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Die Fahrt nach Çesme

Ein türkischer Motorradfahrer sitzt auf seinem Motorrad auf einem Kelim Mann verkauft in einem Imbiss Stand Kokorec

Unterwegs am Straßenrand bietet sich uns noch einmal die Chance, ein Kokoreç zu verputzen. Dieses Gericht besteht aus diversen Teilen eines Schafes, die wir nicht näher benennen wollen, umwickelt mit Schafsdärmen, das Ganze ist sehr aromatisch gewürzt und dann an einem langen Spieß über Holzkohle gegrillt.

Es ist ein Gericht, das bei den Türken sehr beliebt, jedoch in der EU eher umstritten und bei Touristen wohl oft verachtet ist. Aber wer in die türkische Küche eintauchen will, sollte auch Kokoreç probiert haben.

Wie in den meisten Imbissen und offenen Grillstellen darf man allerdings keine gehobenen Maßstäbe an das Ambiente, die Utensilien und den Zustand der Kochstelle anlegen. Die Grillutensilien sehen aus wie vom Müll geklaubt, vermutlich haben sie schon zwanzig Jahre auf dem Buckel, aber solche Details muss man bemerken und gleich wieder ausblenden. Und davon abgesehen: wir haben bei keiner unserer Türkeitouren jemals Magenprobleme gehabt, trotz dass wir – nach anfänglichem Zögern – alles gegessen und auch mal ein Glas Wasser zum Kaffee getrunken haben, ohne zu prüfen, ob es auch wirklich aus einer verschlossenen Flasche eingeschenkt wurde.

Und bei dieser Gelegenheit schießen wir auch noch endlich – quasi in letzter Minute – ein Foto von einem Moped mit diesen Kelim-Seitentaschen. Die Fahrt bis nach Çesme ist nicht besonders spektakulär. Auf der Halbinsel wollen wir am gleichen Strand wie vor zwei Jahren parken und dem Meer Tschüss sagen. Nur verstanden wir damals nicht, was die "Gendarma" bei der letzten Tour von uns wollte. Ob wir hier nicht parken dürften? Vermutlich. Aber warum?

Mit dem Motorrad mitten in der Seeschlacht
Türkische Stadtansicht

Dieses Jahr kommen wir an die gleiche Stelle, wo uns die Gendarma beim ersten Mal "belehrte" und trauen unseren Augen nicht: In den Kieseln des Strandes liegt ein Kriegsschiff! Einhundert Meter weiter im Meer ankert ein weiteres. Die Hügel gegenüber sind mit monströsen, weissen Zielscheiben bemalt und in der Wiese stecken ausgestopfte Kampfoveralls als Menschen vortäuschende Kugelziele.

Mein Gott, was ist denn das für eine Übung? Und wir mit dem Motorrad zwischen Geschützmündungen und den Armee-Vogelscheuchen mitten durch!? Die großen Betonquader sind dann vielleicht Panzersperren? Die lagen schon letztes Mal hier – wir konnten nur ihren Zweck nicht deuten. Angehalten haben wir dieses Mal natürlich nicht. Fotografiert auch nicht. Zu heiß, die Chose. Diesmal hätten sie uns bestimmt mitgenommen.

Die weitere Fahrt führt an perversen Feriensiedlungen vorbei. Hügel, die mit Ferienhäuschen zugepflastert sind. Reihe an Reihe und Haus an Haus. Keine Bäume dazwischen, ein riesiges Schlafregal für Urlauber.

Viel zeit vor dem falschen Schiff
Blick durch eine Gasse in den Hafen von Cesme

Als wir am Mittwochabend im Hafen von Çesme eintreffen, liegt die Fähre und ein großer, blauer Frachter einträchtig nebeneinander im Hafenbecken. Morgen müssen wir etwas früher als sonst aufstehen, denn wir sollen schon um acht Uhr zum Checkin am Hafentor sein.

Wir suchen uns ein Hotelzimmer ganz in der Nähe des Hafens. Während der Suche nach einem Hotel fahren wir eine Einbahnstraße entlang. Als diese Straße in eine andere Straße einmündet, bemerken wir, dass ein Metallrost mit spitzen Metallteilen quer über die Fahrbahn verläuft. Die Metallteile ragen acht Zentimeter aus der Straße nach oben.

Wir stoppen. Was ist das denn? Damit vermutlich keiner falsch herum in die Einbahnstraße einfährt, oder? Aber versenken sich die Metalldornen wirklich? Ich steige ab und taste ... Tatsächlich, bei Druck von der richtigen Seite werden die Dornen versenkt. Wir fahren beruhigt drüber. Ganz schön martialische Methoden hier! Nur wenige Meter vom Wasser entfernt finden wir das kleine, nette Grand Faik Otel*. Wir brauchen nur aus dem Fenster des Zimmers zu blicken und sehen die Fähre drüben vor sich hin dümpeln.

