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Von Çeşme zum Schwarzen Meer: Mittelgebirge & viiiiel Tee

Westanatolisches Binnenland

Am Busbahnhof von Çesme trinken wir türkischen Kaffee und erküren vier Börek-Rollen zu unserem Frühstück. Beim Bezahlen krame ich verzweifelt in meinem Gedächtnis nach der genannten türkischen Zahl.

Verflixt, habe ich da eine Ziffer vergessen? Welche fängt noch mal mit Se... an? Bir, iki, üç, dört, bes ... Hmmm, Se...ven? Seven! Ich grinse in mich rein – der Verkäufer hat mir den Preis in englisch genannt!

In zwei Tagestouren wollen wir es bis an die Schwarzmeerküste schaffen. Die Strecke führt uns von Çesme über Izmir ins westanatolische Binnenland und dann nordöstlich hinauf bis an die Schwarzmeerküste. Wir sind vorbereitet, dass es nicht sehr warm sein wird – auf dem Schiff haben wir in der Bar den Fernsehwetterbericht deuten können.

Mit dem Motorrad durchs westanatolische Binnenland
Yaylas in einem Bauernhof

Wir durchqueren Gegenden, dessen Bewohner sich von der Landwirtschaft bzw. Viehhaltung ernähren. Manche Anwesen und dörfliche Häuseransammlungen sind regelrechte Yaylas. Als Yaylas bezeichnet man Almen, die man vor allem im Pontischen Gebirge in höheren Gebieten antrifft. Wir können uns absolut nicht vorstellen, dass man in diesen mühsam zusammengehaltenen Bretterhütten wohnen kann – aber vielleicht wohnen darin ja nur die Schafe? Die haben wir sehr wohl gesehen – Menschen dagegen nicht!

Wir sind unbemerkt in immer höhere Regionen gestiegen und haben jetzt mit Mühe kaum noch 10°C. Auf einigen Bergstrecken fällt die Temperatur sogar unter 10°C. Wie sich später beim Blick auf öffentliche Temperaturanzeigen herausstellt, müssen wir von der Temperatur unseres Schnabelthermometers (der Sensor sitzt unter dem Schnabel) noch zwei Grad abziehen! Jetzt zeigt sich, dass es richtig war, das Thermofutter in der Hose zu belassen.

In einer Tankstelle werden wir – wie eigentlich bei jedem Tankstopp – mit heißem Cay wieder aufgepäppelt. Die Tankstellen sind eine willkommene Gelegenheit, die Toilette zu benutzen. Diese sind in manchen Tankstellen regelrecht grandhotelverdächtig und dem westeuropäischen Standard angepasst. Man kann jedoch auch die normalen türkischen Stehklos erwischen, die vielleicht im ersten Moment gewöhnungsbedürftig sind, aber bei öffentlichen Toilettenanlagen nach meiner Meinung die bessere Alternative darstellen.

Man hat weniger Kontakt mit fragwürdiger Einrichtung, muss sich nirgends draufsetzen – das ist wesentlich hygienischer. Maximal der Wasserhahn und/oder das Töpfchen zum Spülen birgt bakterielle Berührungspunkte. Nur sollte man während dieser hockenden Körperhaltung das Gleichgewicht bewahren können. Haltegriffe darf man nämlich keine erwarten. Türkeireisende täten also gut daran, zu Hause schon mal die verkürzten Beinsehnen zu dehnen ...

Türkisches Motorrad mit Beiwagen zum Transport NOch ein türkisches Motorrad mit Beiwagen

In einer etwas größeren Stadt machen wir um die Mittagszeit einen kurzen Stopp, weil uns die vielen Motorräder, die lautstark durch die Gegend knattern, auffallen. Es findet gerade ein Markt in einer Gewerbeanlage statt, wo man irgendwelche schweren Lebensmittel oder vielleicht auch Baumaterial kaufen kann.

