Motorradtouren Marokko Rifgebirge Chefchaouen | unterwegs in der "Stadt des Kif"

Chefchaouen | unterwegs in der "Stadt des Kif"

Panoramablick auf die am Berghang liegende Stadt Chefchaouen

Rif – das Paradies des Kif. So lautet der inoffizielle Slogan der Rif-Region. Wir kommen jedoch nicht wegen dem Kiff, das uns als Nichtraucher kalt lässt, sondern wegen der sehenswerten Stadt. Aber Haschisch ist allgegenwärtig.

Das Hotel Parador* direkt an der Medina nimmt uns trotz unserer verschlammten Hosen und Stiefel auf. Ein selbsternannter Führer spricht uns vor dem Hotel an. Er trägt eine braune Djellaba, hat lückenhafte, bräunliche Zähne (bei dem Zuckergehalt des marokkanischen Tees würden sich meine Zähne auch nach einem Jahr verabschieden!) und zeigt uns einen in dickes Plastik eingeschweißten - garantiert echten :-) - Ausweis. Als wir mehrmals bekräftigen, dass wir keinen Guide brauchen, wird der Mann leicht pampig und murmelt irgendwas von "Touristen". Am helllichten Tag werden wir schon wieder rausfinden ...

Stadt mit Blaulichtviertel

Die Stadt liegt an einem steilen Hang und wird von hohen Bergen gesäumt. Die beiden Gipfel Tissoukou (2050 Meter) und Djabal Meggou (1116 Meter) bilden die zwei Hörner, nach denen die Stadt benannt wurde: aus dem arbischen übersetzt heißt Chefchaouen "Schau die Hörner".

Hauseingang weiß angemalt mit kleinem Fenster und Tür beide blau umrandet

Die Stadt hat mittlerweile 55.000 Einwohner (wobei die Angaben verschiedener Quellen um 20.000 Einwohner differieren), was während des Aufenthalts nahe der Medina kaum zu glauben ist – erst während der An- und Abreise werden die Ausmaße der Neustadt bewußt. Sie ist eine sehr fromme Stadt mit sechs Moschee, einer alterwürdigen Festung in der Mitte und sie wird trotz (oder wegen?!) der großen Rauschgifttradition von vielen Individualtouristen, aber auch Bustouristen frequentiert.

Die Häuser von Chefchaouen, das man Tschauen spricht, sind in weiß und blau getüncht. Angeblich soll die blaue Farbe ein Mittel gegen Mücken und Fliegen enthalten. Sagen die Einen. Dass Blau den bösen Blick abhält, sagen die Anderen. Warum auch immer die Häuserwände der Medina so getüncht sind - die Stadt wirkt wesentlich lieblicher als z.B. die Medina von Mulay Idriss, die ähnlich am Berg angelegt ist, aber wesentlich ungepflegter ausschaut (und riecht). Vermutlich ist das liebliche Aussehen von Chefchaouen der Geschichte zu verdanken. Die Stadt wurde 1471 für Moslems gegründet, die aus Spanien und den spanisch besetzten Städten Tanger und Ceuta flüchten mussten. 1609 brandete eine zweite, spanische Flüchtlingswelle in die Stadt.

Blau weiß gestrichenes Haus mit Türe und vorne an ein gemusteter Teppich zum trocknen

Aus Hass auf die Spanier war die Stadt für Christen bis 1920 verbotenes Territorium. 1926 wurden die Rif-Berber im Rifkrieg von Spaniern und Franzosen angriffen, die schließlich die Stadt für dreißig Jahre in ihr Herrschaftsgebiet eingliederten. So wird noch heute in Marokko nirgends so viel Spanisch als Muttersprache gesprochen wie in Chefchaouen. Es gab eine jüdische Gemeinde, deren Handwerker schöne Lederarbeiten herstellten, für die Chefchaouen bis heute berühmt ist.

Im andulusische Viertel entstammen die Häuserfarben den andalusischen Traditionen. Viele ältere Leute sitzen auf den Stufen ihrer Häuser und in den Gassen spielen die Kinder. Wir schiessen unzählige Fotos. In der Ortmitte kann man die Kasbah bzw. Zitadelle nicht übersehen. Die Kasbah stammt aus dem 15. Jahrhundert und war um 1925 Hauptquartier des Rebellenführers Abd el Krim el Khattabi, der sich gegen den Angriff der Spanier und Franzosen wehrte. Die Reste des Dar el Makhzen, des Sultanspalasts, sind im Kasbahkomplex Gegen einen geringen Obulus ebenso zu besichtigen wie das Volkskundemuseum, das sich mit Handel, Handwerk, Tradition der Rifbewohner beschäftigt. Vom Turm der Zitadelle hat man schöne Ausblicke über die Dächer der Stadt.

