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Mit der Fähre von Ancona nach Çesme

Großes Schiff liegt in der Abendstimmung im Hafen von Ancona

(Achtung, diese Anreise ist leider nicht mehr möglich, die Fährverbindung wurde gecancelt!)

Wir treffen am neuen Check-In-Büro am Hafen von Ancona ein. Hier erwartet uns die türkische Gelassenheit im Umgang mit dem Chaos. Beim Check-In hat der Beamte alle Zeit der Welt. Im Einfinger-Suchsystem hackt er die Nummern unserer Reisepässe in den betagten PC am anderen Ende des Tastaturkabels. Er schildert uns den Weg zur Anlegestelle, die sich am hinteren Ende der Hafenanlage befindet. Die Fähre müsste längst da sein, aber der Anlegeplatz ist noch leer.

Die Fährüberfahrt ist die erste in dieser Saison. Dies ist für das türkische Fernsehen Grund genug, eine Reportage darüber zu bringen. Fernsehkameras, Mikrofone, Stative, Leuchten und viele wichtige Menschen bevölkern die Anlegestelle. Ein Mann mit roter Krawatte moderiert. Leider hat die Fähre auf ihrer ersten Fahrt schon gleich mal eine Verspätung von mehr als zwei Stunden. Wir treffen noch andere Motorradfahrer. Ein GS-Fahrer aus Mailand, der Richtung Syrien fährt, eine Frau mit einer Transalp, die das gleiche Ziel vor Augen hat, und noch ein paar andere mehr.

Die Fähre biegt endlich in den Hafen ein. Untypische Hektik bricht aus. Die Ladeluke fährt herunter. Mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Fast unvorstellbar nach dem Sonnenschein, der uns den ganzen Tag zum Schwitzen brachte.

Türkische Gelassenheit vs. türkisches Chaos

Die Motorräder werden gleich an den Rand der Einfahrt gewinkt. Danach kümmert sich keiner mehr um uns. Irgendwann bedeutet man allen langsam nervös werdenden Zweiradfahrern pantomimisch, mal einfach da stehen zu bleiben. Nur die Ruhe! Einige Motorradfahrer beginnen ihr Gepäck abzurödeln.

Schiff abends im Hafen von Ancona

Der "Einweiser", dem die türkische Gelassenheit mittlerweile abhanden gekommen ist, macht uns klar, dass wir anschließend, nachdem die Autos eingefahren sind, noch einmal umdrehen müssen. Klasse! Dann warten wir lieber erst einmal mit dem Abpacken. War man mitleidig mit uns und hat uns einfach erst mal ins Trockene holen wollen? Vermutlich sparen die diesmal an Personal, denn gleich hier wird ein Tischchen aufgebaut, an dem man die Papiere einholt und uns die Kabinenkarten austeilt. Zumindest hat man die Kofferträger-Begleitung von der Rezeption bis zur Kabine gespart. Vollbepackt ab Autodeck macht die Kabinensuche doppelt Spaß.

Die Sache mit dem Daumennagelzettel

Aber so weit sind wir noch nicht. Ein weiteres bemerkenswertes Ritual ist das Aushändigen unserer Reisepässe und des Fahrzeugscheines an die Schiffsbetreuer. Die diese Dokumente sofort in eine knittrige weiße Papiertüte stecken und wie durch ein Wunder einen ominösen, weißen Zettel von der Größe eines Daumennagels herauszaubern, der im ersten Moment keinen dokumentarischen Charakter aufweist. Aber auf dem Daumennagelzettel steht eine Ziffer. Und in der Knittertüte mit DIESER Nummer stecken unsere Reisepässe. Wir wissen von unseren ersten Türkeitour, dass wir ohne diesen Zettel unsere Reisepapiere bei der Ankunft in Çesme nicht ausgehändigt bekommen. Apropos Zettel, wo ist der eigentlich? Das Servicepersonal mutiert wegen der Verspätung zu kleinen, umherwirbelnden Derwischen, die ein klein wenig den Überblick verloren haben.

