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Seiffen | Wu's Raachermannel nabelt ...

Motorradfahrer vor Andenkenladen im erzgebirgische Seiffen

Irgendwann steht jeder einmal in Seiffen und muss sich entscheiden, ob er etwas für traditionelle Holz- und Weihnachtskunst übrig hat oder nicht. Bei den Touren durch's Erzgebirge kommt man eigentlich an einem Besuch in Seiffen nicht vorbei. Der komplette Ort ist mit nicht enden wollender Hauptstraße so was wie ein großer Weihnachtsladen.

So richtige Weihnachtsstimmung kommt um diese herbstliche Jahreszeit noch nicht auf. Es fehlt die abendliche Schwibbogenbeleuchtung in allen Fenstern, die sich sachte drehenden Großpyramiden und der Geruch von Räucherkerzchen. Eins wird man in der Adventszeit im Erzgebirge nicht sehen: Lichtergirlanden, wie mit der Hand eines Chaostheoretikers über Balkone gezogen und wild in allen Farben flackernd. Diese Schrecklichkeit, von deren visuellen Eindrücken man Gefahr läuft Augenkrebs und unruhige Zustände zu bekommen, bleibt einem im Erzgebirge ganz sicher erspart. Warmweiss ist in!

Der Name "Seiffen" hat nichts mit dem besonderen Reinlichkeitssinn der Seiffener zu tun. Auch Reinigungsmittel stellen sie keine her. Vielmehr zeugt der Name von der bergbaulichen Geschichte des Ortes. Um 1240 wurde hier zinnhaltiges Schwemmland gefunden. Dieses im Tagebau abgebaute Erz "seiffte" man aus, d.h. man wusch es ähnlich wie beim Goldwaschen. Im 14. Jahrhundert wird der Ort als "czynn syffen" erwähnt.

Motorrad vor Holzypramide und dem Pyramidenhaus

Im 18. Jahrhundert gehörten neunzig Prozent der Bevölkerung bergmännischen und bergverwandten Berufen an. Nach 1763 kam der Bergbau allerdings durch den Siebenjährigen Krieg und dessen Folgen fast zum Erliegen. Die oberflächlichen Erzlager waren erschöpft. So verlegten sich viele Bergmänner auf die Holzarbeit.

Blick auf das Schwibbogenhaus in Seiffen
Bergkirche von Seiffen

Die gewerbliche Verarbeitung des Holzes war in Seiffen und in den böhmischen Nachbarorten schon länger beheimatet. Der erste Drechsler wird im Kirchenbuch 1644 erwähnt. Drechseln war zu damaliger Zeit eine Liebhaberei der Fürsten, Kurfürst August besaß viele sorgfältig gepflegte Drechsel-Werkzeuge.

Ab 1763 wurden dann zahlreiche Pochwerke umgerüstet: die Wasserkraft half nicht mehr, das schwindende Erz zu zerkleinern, sondern es trieb die Drechselbänke an. Wer nicht das Glück hatte, einen Wasserlauf zur Verfügung zu haben, der musste seine Drechselbank mit Muskelkraft betreiben, was ganz schön schweisstreibend war.

In der ersten Zeit wird man mehr häusliche Gebrauchsgegenstände wie Teller und Schüsseln hergestellt haben. Erst Anfang des 19. Jahrhundert ging man nach und nach zu Spielzeug über. Wahrscheinlich ist beim Drechseln eines Tellers die Reifentechnik entstanden. Sozusagen als Ausschuss: Im Randprofil eines in der Mitte durchbrochenen Tellers sah der Drechsler eine Figur und so war die neue Art geboren, aus einem Reifen viele kleine Figuren abzuspalten.

Seiffen ist ein Mekka für alle Liebhaber erzgebirgischer Weihnachtsfiguren. Zugegebenermaßen stößt nicht jede Figur auf grenzenlose Zuneigung. Über Geschmack lässt sich jedoch nicht streiten. Am ehesten gefällt der Holzschmuck, wenn man derartige hölzerne Gesellen wie Räuchermänner und wuchtige Nußknacker wie ich als ein Stück Heimat definiert und den Geruch der Räucherkerzchen (die damals ausnahmslos Weihrauchkerzchen waren) mit Erinnerungen an Omas Stube in Verbindung bringt.

