Motorradtouren Albanien Nordalbanische Alpen Valbona-Tal

Das abgeschiedene Valbona-Tal

Zwei Motorradhelme vor Regal mit ausgestopftem Wolf
Guesthouse im Wald mit gepflasteter Einfahrt

Wir erreichen Valbonë. Am Taleingang haben wir im Guesthouse Rilindja* der New-Yorkerin Catherine Bohne und Alfred Selimaj die Wahl: ein winziges Zimmer mit Strom im Haupthaus oder ein größeres Zimmer einige hundert Meter weiter im Nachbarguesthouse, jedoch ohne Strom.

Wir nehmen das winzige Zimmer mit Gemeinschaftsbad im Haupthaus. Süß! Das Zimmer ist gerade mal einen halben Meter breiter und länger als die zwei Betten, mehr Platz ist nicht. Aber im Gemeinschaftsbad steht eine Duschkabine – welcher Komfort!

Unsere Helme werden auf der halboffenen, als Aufenthaltsraum fungierenden Veranda deponiert. Im Zimmer stehen ja schon unsere Motorradkoffer am Kopfende des Bettes – damit ist der Raum gepäcktechnisch ausgelastet und jeder Gang auf den Balkon artet in Kraxelei aus. Die Helme werden von einem zähnefletschenden, ausgestopften Wolf bewacht – mit dem geht es mir wie Freddie Frinton mit dem Tigerkopf. Jedesmal zucke ich zusammen, wenn ich zum Helm greife und die weißen Eckzähne vor meiner Nase schweben. Catherine erzählt, Alfred hätte das Tier erschießen müssen, weil er andauernd zu nah ums Haus herumschlich – die Gerüche aus der Küche waren wohl zu verführerisch. Sie hätte gern einen Hund, am liebsten einen Welpen. Alfred wäre jedoch dagegen, weil die Wölfe ihn früher oder später fressen würden.

Gehöft mit Macadamstraße vor Bergkulisse

Catherine Bohne, die bis vor wenigen Jahren in New York lebende Besitzerin der gemütlichen Berghütte, ist zusammen mit Alfred Selimaj die gute Seele des Tals und der angrenzenden Berge. Sie kam vor einigen Jahren als Urlauberin und blieb.

Nun werkelt sie hier von früh bis spät. Wenn sie nicht irgendjemanden irgendwohin fährt, malt sie Schilder, bringt Markierungen an Wanderpfaden an, entwirft Wanderkarten und kümmert sich allgemein um den Zustand der Trekkingpfade. Großartig. Ohne sie wäre das Tal um einiges ärmer. Sehr gern täten wir einmal einen Blick in die Zukunft werfen: wie schaut es in dreißig Jahren hier aus? Alles voller Hotels und einige Lifte gibt es auch schon? Schön, dass wir JETZT hier sind ...

Die zwei Betten in Valbona waren übrigens die einzigen weichen Betten während der ganzen Albanien Tour. Wir haben geschlafen wie die Engel! Endlich mal kein Holzbrett unter der malträtierten Seitenschläferschulter! Es scheint, als fänden es die Albaner als Luxus, auf Matratzen zu schlafen, die bei normal gewichtigen Menschen keinen Zentimeter nachgeben. Wieso ist jedes Hotelbett sonst mit den derartigen Schlafbrettern ausgestattet? Aber auch jedes - außer die in Valbonë!

Taleinschnitt mit Staße und Haus im Valbona Tal
Ein Ziegenstall mit Freigehege im Valbona-Tal

Dass wir Strom haben, ist ja schon ein kleiner Luxus in diesem Tal. Ein weiterer Luxus ist das Wasser. Wer bei Catherine ein Wasser bestellt – der bekommt eine Kanne Quellwasser aus dem Fluss. Es wird mit einer dicken Leitung vom Fluss ins Haus umgeleitet. Es ist sehr erfrischend und wir trinken es bedenkenlos. So wie alle hier. Gekocht wird auf offenem Feuer im Kamin. Das Brot ist sehr lecker, mit knackiger Kruste. Wir haben versehentlich außer Suppe, griechischen Salat und einer Platte mit Vorspeisen statt eines gebratenen Fleischstücks eine Forelle bestellt. Tja, wenn man die Karte nicht lesen kann ... Auch die Forelle kommt aus einem Zuchtbecken vor der Tür, das mit dem Flusswasser gespeist wird. Wir haben den Irrtum nicht bereut.

