichen Schritt voraus.

Die Strecke über den Qafa e Buallit, den Büffelpass auf 842 Metern, verläuft durch Bergbaugebiet. Die Kleinstadt Bulqizë am Rande von großen Abraumhalden erscheint trostlos und die mehrstöckigen Wohnkästen rundherum wirken schmutzig und trist. Die ganze Gegend macht nicht gerade einen einladenden Eindruck. Kein Wunder. Im Bergwerk von Bulqizë, dem größten Albaniens, wird Chrom abgebaut, aber die Arbeitsbedingungen und die Löhne sollen im wahrsten Sinne unterirdisch sein, was immer wieder zu Todesfällen und Streiks führt.

Bergbau LKW in Staubwolke auf dem Weg nach Bulqize.

Nach Bulqizë werden die Berge höher und die Straße schlängelt sich kurvig an einem Berghang entlang. Etliche Kilometer kämpfen wir mit tiefen Längsrillen, eindringlich dirigieren die Rillen den Geradeauslauf der Reifen. Einfach machen lassen, der Reifen sucht sich die beste Spur. Nur bei den tiefen Schlaglöchern wird eingriffen und ausgewichen.

Schwere Kieslaster kämpfen sich über die Bergstrecke. Es sind nicht viele und auch Überholen bereitet wegen des geringen Gegenverkehrs keine Probleme – aber wie schwer müssen die beladen sein? Die fahren ja fast Schrittgeschwindigkeit! Zwölf Kilometer pro Stunde Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt unser Navi. Die armen Fahrer müssen sich während der Fahrt zu Tode langweilen.

Burrel? geburtsort von könig Zogu. wir möchten da nicht begraben sein

Kurz vor Burrel zieht die Straße eine große Schleife und senkt sich hinunter zum Mat. Der Fluss sucht sich seinen Weg durch ein breites Kiesbett, das stellenweise große, bewachsene Inseln bildet. Nach wie vor gibt es nicht viele Brücken, auf denen man ihn überqueren kann. Eine davon steht in Burrel.

Burrel ist ein Kaff, größer und nicht ganz so abgelegen wie Bulqizë, aber trotzdem ein gottverlassenes Nest. Die beiden Orte scheinen so unbedeutend zu sein, dass sie es nicht mal wert sind in unserem Albanien-Reiseführer erwähnt zu werden. Die Häuser in den Städten sehen wesentlich heruntergekommener aus als die einzeln verstreuten Gebäude auf den Dörfern.

Motorradfahrer am Strassenrand mit Weitblick auf Brücke über den Fluss Mat.

In Burrel muss man sich nicht groß aufhalten, wollen wir auch nicht, auch wenn hier der berühmteste Spross des Zogolli-Clans herkam: König Zogu wurde in Burrel geboren. Von 1928 bis 1939 war er der berühmteste Sohn aus dem Mat-Tal, bekannt unter dem Namen Zogu I., der selbsternannte König der Albaner.

Wir brauchen einige Zeit, um in Burrel an den Straßenbauarbeiten auf der Mat-Brücke vorbeizukommen. Das heißt ... eigentlich nicht wir brauchen Zeit, sondern ein LKW vor uns. Fast sieht es aus, als hätte er sich mit dem Kipper auf der Gegenfahrbahn verkeilt. Nichts geht mehr, rien de va plus. Dann bewegt er sich doch wieder einen Zentimeter, dann noch ein Stückchen und schließlich ist er durch.

Wenige Kilometer später wissen wir dann an einer Gabelung nicht genau, welche Seite die Richtige ist. Wir entscheiden uns für die schöne, neue Straße linker Hand. Natürlich. Geil. Kein Verkehr, wir sind ganz allein und die Straße ist brandneu. So kriegt der Beste aller Fahrer auch mal bisschen was von der Umgebung mit und muss nicht dauernd die Fahrbahn nach Löchern, Wellen, Steinen oder tierischen Hinterlassenschaften abscannen. Aber die Freude währt nicht lange.