Gasse in Chefchaouen in blau gestrichene Häuser und zwei Marokaner im Gespräch vertieft

Unweit eines sprudelnden Wildwasserbaches betreten wir neugierig ein verrußtes kleines Haus. Eine Bäckerei mit offenem Feuer. Für unsere Fahrt am nächsten Tag erwerben wir zwei warme, handgroße Fladenbrote. Derartige Faldenbrote sind überall in Marokko sehr, sehr lecker.

Ein Schmied arbeitet ein Stück weiter in einem kleinen Kämmerchen. In den Gassen befinden sich zahlreiche Geschäfte, viele mit Souvenirs, kleine Drei-Quadratmeter-Lädchen, Kioske, mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs, aber auch das Handwerk ist überall zu sehen, vor allem Schneidern kann man bei der Arbeit zuschauen, wenn sie Kaftane und Djellabas nähen. Auf vielen aus Kisten gebauten Auslagen werden Schuhe, Uhren, Leder, Schmuck, Teppiche, Tücher und viele Kleidung angeboten.

Eine ältere Souvenirverkäuferin sitzt auf einem kleinen Hocker und hat über ihrem Kopftuch noch den typischen mit bunten Wollbommeln verzierten Strohhut der Rifbäuerinnen aufgesetzt. Ich frage sie, ob wir ein Foto machen dürfen. Wir dürfen, aber nur ohne Hut. Ohne Hut wollen wir jedoch nicht. Im weiteren Verlauf der Reise geht uns ein Licht auf: Die Rifbäuerinnen tragen tatsächlich einen traditionellen Strohhut mit vier dicken Wollbändern, die von der Hutspitze bis zur Krempe geführt werden, an der sie in einer dicken Bommel unter der Krempe enden ... aber keinen solchen mit diesen dusslig bunten Bommeln an der Krempe, der wohl extra für die Touristen herstellt wird. Das würde erklären, dass sich die Verkäuferin damit nicht fotografieren (und blamieren) lassen wollte.

Die Gassen sind für den motorisierten Verkehr nicht breit genug - wie alle Medinagassen in Marokko. Jeglicher Schwerlastverkehr findet auf humanoid gezogenen Karren oder mit Eseln statt. So verwundert es nicht, dass auch die Propangasflaschen auf "Al-Qaida-Eseln" befördert werden. Die Flaschen wären alle schon wegen Explosionsgefahr vom deutschen TÜV aus dem Verkehr gezogen worden.

In Marokko scheint permanente Kleingeldverknappung zu herrschen, meinen wir nach diesen Nachmittag in Chefchaouen. Mehrfach versuchen wir eine Kleinigkeit mit einem Hundert-Dirham-Schein (rund zehn Euro) zu bezahlen und jedes Mal kann uns nicht herausgeben werden. An Geldautomaten bekommen wir jedoch nur 200-DH- sowie 100-DH-Scheine, die als Trinkgeld für den Parkwächter und andere Dienstleister absolut überzogen wären. Wir vermuten schon, dass man sich damit einen Mehrverdienst ergaunern möchte, aber da ein solches Phänomen bei unserer Weiterfahrt nicht mehr auftritt, war es wohl doch nur Zufall.

Esel mit Träger mit Gasflaschen gefüllt in einer Gasse in Chefchaouen
Zwei Männer in Gewändern in Chefchaouen beim Gespräch

Im Hotel Parador* genießen wir die Vorzüge vom WLAN und versuchen etwas über die Zeitverschiebung rauszukriegen. Das Internet weiß alles: Marokko hat von April – Juli Sommerzeit. Was heißt, wir stellen unsere Uhren nicht zwei, sondern nur eine Stunde zurück. Ach ja, und dann müssen ja auch noch drei Handys, drei Fotokameras, eine Videokamera und drei Navis auf die neue Zeit eingestellt werden. An die Uhren an den Moppeds sollten wir auch noch denken ...

Die Hotelbar besitzt eine Alkohollizenz, was nicht unbedingt die Regel ist. Das Hotel Parador* ist das einzige Hotel und Restaurant vor Ort, das offiziell Alkohol ausschenkt. Die Betonung liegt auf "offiziell". In den Gassen der Medina lässt sich im Restaurant durchaus ein Wein bestellen, wohingegen alle Restaurants und Cafés am Platz an der Kasbah kein Bier oder ähnliches im Angebot haben und auch auf Nachfrage entsetzt abwehren. So ein Teufelszeug. Am Abend geht es in der Bar des Hotel Parador* hoch her. Einige Marokkaner geben sich die Kante und singen schenkelklopfend Gassenhauer.

Also gut. Campari Orange bitte. Und ein Wasser. „Wetten,“ sage ich zu Judith, „die bringen gleich drei Gläser: eins mit Campari, einen Orangensaft sowie ein Wasser?“ Bingo! Schade, dass ich nicht um Geld gewettet habe.