In einem offenen Holzpavillon findet ab zwanzig Uhr ein Hochzeitsdinner statt. Bisher ist es recht leise, nichts zu hören von Tanz und zu viel Alkohol. Und es bleibt auch so. Zu unserer großen Verwunderung. Wenn wir da an die Rumänen denken ...

Eiswasser und forellen in Valbona
Wilder Bach mit großen Steinbrocken mit Straße auf dem ein Motorrad fährt
Frau schaut in kleine Holzhütte im Wald am Wegesrand
Steinhütte vor gewaltiger Bergkulisse im Valbona Tal

Puuh, dieses Wasser macht munter! Ein Schwall ins Gesicht muss reichen – da friert einem ja die Mimik ein! Wir können dem Wasserhahn im Gemeinschaftsbad nur kaltes Wasser entlocken. Sicher ist auch dieses kühle Nass aus dem nur wenige Meter entfernten Fluss umgeleitet. Wir haben mit dem stetigen Rauschen des Flusses als Geräuschkulisse gigantisch geschlafen.

Das Valbonë-Tal ist eines der ursprünglichsten und abgeschiedensten Täler in den nordalbanischen Alpen, erst seit rund achtzig Jahren ist es dauerhaft bewohnt. Diese Region wird durch einen 1996 gegründeten Nationalpark geschützt und steht für traumhaft schöne Berglandschaften und unberührte Natur. Die Lebensbedingungen sind rau, weil die Alpentäler im Winter monatelang von der Außenwelt abgeschnitten sind.

Die geringe, erst in den Kinderschuhen steckende Erschließung der ursprünglichen Landschaft übt einen großen Reiz aus. Es gibt drei Hochtäler: das Vermosh-, das Theth- und das Valbonë-Tal. Letzteres haben wir uns ausgesucht, weil die Schotterpiste ins Valbonë-Tal die kürzeste gegenüber den anderen Zugangsstraßen ist. Und vermutlich auch die am einfachsten zu fahrende. Die Piste nach Theth kennen wir aus diversen Videos und da gibt es einige ziemlich haarige Stellen, die wir nicht haben müssen. Nicht zu zweit. Vor allem nicht zu zweit, mit dem ganzen Video- und Fotogerödel im Gepäck. Und wir sind noch nicht lang in Valbonë, als wir uns voller Inbrunst beglückwünschen, hierhergekommen zu sein! Wir hätten viel versäumt.

Die meisten Besucher sind Wanderer und kommen mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen. Während unseres Aufenthalts verzeichneten wir viele verschiedene Anreisemethoden: per Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln (mit Teilstrecken Taxi) und mit 4x4-Jeeps. Einer kam mit einem Kleinbus und hatte seine kleine 125er Suzuki hinten drin.

Zeitmaschine: auf achtzig jahre und ab geht's ...
Altes Haus am Wegesrand mit Schild Camping im Vordergrund

Die halb verfallenen Steinhäuser mit ihren mit großen Holzschindeln gedeckten Dächern liegen verstreut im Tal und scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen. Da ist sie, wieder, die Zeitmaschine: Wir fühlen uns in die Vergangenheit zurückversetzt.

Schade, dass wir als Motorradfahrer in diesen Ort gekommen sind und nicht als Wanderer. Man kann nun mal nicht alles haben – aber wer das verbinden kann, der sollte es tun und die Wanderschuhe unbedingt mitnehmen! Mit etwas Kondition kann man über den Valbonë-Pass ins Theth-Tal wandern, muss dazu aber gut zu Fuß sein. Von anderen Gästen erfahren wir, dass die Wanderung jetzt, Mitte Juni, immer noch sehr beschwerlich ist, weil in den Höhen noch einiges an Schnee liegt. Sie sind hinübergelaufen und dort zwei Tage geblieben. Auf der Tour zurück hatten sie sich dann einen ortskundigen Führer engagiert, weil die Gefahr allein doch zu groß war, sich zu verirren, während man den besten Weg durch die Schneefelder suchte. Eine Wanderung ist eine einsame Sache: Sie haben während ihrer Ganztagestour nach Theth keinen einzigen anderen Wanderer getroffen. Also eine minimale Reiseapotheke sollte dabei sein und natürlich ein Handy – eine offizielle Bergrettung gibt es hier nicht.

