Motorradtouren Baltikum Tour 2 | Litauen & Lettland & Estland Estland U-Boothafen Hara

Lahemaa | U-Boothafen Hara

Motorrad fährt in Schräglage auf bewaldeter Straße im Lahemaa-Nationalpark

Fast hätten wir verpennt am nächsten Morgen. Es war so ruhig im Zimmer vom Guesthouse Rannaliiv*, das im Gegensatz zum Zimmer in Vergi angenehm temperiert ist. Keinerlei Geräusche von draußen dringen durch die Fenster, im Haus ist es auch ruhig. Vielleicht sind wir noch die einzigen Gäste? Wir bemerkten heute morgen nicht einmal, dass es regnete. Wie zwei Murmeltiere schliefen wir, nach den beiden unruhigen Nächten in unserer „Sauna-Kammer“. Mit Frühstück sowie Packen verbummeln wir die Zeit bis das Regengebiet nur noch in einer abgeschwächtem Form über uns steht. Heute verlassen wir den Lahemaa-Nationalpark und wenden uns westwärts Richtung Tallinn. Das ist ja wieder mal eine Mordsstrecke, nur achtzig Kilometer bis zu unserem Tagesziel. Der Himmel ist bedeckt, aber es ist mit 18 °C perfekt zum Motorradfahren.

Motorradfahrer blickt auf die im Hintergrund liegenden reste der geheimen U-Boot-Station Hara

Die kurvige alte Straße Richtung Tallinn ist wieder eine, die ein Motorradfahrer projektiert haben muss. Kurvig und sogar ab und zu ein klein wenig bergig. Wobei ein Höhenunterschied von drei Metern im Baltikum wohl auch schon als Berg gilt. Während eines Foto- und Videostopps futtere ich rot leuchtende Walderdbeeren,wobei mich im Gegenzug die Mücken futtern. Die sind hier besonders gehässig, winzige Viecher, eigentlich gar nicht als Mücke erkennbare Fluginsekten. Aber sie beißen! Sie hinterlassen zwar nicht solche Flatschen nach dem Stich wie die „handelsüblichen“ Baltikummoskitos, sind aber fast noch lästiger.

Der geheime U-boot-hafen Hara
Blick entlang der Hafenmauer der ehemaligen U-Boot-Station Hara

Zwei Buchten weiter. Hara Sadam ist unser nächstes Stichwort. Unweit des Dorfes Hara haben die Sowjets zwischen 1956 und 1958 eine streng geheime U-Boot-Basis errichtet. Das haben wir ja nun schon gelernt: Sadam heißt Hafen. Dafür wurde wie überall die Ostsee militärisch abgeriegelt. Es mussten wohl auch wieder einige Familien ihre angestammten Häuser verlassen, damit die Station mit einem ausreichenden Sperrgürtel versehen werden konnte.

Eine Ausschilderung zum Hafen fehlt, denn eigentlich ist er ja keine Sehenswürdigkeit. Dennoch: er ist ein Relikt, das etwas mit uns macht. Dass das Relikt nicht nur mit uns, sondern eventuell auch mit unseren Geräte etwas macht, erfahren wir nach kurzer Zeit.

Graffiti verzierter Innenraum der ehemaligen U-Boot-Station Hara

Was wir sehen, sind lange Betonbrücken und schmale Gebäude, die ins Meer hineinragen. Manche stehen alleingelassen im Wasser, die verbindenden Strukturen sind verfallen oder wurden absichtlich zerstört. Wir fahren bis auf die Landebrücke, soweit es der aufgeworfene Beton zulässt. Diese U-Boot-Station war eine von drei Entmagnetisierungsstationen für U-Boote, die es in der Sowjetunion gab. Schiffe und U-Boote laden sich bei ihren Fahrten durch das Erdmagnetfeld auf, so dass sie leichte Beute für Magnetminen sind. Durch das Entmagnetisieren der U-Boote verbesserte man außerdem deren Spionagefähigkeit. Es ging darum, sie für das Radar quasi unsichtbar zu machen. Um die bestehende magnetische Ausrichtung aufzuheben zog man die Boote komplett aus dem Wasser und setzte sie starken Wechselmagnetfeldern aus. Dieses Entmagnetisierungsverfahren wird auch heute noch angewendet, auch in Deutschland existiert eine derartige Station (nicht nur für U-Boote, auch normale Schiffe werden entmagnetisiert).

Unterstand bei der geheimen U-Boot-Station Hara Graffiti von Popey an der geheimen U-Boot-Station Hara

Viel ist von der U-Boot-Basis leider nicht mehr zu sehen, die Betonbalken und -wände sind verwittert. Schnee, Eis, Wasser und stürmische Winde haben ihr zerstörerisches Werk vollbracht, seit die russischen Militärs im Jahr 1991 abziehen mussten. Wobei wohl die größte Zerstörung nicht durch die Naturgewalten, sondern durch die Sowjets erfolgte. Immer wenn die sowjetischen Streitkräfte ein hochinteressantes militärisches Objekt verlassen mussten, und das taten sie ja nicht ganz freiwillig, dann haben sie zerstört, was zu zerstören war. Nur nichts hinterlassen, was Aufschluss über die verwendete Technik hätte geben können. Wir sind allein auf der Basis und können uns in aller Ruhe umschauen. Es ist gespenstig. Wir stellen uns vor, wie hier Menschen arbeiteten. Die Löcher in dem langgestreckten Gebäude – welchen Zweck werden sie wohl erfüllt haben? Gut, dass unsere Stiefel wasserdicht sind, denn ab und zu müssen wir in einer wassergefüllten Rinne laufen. Die bröckelnden Betonwände sind mit phantasievollen Graffitis bedeckt. Der riesige Popeye scheint neuesten Datums zu sein.

Kiiu
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