Jetzt allein und ohne Gepäck ...

Ein brache liegendes Industriegelände, das aus ruinenhaften, großen Betonhallen und viel Eisen besteht, rostet am Wegesrand vor sich hin. Was ist das? Bestimmt hatten die Bauten mit dem Bergbau zu tun hat, wir tippen auf ein altes Eisenhüttenwerk. Kurz danach geht unsere schöne Straße in eine Piste über.

Mat Stausee mit Staumauer in der Ferne umrahmt von Bergen.

Die ungeteerte Straße führt durch den Nationalpark Qafë Shtama, der mit Bergen bis über 1700 Metern aufwartet. Allein und ohne Gepäck hätte jeder Endurist mit etwas gröberen Schlappen auf den Rädern hier richtig viel Freude, jedoch für uns kommt diese Piste nicht infrage. Nicht zu zweit, mit Gepäck. Schade, denn auf der Karte und in Google Earth sieht die knapp 50 Kilometer lange Piste verdammt geil aus, sie klettert bis auf 1250 Meter hoch und mündet einige Kilometer vor der Adriaküste in Krujë.

Auf der SH6 tangieren wir dann den Ulza-Stausee (Liqeni i Ulzës), den ersten, größeren Stausee Albaniens. Er fasst eine Riesenmenge Wasser, aber diesen See lassen wir rechts liegen. Im Anschluss wird der Mat als Shkopet-Stausee über viele Kilometer in einem schmalen Tal angestaut und die Straße folgt dem Tal. Neben der Staumauer verschwindet die Straße in einem dreihundert Meter langen, unbeleuchteten Felstunnel, in dem das Wasser von der Decke tropft. Nur noch wenige LKWs sind auf der Straße – die hat man aber schnell überholt. Hier ließe es sich aushalten.

Einige Kilometer weiter: Eintritt in die Tiefebene bei Lezhë. Wo betten wir heute unser müdes Haupt? Wir ziehen unseren Michael-Müller-Reiseführer* zurate, der nicht viel zu dieser Gegend zu berichten hat, weil sie wohl zwar touristisch ist, aber ohne Reiz und in fester Hand der einheimischen Urlauber. Am Meer ist wohl am ehesten mit Übernachtungsmöglichkeiten zu rechnen. Wir fahren nach Shëngjin, das an einer weiten Bucht unweit des Drin-Flussdeltas liegt und ein bei den Albanern beliebter Badeort sein soll. Im Hinterland zieht sich das 561 Meter hohe Küstengebirge Mali i Rencit über mehrere Kilometer an der Küste entlang. Eingeklemmt zwischen Lagunen, Meer und den Hügeln ist Shëngjin nur von Süden her auf einer schmalen, aber schlechten Straße durch brettebenes Gelände erreichbar.

Shengjin
Maurer vor Baustelle für ein neuen Hotel in Shenjin.

Irgendwo dahinten müsste also eine Lagune sein. Aber wir sind noch zu weit entfernt, um sie zu sehen. Und hineinfahren in das Lagunengebiet darf man unseres Wissens sowieso nicht. Also weiter mit der Hotelsuche. Shëngjin muss irgendwann eine verschlafene Hafenstadt gewesen sein. Bis geldgierige Investoren und Spekulanten das große Geschäft witterten. Wenn man früher bis zum Hafen gefahren ist, fuhr man an kleinen ein- bis zweistöckigen Häusern vorbei. Einige dieser Gebäude ducken sich da auch noch in den Straßen – eingeklemmt zwischen fünf- bis siebenstöckigen Hotels, die dicht an dicht in zwei Reihen am Strand stehen. Der breite Strand besteht aus schwarzem Sand und ist mit Liegen und Sonnenschirmen ausgestattet.