Ein Markt jedenfalls, den nur Männer besuchen und zwar mangels Auto mit einem Motorrad-Gespann. Wir werden freundlich gegrüßt. Ein junger Mann hält neben uns und bietet uns frische Erdbeeren an. Wir müssen uns an diese Gastfreundschaft ohne Hintergedanken erst wieder gewöhnen. ('Der will uns wirklich nichts verkaufen?') Hmmm, lecker. Danke!

Einige Motorräder allsamt defekt liegen auf einer Wiese

Unser Blick wandert die Böschung hinunter und über einen im hohen Gras verteilten, bunten Schrotthaufen: alles motorisierte Zweiräder, die keiner mehr braucht. Ein richtiger Moppedfriedhof.

Wir fahren weiter. Die Landschaft ist grandios. Karstige Berge, von niedrigen Bäumen und Gesträuch bewachsen. Manche scheinen vulkanischen Ursprungs zu sein. Wir erklimmen Bergstrassen bis knapp 1500 m Höhe – kein Wunder, dass es kühl wird. Wir haben ja erst Anfang Mai. Das Asphaltband zieht sich in langen, ausladenden Kurven durch die Berge. Der Demirköprü-Stausee, türkisch Demirköprü Baraji, windet sich um die Berge und bildet eine faszinierende Insellandschaft.

Motorrad fährt auf Straße im westanatolischen Binnenland uUnbefestigte Straße nach Tavsanli

Jetzt noch zehn Grad wärmer und es wäre perfekt! Wir haben etwas Probleme, wirklich in der Türkei anzukommen. Die schaukelige Fährfahrt steckt uns mit einem fortwährenden Schwindelgefühl in den Knochen und 10° C sind nicht unsere Wohlfühltemperatur beim Motorradfahren.

Uns tröstet einer weitere Tankstelle mit heißen Tees und einem holzbeheizten Bollerofen im Bürokämmerchen über unseren Kummer hinweg. Bei der Internetrecherche im Vorfeld haben wir im Provinznest Tavşanlı in der Region Kütahaya ein günstiges Hotel ausgemacht, in dem wir nach einem Zimmer fragen. Mitten in der Innenstadt.

Unser Garmin mit der Worldmap führt uns zwar mangels Stadtplänen nicht hin – aber ein Bild auf der Website des Huzur Hotels zeigt einen türkisfarbenen Brunnen und den haben wir zu Hause in Google-Earth gesucht und gefunden. Ausgestattet mit diesen Koordinaten ist das Hotel spielendleicht in der ebenen Stadt zu finden. Was man von der Suche am nächsten Abend nicht behaupten kann! Aber noch sind wir in Tavşanlı. Wir werden vom Hotelmanager persönlich begrüßt. Die Q sollen wir direkt vor die Eingangstür stellen. Der Parkplatz in der Lobby wäre uns lieber gewesen als vor der Lobby, aber vermutlich (hoffentlich?) ist die Rezeption die ganze Nacht besetzt. Die Zimmer sind perfekt. Frisch renoviert. Bevor wir unser Zimmer beziehen, wird der obligatorische Tee in den weichen Sesseln der Lobby fällig.

Türkische Reinigungsrituale für Kuhtreiber

Nach dem Tee wird Jochen von dem Hotelmanager mit einem Parfüm (Kolonya?) besprüht. Pffft – einmal links. Pffft – einmal rechts. Soll vermutlich eine nette Geste sein. Wenn die gleiche Geste von einem deutschen Hotelmanager ausgegangen wäre – ui ui ui, ab unter die Dusche!

Glas mit türkischem schwarzen Tee

Schließlich bekommen wir zum Reinigen Kolonya in die Hände geschüttet. Kolonya, des Türken liebstes Wässerchen mit Duft, in der Beliebtheitsrangliste wird es vor Raki platziert. Der Name soll Kölnischwasser entlehnt sein. Der Geruch orientiert sich jedoch kaum an 4711. Das Zeug betört nach einem zünftigen Reinigungsritual den Kuhtreiber selbst noch durch die Sommerhandschuhe – wie wir bei unserer ersten Tour belustigt feststellen mussten.