Unser wichtiger Daumennagelzettel steckt noch in der uns entrissenen Tüte und erst auf erneutes Insistieren wird er uns dann eiligst ausgehändigt. Die türkische Gelassenheit ist futsch. Oh ja, schön: Nun ist auch klar, dass wir die Motorräder von unserem aktuellen Standpunkt an das andere Ende der Fähre befördern dürfen, da sie dort verzurrt werden. Ganz sicher brauchen alle Motorradreisende bald eine Dusche. Die Koffer, Rollen und sonstigen Utensilien unserer Mitreisenden stehen in unmittelbarer Nähe der hinteren Ladeluke. Und die Motorräder am vorderen Ende der Fähre. Das Schiff ist 150 m lang. Und plötzlich ist jeder am Schwitzen. Außer dem einen Fahrer, der sein Mopped schon abgepackt und verlassen hat ...

Auf der Fähre

Nix wie ab in unsere Kabine. Vorher wird noch ein kleines Fitnessprogramm absolviert, da die pneumatische Tür zum Aufgang defekt ist und sie nur von kraftraumgestählten Männerarmen per Muskelkraft geöffnet werden kann – was besonders erfreulich ist mit einem Koffer, einem Tankrucksack über den Schultern und einem Topcase im Schlepptau.

Diesmal leisten wir uns einen tollen Ausblick auf das vor uns liegende Meer und haben zum ersten Mal eine Außenkabine gebucht. Wir schmeißen alles hin. Und verwandeln wie immer die aufgeräumte Kabine in ein Schlachtfeld.

Zwei Motorradfahrer in einem Hotelzimmer, da schaut es sofort aus, als ob eine Rugbymannschaft zum Duschen ging. Der Bankschalter an der Rezeption bannt unsere Euronen auf eine Geldkarte, die an Bord das aktuelle Zahlungmittel ist. Karte leer bedeutet Hunger und Durst oder neues Aufladen am Bankschalter.

Wir legen ab und die ganze Kabine fängt an zu vibrieren. Ein gleichmäßiges Geschaukele von links nach rechts. Oh ja!! Es schaukelt etwas mehr als wir es bisher von italienischen, griechischen und kroatischen Fährfahrten gewöhnt sind. Drei Nächte auf dem Schiff haben wir vor uns. Wir werden sehen, wie das mit dem Geschaukel wird ...

In der Kabine ist es sehr warm und stickig. Wir drehen die Klimaanlage voll auf, müssen jedoch erst einmal studieren, wie die funktioniert. Die englisch anmutende Anweisung neben dem Thermostat enthält Wörter, die uns statt englisch etwas spanisch vorkommen. Wahrscheinlich arbeitet die Klimaanlage auf vollen Touren, trotzdem dauert es eine Weile, bis die Anlage die aufgeheizten Kabinen runterkühlen kann.

Das Gegenteil haben wir zwei Tage später, da wird es am Morgen so kalt, dass wir auf 30° C hochdrehen – aber ob das Stellrädchen überhaupt eine Funktion hat? Ein Passagier erzählt uns, dass er bei einer seiner vielen Fahrten die Klimaanlage mit Klopapier zugestopft hat, weil sich die Familie sonst verkühlt hätte. Vermutlich will man den Morgenmief aus den Kabinen pusten, denn am Nachmittag ist die Temperatur wieder angenehm und die Eiszapfen schmelzen wieder.

Füsse oben – füsse unten – füsse oben ...
Türkische Fahne weht auf der Fähre bei der Überfahrt Ein Matrose kontrolliert ein Rettungsboot auf der Fähre

Die letzte Nacht war überaus stürmisch. Ein netter Mensch von der RECA gab uns die Außenkabine mit dem schönsten Ausblick an Bord. Herrlich! Direkt nach vorn über den Bug. Fast ganz oben, über uns gibt es nur noch ein Deck. Schöne Aussicht. Herrlich! Vor allem, wenn nachts die Brecher über dem Bug hereinbrechen. Immer an vorderster Front, wenn das Schiff über den Wellenkamm gehoben wird. Ich zweifle, ob das mit der Außenkabine wohl wirklich eine so gute Idee war. Bett quer zur Fahrtrichtung.

