Motorradtouren Baltikum Tour 1 | Litauen & Lettland Lettland Ostküste Kurland

Ostküste Kurland

Lange gerade Landstraße mit Bewaldung am Fahrbahnrand

Bis in das Gebiet von Engure führt eine kerzengerade, scheinbar nie enden wollende Straße durch lichten Kiefernwald. Wir befinden uns mitten in einer Düne, auf einer Düne. Alles um uns herum ist Düne, aber da alles mit Kiefern, Heidelbeersträuchern und anderen Büschen bewachsen ist, ist sie nicht als solche erkennbar.

In der Kleinstadt Engure trennt uns eine Reihe kleiner Holzhäuser vom Meeresstrand. Jenseits der Straße, rund zwei Kilometer im Landesinneren, liegt der drittgrößte lettische See, der Enguresee. Früher eine salzige Meereslagune, heute vom Meer abgeschnitten, gilt er als hervorragendes Vogelbeobachtungsgebiet. Seine Ufer sind großflächig mit Schilf bewachsen, das geerntet und für Reetdächer verwendet wird. Also selbst wenn man zum Seeufer fährt: viel zu sehen gibt es dort nicht.

Boot am Meerufer

Immer wieder spitzelt zwischen den farbenfroh angemalten Gebäuden das Blau der Ostsee hervor. Die Straße wird links und rechts von einfachen Holzstrommasten flankiert, wie es sie in Deutschland vor 50 Jahren gab. Nach Engure hat uns der Kiefernwald wieder. Von der Fläche Lettlands sind 40% bewaldet. Nur das Nachbarland Estland weist mit 50% Wald noch einen größeren Anteil auf. Eine dichte Matte von Heidelbeersträuchern bedeckt den sandigen Boden. Zur richtigen Zeit kann man sich mit Unmengen Heidelbeeren eindecken, wie in vielen Wäldern Lettlands. Pilze und Heidelbeeren sind quasi die Bodenschätze Lettlands.

Zwei uralte LKW-Wracks rosten wenige Meter entfernt vor sich hin.

Im 260-Einwohner-Straßendorf Berzciems wollen wir uns eigentlich nur mal zum nahen Meer durchschlängeln. Aber dort stoßen wir auf eine überdachte Picknickbank direkt am Strand. Perfekt für unsere Mittagspause. Zwei uralte LKW-Wracks rosten wenige Meter entfernt vor sich hin. Das Wasser riecht brackig und der Strand sieht nicht besonders einladend aus, zumindest nicht zum Baden, bildet jedoch eine malerische Kulisse. In Google Earth schaut dieser Strandabschnitt aus, als würde er ab und zu durch eine Untiefe vom restlichen Meer abgeschnitten. Einige Schwäne beäugen uns neugierig, merken aber ganz schnell, dass die zwei Gestalten nichts von ihrem Mittagessen abgeben und grundeln deshalb mit hoch aufgerecktem Hinterteil eifrig weiter im schlammigen Meeresgrund.

WiFi – mitten in der Pampa
Leuchtturm mit Wärterhaus im Wald
ein großes, weißes P auf blauem Grund. Und klein darunter in der rechten Ecke: Free Wifi. Hier?

Kaum weitergefahren, kommt der nächste Halt. Eine weitere Bucht und ein Leuchtturm wollen erkundet werden: Mērsrags (deutsch Markgrafen), so nennt sich der Ort. Und Mērsraga baka, das ist der Leuchtturm. Schon 1875 erbaut (erstaunlich: in Frankreich vorgefertigt und in Lettland zusammenmontiert), markierte er die Küstenlinie zwischen Rīga und dem Kap Kolka, dem nördlichsten Punkt Lettlands.

Doch erst mal zieht uns ein Parkplatzschild magisch an: ein großes, weißes P auf blauem Grund. Und klein darunter in der rechten Ecke: Free Wifi. Hier? Mitten in der Pampa auf einem ansonsten leeren Parkplatz? Der Leuchtturm ragt ein ganzes Stück entfernt aus einem bewaldeten Hügel. Super, wir morsen gleich ein paar„günstige” Fotos in den Freundeskreis.

Das Wasser ist im Schutz des zweitgrößten lettischen Kaps durch gelbbraune Steine gesprenkelt, die von Gletschern vor Jahrtausenden hierher transportiert und abgeladen wurden. Das Land hier im Norden war so lange mit den tonnenschweren Lasten des Gletschereises bedeckt, dass es selbst heute noch ob der nicht mehr vorhandenen Eislast „aufatmet” – das Land steigt aus dem Wasser. Das ist vor allem für den Norden Estland dokumentiert. Inwiefern das auch für Lettland zutrifft, können wir nur spekulieren.