Die Läden und Werkstätten sind auch an Sonn- und Feiertagen für die Besucher und potentiellen Käufer geöffnet. Um die Weihnachtszeit soll es hier zugehen wie früher bei Karstadt während des ersten Sommerschlussverkaufstages. Da wäre es unter Umständen ratsamer, einen traditionellen Weihnachtsmarkt, z.B. in Schwarzenberg oder Annaberg zu besuchen. In der Mittagszeit (manche Märkte öffnen am Wochenende schon um 11 Uhr) herrscht dort noch genug Ruhe, damit man sich ohne lästiges Gedränge umschauen kann.

Holzfiguren in Schaufenster in Seiffen

Wie das Holzkunstgewerbe im Erzgebirge entstanden ist, verdeutlichen zahlreiche Exponate im Spielzeugmuseum. Sehr interessant ist das Freilichtmuseum im oberen Ortsteil, ein Areal mit uralten Bauernhäusern. Einige standen hier schon seit Jahrhunderten. Andere wurden an entfernten Standorten abgebaut und in Seiffen detailgetreu wieder aufgebaut. Hier kann man in der Reifendreher-Schauwerkstatt zuschauen, wie diese Figuren entstehen. Wer es noch nie gesehen hat, ist verblüfft, wie aus einem unspektakulären Holzreifen mit Rillen nach dem Spalten verschiedene Tierfiguren purzeln.

Gegenüber des Pyramidenhauses, mitten in Seiffen und nicht zu übersehen, steht bzw. sitzt der größte Räuchermann der Welt. Er misst mehr als fünf Meter Höhe und besteht aus rund zwei Tonnen Lindenholz. Zu jeder halben sowie vollen Stunde quarzt er aus vier Öffnungen. Auch das Sprechen hat man ihm beigebracht – er rezitiert Gedichtzeilen. Damit das handwerkliche Meisterstück nicht dem gleichen Schicksal ausgeliefert wird, das jedem Holz im Regen blüht, hat der Erbauer der Figur eine schützende Konstruktion mit Pultdach vergönnt. Insgesamt soll der Erschaffer 60.000 EUR in das Projekt "Größter Räuchermann der Welt" gesteckt haben und – wenn wir das richtig verstehen – vollkommen privat. Aber dieses Dach ist nun der Grund, warum die Figur zum Zeitpunkt im Mittelpunkt einer regelrechten Dickschädelposse stand.

Der größte Räuchermann der Welt in Seiffen

Im Oktober 2014 wurde der privat erschaffene Räuchermann, der auf den Namen "Ehrenfried" getauft wurde, eingeweiht. Die Figur ist in Privatbesitz, steht jedoch direkt an der Straße. Die Gemeinde beharrt im Jahr 2016 plötzlich darauf, dass es laut Gemeindesatzung keine flachen Dächer geben darf. Gut, man sieht es ja ein, im Erzgebirge fällt viel Schnee, da macht das durchaus Sinn. Dickschädel Gemeinde besteht auf Spitzdach. Okay. Dickschädel Räuchermannbesitzer beauftragt die Planung des neuen Daches. Bei Sichtung der Kosten trifft ihn der Schlag: 10.000 EUR – die er aus eigener Tasche zahlen soll. Das sieht er nun mal gar nicht ein, er schaltet auf stur und will "Ehrenfried" verkaufen. Er stellt ihn bei Ebay ein: 107.000 Euro Verkaufserlös sind ihm jedoch nicht genug. Die zweite Auktion kommt lediglich auf 99.000 Euro. Also bleibt er vorerst stehen. Es müsste ein Mindestpreis erreicht werden (den er jedoch nicht verrät).

Die beste Lösung wäre natürlich gewesen: die Gemeinde baut und bezahlt das Dach. So hätte Seiffen einen witzigen Hingucker und die Zeitungen nur positive Schlagzeilen über Seiffen. Leider hat der Klügere nicht nachgegeben und Seiffen hat eine Attraktion weniger. Denn letztendlich wurde "Ehrenfried" vom Chemnitz-Center in Röhrsdorf bei Chemnitz erworben und steht nun dort in Gesellschaft von Möbel-Höffner und Saturn.

Genug Holz gesehen. Unser Kaffeedurst zieht uns in ein Café. Oh Gott, die Kuchenauswahl überfordert uns! Welchen sollen wir denn bestellen? Kirmeskuchen? Zuckerkuchen? Eierschecke? Oder Kleckselkuchen? Alles sehr lecker. Die erzgebirgischen Kuchen schmecken wie zu Hause bei Muttern. Wer in's Erzgebirge fährt, muss eben damit leben, dass kleine arzgebargsch sprechende Manneln nachts im Dunkeln heimlich die Motorradhosen enger nähen ...

Flugzeugmuseum Cämmerswalde
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