Jochen macht wieder einmal gute Mine: er mag das Zeugs nicht, aber da er sich den Landessitten anzupassen sucht, hält er todesverachtend die Hände hin. Kolonya findet man in Literflaschen in jedem Krämerladen und jedem Supermarkt. Entweder in einer Plastikflasche mit Längsrillen oder in einer Glasflasche mit quadratischem Kristallmuster.

Es wird nicht nur als Duftwässerchen benutzt, sondern auch als Seifenersatz zur Reinigung verwandt, wenn gerade kein Wasser zur Hand ist. Als Willkommens- oder Abschiedsgruß wird es dem Gast im Restaurant in die Hände gegossen. Mit glücklichem Gesicht reibt man sich die türkischste aller Flüssigkeiten in Hände und Arme und wer es mag, tupft sich etwas davon an den Hals. Und schwups, fühlt man sich um 50% orientalischer.

Ich bekniee Jochen, er soll mir bescheinigen, dass der Hotelflur schaukelt, die Treppenstufen unter meinen Füßen wegsacken und der Fußboden wie ein Schiffsmotor ruckelt. Aber er lässt mich elendig hängen und bestätigt mir nichts von alledem. Der Schuft! Ich sitze hier und unter mir schwankt der Stuhl weg. Absolut verrückt. Ich habe wohl noch den heftigen Seegang auf der Fähre in den Knochen stecken. Ich bin gespannt, wie lange das anhält.

Abends bummeln wir durch die Stadt. Wir fallen auf und sind offensichtlich die einzigen Ausländer in Tavşanlı, die keinerlei touristische Sehenswürdigkeiten bietet. Schließlich betreten wir eine Lokanta. Wir deuten auf die Gerichte in der Theke und bestellen. Mit Salat und Getränken berappen wir am Ende umgerechnet 8,– Euro – ein Spottpreis für so ein umfangreiches Mahl.

Eigentlich wollte Jochen auch noch ein Efes trinken und auch ich fände, dass ein Glas Wein dem Abend ein Krönchen aufsetzen würde. Hier in der westanatolischen Provinz finden wir keinen Laden, der auch Alkohol führt. Und die Speiselokale sind alle Lokantas ohne Alkohollizenz. Mit nur noch geringer Hoffnung fragen wir an der Hotelrezeption und der junge dynamische Herr flitzt hinüber zu einem Kiosk und kommt mit einer verschämt papierverhüllten Bierdose wieder. Also doch! Es gibt zumindest Bier, wenn man die richtigen Leute kennt.

Frühstücksraum

Nächster Morgen. Vor uns steht ein traditionelles türkisches Frühstück. Schwarzer Tee, hartgekochte Eier, Weißbrot (Ekmek), Oliven, Schafskäse, Tomaten, Gurken und die berühmtberüchtigte rote Wurst.

Gibt es in der Türkei nur eine Sorte Wurst? Schon bei unserem ersten Besuch servierte man nur diese eine Sorte. Oder bemerken wir Banausen die geschmacklichen Unterschiede nur nicht unter dem Knoblauchgeschmack? In dem Huzur-Hotel steigen offensichtlich ausschließlich Geschäftsleute ab. Logischerweise – denn die Stadt ist alles andere als touristisch geprägt.

Tourismus findet eher im einige Kilometer entfernten Kütahaya statt, wo Thermalquellen Urlauber anlocken. Auf der Dachterrasse vor dem Kahvalti Salonu, dem Frühstücksraum, treffen wir einen türkischen Sales Manager von der italienischen Firma Zanussi. Gesprächsstoff bieten – wie nicht anders erwartet – unser Motorrad und wir selbst. Natürlich will er wissen, ob wir verheiratet sind ;-). Auch der Berufstand des Fahrers eines so teuren Motorrads interessiert ihn und er gibt die für ihn einzig möglichen Antworten suggestiv vor: Doktor? Ingenieur?