Felsbrocken am Strand mit Meerblick

Irgendwo da draußen, 50 Meter vom Leuchtturm entfernt soll sich der Devils Rock befinden. Wir werden von einem lettischen Ehepaar gefragt, wo es zu diesem Stein ginge, doch wir müssen leider passen. Vielleicht hätten wir noch ein Stückchen um das Horn herumgehen sollen? Wenn der Devils Rock einen anderthalben Meter aus der Wasseroberfläche herausragt – können wir ihn unmöglich übersehen haben. Oder doch?

Später treffen wir das Rentnerehepaar am Parkplatz wieder und halten einen kurzen Schwatz mit dem vielleicht siebzigjährigen Herrn. Der Mann spricht Englisch. Das in die Jahre gekommene Auto und das lückenhafte Gebiss des Letten lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass er in seinem Leben groß herumgekommen wäre. Man erwartet bei einem in den Kriegsjahren Geborenen irgendwie keine Fremdsprachenkenntnisse. Er ist seinerseits erstaunt, wie wohlwollend wir uns über sein Land äußern und merkt entgeistert an, dass wir zu Hause die großartigste Landschaft der Alpen vor uns hätten und dagegen die Hügel Lettlands ja gelinde gesagt ein Furz wären. Wieder einmal lassen wir einen zufriedenen Menschen zurück, dem wir versichern, dass sein Heimatland ein bewahrenswerter Schatz ist.

Roja – alles dreht sich um Fisch
Blaues Boot liegt am Hafen

Der nächstgrößere Ort in dem dünn besiedelten Landstrich ist Roja mit gut 2.500 Einwohnern, von denen man jedoch am Nachmittag kaum einen auf der Straße trifft. Roja rühmt sich einer reichen Fischereitradition, besaß sogar eine Schifffahrtsschule, dessen Schüler später als Kapitäne auf den Weltmeeren unterwegs waren. Alles dreht sich um das Thema Fisch. Im Fischereimuseum kann man lernen, ein Fischernetz zu flicken oder verschiedene Seemannsknoten zu knüpfen.

An der Einmündung des Flusses Roja befindet sich ein kleiner Hafen mit einer angeschlossenen Werft. Die Tür zum Gelände steht offen. Besonders fahrlässig von der Werft: die Schilder verbieten uns nicht, das Werftgelände zu betreten ... Einige kleine Segeljachten wiegen sich sanft im Wind. Wind weht eigentlich ständig, egal wo wir uns befanden. Einen windstillen Tag haben wir noch nicht erlebt. An der Kaimauer liegen drei Fischkutter, die auf Vordermann gebracht werden. Liegezeiten nutzt man wohl generell für Malerarbeiten, selbst bei den Fähren ist das so. Der Korrosion durch das Salzwasser und der salzhaltigen Luft wird fortwährend mit neuen Schutzanstrichen entgegengewirkt. Um die Ecke steht ein großes Schiff im Trockendock, bereit, nach der Instandsetzung wieder auf den Schienen zu Wasser gelassen zu werden. Aber vorher müssen noch eine Menge Roststellen beseitigt werden.

Zu restaurierendes Schiff liegt im Trockendock

Von Roja aus sollen auch Schiffe, die jeweils nur ein Dutzend Passagiere aufnehmen können, zur estnischen Insel Ruhnu fahren. Leider lässt unser Zeitplan einen solchen Abstecher nicht zu. Auch Saaremaa ist von Kolka aus ja nicht mehr sooo weit entfernt, von Ventspils aus fahren wohl sogar ab und zu Fähren hinüber auf die Insel. Wir haben uns jedoch die estnischen Inseln aus Zeitgründen total abgeschminkt. Irgendwann, nur nicht jetzt und in diesem Jahr, werden wir sie unter die Räder nehmen.

Lang gezogene Landstraße gesäumt von Kiefernwald

Die Straße von Rīga zum Kap Kolkasrags (Nummer P131) ist erst seit wenigen Jahren geteert, bis 2011 war das hier eine staubige, wellige, meist kerzengerade Schotterpiste. Kerzengerade ist sie noch heute. Breit und manchmal wellig auch. Okay, es gibt natürlich ab und zu Kurven: nur nehmen die einen Radius von einem Kilometer in Anspruch. Gegenverkehr ist eine eher seltene Angelegenheit. Wenn wir Abstecher zu Orten abseits dieser Straße unternehmen, ziehen wir auf der Schotterpiste eine dicke Staubfahne hinter uns her. Zwischen dem Meer und der Straße liegt in der Regel ein gut einen Kilometer breiter, von Kiefern bewachsener Dünenstreifen.

Kap Kolka
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