Die fähre ist weg! ... weg? ... Weg!
Vor der Fähre beim Check-In im Hafen von Cesme Motorradfahrer steht vor der Fähre beim Check-In im Hafen von Cesme Mehrere Motorräder stehen vor dem Check-In im Hafen von Cesme

Gabi und Ruppert, die wir später auf der Fähre kennen lernen und die in einem Hotel ganz in der Nähe dieser Barriere gewohnt haben, erzählen uns, dass wir nicht die einzigen waren, die dem Metallrost in der Straße vor dem Überfahren tastend auf den Zahn gefühlt haben.

Vom Balkon aus sahen wir die Fähre gestern abend im Hafen liegen. Nur, als wir morgens aus dem Hotelfenster schauen: ist die Fähre weg!
Weg?
Weg!

Nun ja, kurz das Datum abgecheckt ... passt. Beim Check-In war auch alles paletti – also hat sie sich bestimmt nur hinter dem anderen Schiff versteckt. Aber denkste! Da liegt ein zweiter, großer, blauer Frachter.

8:30 Uhr. Wir stehen pünktlich am Hafentor. Außer den zwei Frachtern ist nichts zusehen. Gut, Zoll und Grenzkontrolle dauern ja auch noch ein bisschen.

Zuerst die Drogenkontrolle. Die Moppeds vor uns filzen sie. Zwei junge Italiener und einen alleinreisenden Moppedfahrer aus Milano in unserem Alter. Uns lassen sie in Ruhe. Gottseidank, denn unsere Koffer haben ja keine Innentaschen, so müssten wir jede Unterhose einzeln ans Licht zerren. Da unsere Fähre noch lange nicht in Sicht ist, kommt keinerlei Hektik auf.

Passkontrolle. Während Jochen sich auf dem Mopped langweilt und auf Weisung wartet, zum nächsten Kontrollpunkt fahren zu können, erledige ich schon mal die Passkontrolle.

Zwei Stempel, das war's. Perfekt. Kein kaputter PC heute? Oder ein Mopped, das in dem Ein- und Ausreise-System nicht auftaucht? Wollt ihr auch gar keinen Vornamen von Jochens Vater wissen? Das läuft ja wie am Schnürchen ... wenn denn die Fähre zu sehen wäre!!!!

Wir ertragen alles mit türkischer Gelassenheit. Oder wie würde Osman, unsere Reisebekanntschaft, und mittlerweile guter Freund, von unserer letzten Türkeitour sagen: "Du hast schon die türkische Mentalität genommen!"

Your wife is a chicken! kuddelmuddel auf türkisch
Mann sitzt versunken an einem Holztisch und wartet auf die Fähre Ein Hafenpolizist bei der Suche nach Drogen beim Check-In in Cesme

Jochen hat währenddessen die nächste Kontrolle passiert, hier wird das Fahrzeug "ausgereist". Auch die Pässe gibt er noch einmal mit ab, worauf ihm der Beamte sagt: "Your wife is a chicken!" – Hä??? Wie bitte? Ein Hühnchen? Wie bitte? Aber so langsam dämmert es. Aaaah! "Your wife has checkin!" Er kugelt sich ... Nein, er hat kein Hühnchen geheiratet.

11:00 Uhr – Planmäßige Abfahrzeit unserer Fähre. Aber es dümpeln immer noch die zwei blauen Frachtschiffe im Hafen - mehr Platz als für zwei ist nicht vorhanden.

Mittlerweile hat einer der türkischstämmigen Passagiere rausgekriegt, was hier gerade abgeht: Unsere Fähre musste in der Nacht dem zweiten Frachter Platz machen, denn der hatte einen Motorschaden und musste zur Reparatur in den Hafen einlaufen. Der zweite Frachter ist zwar intakt, könnte den Hafen theoretisch verlassen – wenn, ja, wenn nicht die Besatzung auf Landgang wäre ;-).

Ach, welch herrliches Kuddelmuddel. Ein türkischstämmiger Schweizer meint lachend, dass es uns hier bei den Türken locker auch passieren könnte, dass sie uns das Geld wiedergeben und wir über Land nach Hause düsen müssten.

Wie bitte? Dont panic! Aber zutrauen würde man es der türkischen Fährgesellschaft durchaus. Schließlich steigt die Besatzung des defekten Schiffes auf das intakte um, bringt den Frachter aus dem Hafen und gegen ein Uhr biegt endlich unsere heißersehnte Fähre um die Ecke.

Nachdem der Schlepper die Fähre um 180° gedreht hat, driftet die Fähre bei dem doch recht starken Wind gefährlich diagonal in das Hafenbecken und gibt wieder Gas – und weg ist sie ... Ja, was ist das denn? Haaaallooo! ... Wie viele Tage brauchen wir über Land nach Hause? Fünf? Sechs?