Wir schliefen nicht wirklich gut in Chefchaouen. Nachts war im Hotel noch eine Feier zugange oder zumindest eine große Anzahl von Gästen eingetroffen, die einiges an Krach mitbrachten. Auch ein nächtliches Feuerwerk war zu hören. Oder waren es Schüsse? Und irgendwo im Hotel brüllte einen Fernseher mordslaut vor sich hin, sicher hatte ihn einer der Barbesucher eingeschalten und ist dabei eingeschlafen. Erst um sechs Uhr war Schluss mit dem Krach.

Madam, Bonbon? mal anders.
Auto steht vor Haus mit Überdachung

Beim abendlichen Spaziergang durch Chefchaouen deutet ein junger Mann im Vorübergehen auf das kleine, rote Kügelchen in seiner offenen Hand: „Bonbon?“. Als wir nicht reagieren, verschwindet er in einem Hauseingang. Einige Tage später, auf der Fähre nach Europa, erzählen wir dem Marokkaner Said von diesem Erlebnis und er schaut uns mit großen Augen an: „Wenn ihr dieses Zeug genommen hättet ... !!!!!“ Er erklärt uns, dass das eine relative neue Ersatzdroge aus Russland sei. Sie kommt als rote Tablette daher und sei ein Teufelszeug mit verheerenden Folgen für den Körper. In Russland wird die aus verschiedenen frei verkäuflichen Arzneimitteln, aber auch hochgiftigen Substanzen wie Benzin und Verdünner hergestellte Droge „Krokodil“ genannt, weil sie die Haut grün färbt und die inneren Organe, die Venen, die Knochen innerhalb eines Jahres zersetzt. Diese fleischfressende Droge soll schon bei einmaligen Genuss abhängig machen.

Am Nachmittag begeben wir uns zu Fuss in das bergige Umland der Altstadt. Direkt hinter dem Hotel geht es den Hang hinab zu einem großen Bergbach. Eine Frau und ihre Tochter sind gerade dabei, einen Teppich am Wasser zu schrubben.

Blick auf die öffentliche Waschstation mit gerillten Steinobeflächen und Frauen bei der Wäsche in Chefchaouen
Gassen in Chefchaouen mit Verkaufsläden für Körbe auf der linken Straßenseite

Das sprudelnde, klare Gebirgswasser der Quelle Ras el Ma wird in zwei grosse, überdachte Waschhäuser umgeleitet, in dem sich ein Dutzend Waschbretter aus Beton befinden. Die Frauen waschen alles von Hand. Eine unglaubliche Arbeit. Zeiten kenne und im eigenen Waschhaus erlebt habe, bekommt hier wieder die ursprüngliche Bedeutung.

Diese Häuser sind bestimmt der femininen Rückengesundheit sehr zuträglich. In anderen Gegenden knien oder hocken die Frauen an mehr oder minder sauberen Flüssen mit ihrer Wäsche. Im hohen Atlas sahen wir Frauen an einem Fluss, der eine dicke, rotbraune Brühe führte – und darin wuschen die ihre Wäsche! Ja, was wollten sie tun, wenn es nur diesen einen Fluss in Ihrer Nähe gibt?

Wir klettern von den Waschhäusern hinauf auf den angrenzenden Hügel mit der kleinen Moschee Bouzaâfar, die während des oben erwähnten Rifkrieges entstand und von den Freiheitskämpfern als Spähposten verwendet wurde. Auch für uns ist dieser Ort ein perfekter Spähposten. Wir haben von hier einen grandiosen Blick auf die Stadt; einen kleinen Friedhof mit in Stein eingefassten Grabstätten; eine alte Frau, die eine Handvoll Ziegen hütet und saugen unsere Lungen voll frischer Luft.

Ein vielleicht 10jähriges Mädchen möchte uns eine selbstgemachte Blumenkette verkaufen, ein Junge bietet anderen, wertlosen Schmucktand an. Wir kaufen nichts. Wenn wir bei jedem, der uns für sehr wenig Geld eine Ware anbietet, etwas kaufen würden, müssten wir bald einen Anhänger mieten.

Der selbsternannte Touristenführer vom Anreisetag lungert auf dem Parkplatz unseres Hotels herum, lässt uns aber diesmal in Ruhe – hat er ein so gutes Personengedächtnis? Heute sorgen wir dafür, dass wir den leeren, wasserdichten Packsack nicht umsonst mitgenommen haben: wir erstehen nach harten Verhandlungen (die den Teppichhändler nach eigenem Bekunden an den Rand des Ruins treiben) einen wunderschönen Kelim. Wir müssen hoch und heilig versprechen, den ruinösen Kaufpreis des Teppichs keinesfalls seinem Bruder zu beichten, der ihn lynchen würde. Der Arme. Wer's glaubt, wird selig. Und kommt in den Himmel. Falls der Himmel so viele Selige verträgt ... Als nächstes werden wir Fes erreichen und wollen uns eine möglichst medinanahe Unterkunft suchen. Inshallah.

dem Mittleren Atlas
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