Wo opas auf dem Weg liegen
Großer Felsbrocken vor Bäumen am Flußufer

Mittags kehren wir ins Guesthouse zurück, lassen uns zwei Sandwiches machen und erwarten belegte Brotscheiben. Doch man bringt uns zwei Brotviertel, mit Käse, Tomate und einem Wiener Würstchen gefüllt. Wow, bei diesem Riesenteil kriegt man ja Kiefersperre!

In der Nähe von Valbonë befindet sich der kleine Gletschersee Liqeni i Xhemes mitten im Wald. Bis dorthin schaffen wir es locker auch in Motorradstiefeln. Am Fluss zeigt ein Wegweiser schon in die richtige Richtung und wir stapfen los. Der urwüchsige Wald verlangt uns einiges ab: Wir steigen stetig bergauf über Wurzeln, Felsen und totes Holz. Der Trampelpfad ist kaum zu erkennen, die roten Markierungen, meist an Felsen gepinselt, jedoch sehr gut. Im Wald liegen kreuz und quer Bäume und Gehölz, dazwischen tonnenschwere, bemooste Felsbrocken. Einige Bergbäche gilt es zu überwinden. Dank Motorradstiefeln und großen Steinen als Tritthilfen gelangen wir immer trockenen Fußes auf die andere Seite. Ein Märchenwald! Wenn nicht sogar ein Urwald. Denn Forstwirtschaft in unserem Sinne scheint es nicht zu geben. An einem steilen, felsigen Hang stürzt sich ein plätschernder Gebirgsbach hinunter. Welche Funktion die Holzhütte darüber hat, können wir nicht ergründen.

Idylischer Flußlauf mit Steinhaus im Hintergrund

Nach rund zwanzigminütiger Kraxelei – wir befinden uns immer noch in sehr dichtem Mischwald – stehen wir an einem Hang und schauen uns um, ob wir hier irgendwo einen See entdecken. Und tatsächlich: der Wald scheint sich hier in einem engen Trichter nach unten zu verjüngen und zwischen dem Blattwerk blitzen – tief unten – die Reflexionen einer Wasseroberfläche zu uns herauf. Ein Trampelpfad zickzackt durch den dichten Urwald hinunter.

Zehn Meter vor uns ragen plötzlich zwei schwarzbehoste Beine mit dunklen Schuhen in den Weg. Ein alter Mann in Sonntagsanzug liegt quer über den Pfad und macht ein Nickerchen. Mitten im Wald, mitten auf dem vielleicht halbmeterbreiten Trampelpfad liegt ein Opa! Welch ein Bild. Als wir nähertreten und über ihn drüber steigen (so breit ist der Pfad nicht, dass man hätte drumherum laufen können), wacht er auf. Er spricht noch ein, zwei Sätze mit uns. Leider verstehen wir ihn nicht, aber er scheint nicht verärgert, dass wir über ihn drüber geklettert sind.

Frau am Seeufer auf Stein sitzend

Seine Familie ist unten am See, den wir nach einem kurzen Abstieg erreichen. Lake James, wie das Gewässer in Englisch auf den Hinweisschildern genannt wird, ist ein glasklarer See mit türkisblauem Wasser. Er ist winzig, höchstens fünfzig Meter lang. Nachdem die Familie wieder von dannen gezogen ist, sind wir allein und bleiben es auch. Sehr viele Besucher finden nicht hierher.

Zu unserem Zimmer im Guesthouse Rilindja* gehört ein Balkon, der fast genauso groß ist wie unser Zimmerchen selbst. Wir teilen uns diesen Balkon vor allem mit riesigen Waldameisen. Die größten sind mehr als einen Zentimeter groß. Aber wir Menschen sind ihnen offensichtlich wurscht – sie laufen meist um uns herum. Anders die Spinne, die mir irgendwann im Nacken sitzt und mich beißt, als ich sie wegwischen will. Mistvieh!

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