Die verschollene fähre legt an
Die Fähre Cesme der Fährgesellschaft Marmara Lines fährt in Hafen ein Motorrad kurz vor dem Befahren der Fähre der Marmara Lines bei der Passkontrolle

Nach einer Viertelstunde kommt sie wieder ums Eck. Wieder fuhrwerkt ein Schlepper fleißig an ihr herum. Das Anlagemanöver gestaltet sich schwierig. Die Fähre wird vom strengen Wind immer wieder schief in den Hafen gedrückt und driftet unkontolliert herein.

Aber schlussendlich schaffen sie es doch, sie zu vertäuen. 14:30 Uhr. Mit sage und schreibe sechs Stunden Verspätung fahren wir in den Schiffsbauch. Trotz der Warterei von sechs Stunden war es doch recht kurzweilig, denn genug Leute standen herum, mit denen man sich unterhalten und austauschen konnte.

Man konnte allerdings auch nicht weg, selbst wenn man wollte: Hat man einmal die Grenzkontrollen passiert, ist man eigentlich schon nicht mehr im Land. Die stacheldrahtbewehrten Tore schlossen sich hinter uns und wir müssen hier ausharren. Verhungern braucht man nicht: Es gibt ein Restaurant und einen Duty-free-Shop, aber die Preise sind gesalzen: etwa das Dreifache des draußen fälligen Preises.

Die Verladung der Fahrzeuge läuft entgegen der Hektik der Hinfahrt in aller Seelenruhe ab. Alle Fahrer werden nacheinander kontrolliert und eingewiesen, sofort die Radklötze postiert und die Spanngurte neben das Motorrad gelegt – das läuft ja fast mit deutscher Gründlichkeit ab!

Beim Gang durch das Schiff in den folgenden zwei Tagen trafen wir meist mehr Personal als Passagiere. Sitzen und "Leutekucken" ist nicht drin (maximal "Personalkucken", wie es sich in einer Ecke langweilte). Laut unserer Volkszählung sind mit uns nur 35 Passagiere an Bord – bei einer Gesamt-Kapazität des Schiffs von 972 Passagieren kommen wir uns fast wie auf einem Geisterschiff vor ;-)

Wieder ist es gut, einen Deutschtürken oder in diesem Fall einen Schweizer Türken an seiner Seite zu haben. Er schickt irgendwann am Abend einen der Securityleute noch mal runter aufs Autodeck, um zu schauen, ob alle Moppeds auch gescheit verzurrt sind. Denn es ist doch wider Erwarten einiger Seegang, aber gottseidank bei weitem nicht so derb wie bei der Herfahrt.

Fähre Cesem vom Heck aus fotografiert auf das offene Meer

Irgendwann am Sonntag ruft man aus, dass die Reisepässe abgeholt werden können und gegen sechs Uhr stehen wir in den Startlöchern, um gleich nach Verlassen des Schiffes Richtung Modena davon zu düsen. In Modena haben wir uns ein Zimmer reserviert, denn die Sucherei bei Nacht und Nebel wie bei der ersten Tour tun wir uns nicht noch mal an. Dann noch mal sechshundert Kilometer und wir sind wieder zu Hause. Geschafft!

Auch unsere Schutzengel waren vermutlich regelrecht geschafft! Nur drei Wochen nach dieser Türkei-Tour bemerkt ein Freund von uns, dass wir in den letzten zwei Jahren eine ganze Armada sehr gut arbeitender Schutzengel hatten. Seitdem trinken wir jegliches alkoholische Getränk "Auf die Schutzengel!". Durch einen Einbaufehler in einer Werkstatt wurde die Schwingenschraube an der unteren Federbeinaufnahme hinten derart belastet, dass sie im Laufe der Zeit immer mehr ein riss. Immer etwas weiter – in der Türkei fuhren wir noch auf sage und schreibe 25 % der normalen Belastbarkeit. Wenn wir an den Soganli-Pass in Nordostanatolien denken und welche Belastungen dort auf dem Fahrwerk lag! Nicht auszudenken, wenn uns dort das Hinterrad weggebrochen wäre ...

Unser Fazit zu dieser Tour
Fähre Cesem - Ancona Marmara Lines

Was das Wetter an der Schwarzmeerküste anbetrifft, waren wir die reinsten Glückspilze. Und wieder waren reichlich drei Wochen viel zu wenig Zeit für dieses geniale und viel zu große Land.

Wir bräuchten jetzt eigentlich erst einmal Urlaub. Die manchmal etwas anstrengenden Straßen haben einen Eisenhintern erfordert, aber Land und Leute entschädigen für die Schwielen am Hintern tausendfach. Wieder hatten wir viele nette Begegnungen mit Menschen.

Und noch mehr nehmen wir uns für das nächste Mal vor: wir lernen Türkisch. Nur mit dem schnellangeeigneten Grundwortschatz fahren wir nicht mehr hin – das nächste Mal möchten wir etwas mehr verstehen. Wir sahen viel und trotzdem ließen wir sooo viel links liegen. Uns bleibt nur, noch einmal wiederzukommen.