Die Alarmanlage unserer BIG TURTLE vermeldet wieder mal ein dumpfes "Böööp" beim Entsichern – da wollte wohl wieder einer "Nur mal draufsetzen". Wir sind uns relativ sicher, dass keine nächtlichen, kriminellen Aktivitäten die Alarmanlage auslösen, aber es ist natürlich ein seeehr beruhigendes Gefühl, die Alarmanlage an Bord zu haben. Als wir die BIG TURTLE aufrödeln, ist ein großes Haus gegenüber in dichte, schwarze Rauchschwaden gehüllt, die aus dem überdimensionalen Schornstein quellen und über das Dach nach unten wabern. An den Geruch der allgegenwärtigen Kohleheizungen werden wir uns noch gewöhnen müssen.

Straße führt am Berghang entlang in der Nähe von Eskesehir

In Eskisehir wird es langsam wärmer, was wohl auch der großen, Sonnenenergie speichernden 600.000 Einwohner-Stadt zuzurechnen ist. Wir fahren an der größten Universität der Türkei vorbei, die zugleich eine der zehn größten der Welt ist und stehen kurz darauf vor einem weithin sichtbaren Bergrücken, den wir nun in Angriff nehmen müssen.

Also lieber wieder die dicken Handschuhe auspacken. Dies tun wir in einer Tankstelle an der Ausfallstraße, die zu dem Bergrücken führt. Wieder werden wir an einen Tisch gebeten – Cay-Time. Es kommt uns ganz gelegen. Sonne tanken. Hier herrschen Temperaturen von ca. 20° C, was eine 100%ige Steigerung gegenüber den Stunden zuvor bedeutet. Wir genießen die Allianz von heißem Tee und Sonne und besuchen die hiesige Toilette, die uns wieder mit ihrer Mischung aus Tradition und Moderne amüsiert. Ein typisch türkisches Stehklo mit kaputter Spülung: das Wasser rinnt nicht aus dem Hahn, sondern stracks an der Wand herunter, findet aber auch auf diesem Weg das rechte Ziel...

Und ein weiteres Gimmick erheitert den geneigten Hocker: ein sehr sensibel eingestellter Bewegungssensor entscheidet über "Hell" oder "Dunkel". Immer in Bewegung bleiben, in jeder Sekunde – auch in der Hocke. Zum Stadtnamen Eskesehir haben wir uns eine Eselsbrücke geschaffen, um uns die Aussprache des Städtenamens zu merken: Eske – wie man's spricht, danach "-sehir" spricht man wie "schir", somit heißt diese Stadt bei uns "Essgeschirr". Wir steigen hinauf über die Anhöhe und gelangen auf ein Hochplateau. Nach einiger Zeit frage ich Jochen, wo wir ungefähr sind. Es ist zwischen 15:00 und 16:00 Uhr und Jochen murmelt in seinen seit Tagen munter sprießenden Bart, er getraue es sich kaum zusagen, dass wir gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Tagesstrecke geschafft hätten.

Zonguldak – eine gigantische Berg- und talbahn
Panoramablick auf das Meer über die Dächer von Zonguldak

In Kilimli am Schwarzen Meer werden wir erwartet: Wir folgen einer Einladung von Adnan und Nejla nach Kilimli, das zu Zonguldak gehört. Adnan ist der Bruder von Osman, den wir während unserer ersten Türkeitour kennen lernten. Beim Eintreffen in Zonguldak bzw. Kilimli ist es schon nach 19:00 Uhr. Die Fahrt war abwechslungs- und kurvenreich und wir haben nicht damit gerechnet, dass wir so lange unterwegs sein werden. Das Haus von Adnan haben wir vor vier Wochen zusammen mit Osman in Google Earth angeschaut und die GPS-Koordinaten gespeichert.

Verflixt! Wir hätten uns die Gegend mal in 3D ansehen sollen! Die Landschaft besteht aus vielen steilen Bergrücken, als hätten viele Riesenköter ihre Pfoten hinter- und nebeneinander ans Meer platziert und wir fahren auf diesen Pfoten wie auf einer gigantischen Berg- und Talbahn spazieren... Einen Punkt auf dem Navi zu finden, der einen Kilometer Luftlinie entfernt ist, ist ein Unterfangen, für das man viel Geduld, Zeit und gute Federbeine mitbringen muss.

Schwarzmeerküste