Es gibt also genug Hotels zur Auswahl – eigentlich könnten wir würfeln, in welchem Hotel wir nach einem Zimmer fragen. Also spült uns der Faktor Zufall in irgendeines der Hotels. Es hat fünf Stockwerke und keinen Lift, aber eine große Tiefgarage. Und das eine wiegt das andere auf. Nach Abpacken, Dusche und einem kühlen Getränk verlassen wir das Hotel auf der Suche nach einem Restaurant, aber außer einer Pizzeria und einem Fastfoodlokal finden wir nichts.

Wir sind die ersten gäste

Die Urlaubssaison in Albanien ist kurz und heftig wie ein Strohfeuer: in den Monaten Juli und August steppt überall an der Riviera der Bär und ab September versinkt wieder alles in einen tiefen Dornröschenschlaf. Mitte Juni ist deshalb überhaupt noch keine Saison, im ganzen Viertel wird noch gehämmert, gepflastert, gemauert, ver- und geputzt, man rüstet sich hektisch auf den kommenden Ansturm. Der – wie es aussieht – jedes Jahr sehr unverhofft kommt.

Blick auf das Hotel La Ola im Stadtkern Shengjin

Auch unser netter Hotelboss ist noch nicht ganz fertig. Erst ab nächste Woche eröffnet er das Hotel La Ola* offiziell – wir sind seine ersten Gäste. Deshalb also die Handwerker, die noch in den Zimmern werkelten, Fernseher an die Wand schrauben (wollten) und erst bei unserer Ankunft abzogen. Unser Hotelboss bietet uns an, einen griechischen Salat zuzubereiten und uns eine frische Dorade zu braten. Als es nach der Bestellung etwas dauert, mutmaßen wir, dass er wohl erst einkaufen gehen muss. Und als hätte er es gehört, kommt der Koch gerade mit einer Gemüsetüte aus dem gegenüberliegenden Lebensmittellädchen. Als wir schließlich noch Rotwein bestellen, muss er noch mal losziehen ...

Nach dem Essen kommen wir ins Gespräch und er erzählt, dass er Kosovo Albaner ist und dieses Hotel komplett renoviert habe. Stolz präsentiert er uns die verschiedenen Zimmer im Hotel, wir machen einen Rundgang bis aufs Dach. Jedes Zimmer hat ein anderes farbliches Design, auf das er stolz ist. Wir zahlen pro Nacht 25,- Euro. In der Hochsaison rechnet er pro Zimmer, die meist mit drei bis vier Betten ausgestattet sind und eine kleine Küche haben, mit hundert Euro. Wir sind uns nicht sicher, ob er der Besitzer oder der Pächter ist. Als er erzählt, er rechne damit, in der kurzen zweimonatigen Saison seine gesamte Investition wieder hereinzubekommen, können wir es kaum glauben. Sein absolut größter Stolz ist die Dachterrasse. Hier oben, umzäunt von einem gerade mal oberschenkelhohen Geländer, mit Blick aufs weite Meer, will er eine Cocktailbar einrichten. Er beschreibt uns seine Fantasien in den schillerndsten Farben. Ob die albanischen Badegäste fünf Stockwerke nach oben steigen? Und sich nach dem dritten Drink über die Brüstung stürzen?

Shengjin

Abends wummert trotz Vorsaison hundert Meter vom Hotel La Ola* entfernt eine Freiluftdisco. Videos flackern über die Leinwand und die Musik ist nicht zu überhören, als wir noch bei einem Glas Wein auf dem Balkon sitzen und uns mit den wegen der neuen Geschmacksrichtungen hocherfreuten Mücken herumschlagen. Apropos Wein. „Solche Alkis!“, denkt sich der Hotelbesitzer sicher insgeheim! Wir hatten nur nach zwei Gläsern gefragt und da lässt er es sich nicht nehmen, eine Flasche Wein auf Kosten des Hauses zu spendieren und persönlich zu servieren. Dabei wird ihm nicht entgangen sein, dass schon eine Flasche auf dem Tisch steht. Und am nächsten Morgen sind beide Flaschen leer ... Er kann ja nicht wissen, dass wir die zweite Flasche zum Transport in eine Wasserflasche umfüllten.

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