Füße oben ... Füße unten ... Füße oben ... Füße unten.

Fischefüttern müssen wir beide gottseidank nicht – das wissen wir spätestens, seitdem wir die Fähre von Sizilien nach Malta "überlebt" haben, ohne die Tüten wie 80% der anderen Passagiere zu benutzen – mir geistern nur dauernd Szenen aus der "Titanic" durch den hin- und hergewiegten Geist.

Und wieso beruhigt es mich überhaupt nicht, dass das Schiff vermutlich ursprünglich in Finnland gebaut wurde und schon seit 1974 den Stürmen des Mittelmeeres trotzt? Hmmm, ich schau nicht auf die rostigen Stellen draußen in den Ecken des Schiffes, die vom Personal fleissig mit viel Farbe zugekleistert werden. Ich verbiete Jochen, mir noch mehr von seinen Erkenntnissen über das biblische Alter des Kahnes mitzuteilen.

Auch habe ich wohl die Urlaubslektüre nicht gerade umsichtig gewählt. "Der Schwarm" von Frank Schätzing.

Das gesamte Buch spielt im und am Meer. Das erste Ereignis in dem Buch: ein Fischer gluckert mit seinem Fischerboot ab. Weitere Verluste folgen. Perfekter Stoff für Fantasien.

Bei der Kontrolle am türkischen Zoll Im Hafen von Cesme

Drei Nächte später. Dienstag. Früher Morgen. "Die werden ja wohl eine Durchsage machen, wann wir aus der Kabine rausmüssen ...?!"

Es klopft an der Tür. "Aha!! Das ist die Durchsage!"

Die drei Stunden Verspätung haben wir wieder wettgemacht und wir laufen pünktlich im Hafen von Çesme ein. Da die Moppeds an vorderster Position stehen, und keiner der anderen Fahrzeuge das Schiff verlassen kann, bevor wir weg sind, beladen wir unsere BIG TURTLE zügig.

Aber denkste, raus aus dem Schiff und nix wie weg aus dem Hafen is' nich'! Zuvor steht erst noch – was? Richtig, die türkische Gelassenheit, das türkische Chaos und damit in Einheit: der türkische Zoll ... Die Beamten befinden sich paarweise in einigen weißen Plastikhüttchen.

Wir stellen uns an einer Hütte an und zerknirscht nach einer halben Stunde fest: dass wir uns woanders anstellen müssen. Der PC funktioniert nicht. Die Beamten holen einen Hammer. Wollen sie den Rechner reparieren? Nein, nur die klemmende Plastiktür. Wir lachen uns schlapp, die haben echt die Ruhe weg!

Gut, dass wir wieder wie bei unserer ersten Ausreise aus der Türkei einen deutschsprechenden Türken an unserer Seite haben, der die eigentümlichen Fragen der Zollbeamten übersetzt und ab und zu deren Fragen eigenmächtig beantwortet. Auf die Frage, wie der Vater des Fahrzeugbesitzers mit Vornamen heißt, antwortet er dem Beamten: "Schreib ‚unbekannt'!"

Nach einer anderthalben Stunde ist es endlich vollbracht: die Beamten haben unsere Fahrzeugnummer mit dem Einfingersuchsystem zu zweit in die Tastatur gehackt. Dabei sagt ein vermutlich Höhergestellter an, der andere sucht und tippt. Die Beamten checken dreimal unsere Papiere und das große stacheldrahtbewehrte Hafentor öffnet sich schließlich vor unserem Vorderrad.

Ägäis bis zum Schwarzen Meer