Motorradtouren Marokko Anreise Fähre Comanav

African Chaos | Mit der Comanav-Fähre nach Sete

Rot weißes Vorderteil eines Rettungsbootes mit Aufschrift von der Marokko-Fähre Tanger-Sete

Wenn wir gewusst hätten, was wir uns mit dieser Fährüberfahrt einhandeln – wären wir besser nach Spanien und danach "über Land" nach Hause gefahren! Oder wären mit der GNV-Fähre nach Genua gefahren, von der wir dachten, sie käme (für uns) zu spät an. Wir hatten das afrikanische Chaos nicht eingerechnet.

Nachmittags erreichen wir den Hafen von Tanger Med und sind gespannt, wie die Grenzformalitäten dieses Mal ablaufen, die chaotischen Formalitäten mit den Abfertigungsnummern bei der Anreise auf der Grandi Navi Veloci-Fähre noch im Hinterkopf.

Vorsicht Fälschung!
Nicht jeder mit Sicherheitsweste ist ein Hafenmitarbeiter.

Der neue Hafen Tanger Meditaneree (kurz Tanger Med) ist riesig. Während der Fahrt auf der breiten Zufahrtsstraße zum Hafen springen uns sicherheitsbewestete Typen in den Weg und weisen uns an, an die Seite zu fahren. Wir hatten im Internet von den selbsternannten „Helfern“ gelesen, die den Passagieren Unterstützung für das Ausfüllen der Formulare aufdrängen. So waren wir gewarnt und haben die Gelbjacken rechts stehen lassen. Hinweisschilder und Einweiser führen uns zu einem ersten Punkt, wo wir unter einem großen Baldachin parken.

Motorradfahrer und Hund dösen im Schatten des Motorrades im Hafen von Tanger

Unter dem Baldachin erwartet uns ein Port-Tanger-Med-Mitarbeiter und verlangt selbstbewusst Passport und Ticket. Als er damit davonspringt und nach einer halben Minute vom Comarit-Check-In mit unsere Boarding-Cards und zwei Einreisezetteln wiederkommt und beginnt, diese auszufüllen, merken wir, dass auch er nur ein selbsternannter Helfer ist.

Fast hätte ich ihm den Stift aus der Hand gerissen, als er auch noch den Namen falsch aus dem Pass abschreibt. Die paar Angaben haben wir nun schon so oft in irgendwelche Hotel-Anmeldeformulare geschrieben, dass wir dazu niemanden brauchen. Aber man kann die rechtmäßigen Hafeneinweiser nicht von dem doofen Schleppern unterscheiden. Später begegnen uns noch eine Menge andere rotbejackte Einweiser – die sind dann echt, jedoch schwer von den unechten zu unterscheiden! Wenn man die Sprache nicht spricht, wird man einfach überrumpelt.

Weiter geht es zur Polizeikontrolle, ein bisserl Anstehen in mehreren Reihen an Polizeiposten, die den Einreisestempel kontrollieren und den Einreisezettel kassieren. Am nächsten Haltepunkt steht der Zollbeamte, der den grünen und weißen Fahrzeugzettel mit dem Fahrzeug vergleicht, einkassiert und weiterwinkt. Ab in die nächste Schlange. Bei 30 °C ohne Unterstellmöglichkeit im Schatten. Doch wir haben Glück: der Einweiser ruft zum Anfang der Schlange, dass er jetzt gleich ein Moto dran vorbei nach vorne schickt. Aha, das sind die modernen Durchleuchtstationen, die bei größeren Fahrzeugen nach blinden Passagieren suchen. Stimmt, bei uns sind blinde Passagiere eher unwahrscheinlich. Noch einen Kilometer, meint er, dann sind wir an der Anlegestelle.

Frau sitzt im Schatten eines Motorrades und probiert marokkanische Wurst

Ein riesiger Asphaltplatz mit Dutzenden Betonpollern als Begrenzungen. Aber keine Möglichkeit, sich in den Schatten zu stellen, geschweige denn, Getränke oder irgendwelche Snacks zu kaufen. Gottseidank haben wir im Supermarkt Wurst gekauft – wenn sie auch für europäische Geschmaksknospen sehr ungewohnt schmeckt. Und eine Möglichkeit, den letzten Kaffee wieder wegzubringen, wäre auch sehr angenehm gewesen. Kommt vielleicht noch – so einen Hafen zu bauen dauert in Afrika schließlich mehrere Jahre. Ironiemodus an. Und vielleicht hat man ja gar nicht mit essenden, trinkenden und pinkelnden Passagieren gerechnet. Ironiemodus aus.

Jochen baut mittels Spanngurt, Jacken, Rückenprotektoren ein kleines Tarp, um etwas Schatten neben dem Motorrad zu haben. Denn mein Magen rebelliert seit gestern schon wieder gegen die marokkanische Kost. Ich versuche es trotzdem mit Nahrungsaufnahme und probiere die marokkanische Wurst, die wir vorhin im Supermarkt gekauft haben. Pfui Teufel! Grauenvoll! Ich packe die Wurst wieder in den Rucksack.

Motorradfahrer liegt im Schatten seines Motorrades auf einer Decke und schläft

Eine Dame aus einem Wohnmobil hat Mitleid mit uns Asphaltschläfern und spendiert uns Decke und Kopfunterlage. Eine herrenlose Hündin mit einem großen Gesäuge gesellt sich zu uns und weil wir nett mit ihr sprechen, beschließt sie, den Schatten unter dem Vorderrad für sich zu beanspruchen.

Als wir später bei unseren Deckenspendern am Wohnmobil stehen, will sich die Hündin klammheimlich mit unserem Rucksack davon machen. Klar, ist ja auch eine Wurst drin. Die hätten wir ihr glatt geben können–wir wollen ihr jedoch Magengrollen ersparen – das Zeug, auf dem hier "Wurst" steht, möchte man nicht mal an einen Hund verfüttern. Die wissen schon, warum die Pelle dieser pinkfarbenen, mehligen Wurst undurchsichtig ist. Auch Josef und Judith stoßen wieder zu uns, um mit der „Biladi“ gen Heimat zu fahren. Als das Schiff angelegt hat, verteilt ein Mitarbeiter Handzettel und uns beschleicht eine dummes Gefühl.

Das Schiff hat die Tankstelle nicht gefunden ...oder so

Jochen und Joseph ziehen los, um den Handzettel in französischer Sprache sinngemäß übersetzen zu lassen. Zumindest die wichtigsten Passagen. In der Hoffnung, unsere flüchtiger Übersetzungsversuch wäre fehlerhaft. Ist er aber leider nicht. Sie haben das Schiff hier in Marokko bzw. in Ceuta nicht betanken können und wir müssten heute Nacht hinüber nach Algeciras fahren, steht da. Tanken dauert mehrere Stunden und geschätzte Ankunft in Sete wäre halb fünf am Nachmittag. Tausend Kilometer bis nach Hause.

Marokkaner sitzt im traditionellen Gewand im Sessel und schläft auf der Fähre

Ein lange Nachtfahrt. Dienstag ist Arbeitsbeginn für Jochen. Das heißt, vollbepackt mit dem Motorrad direkt ins Büro. Wir waren drauf gefasst, dass wir mit den zwei Motorrädern als letztes verladen werden. Erst lassen sie uns stundenlang in der Sonne brutzeln, dann drehen sie durch. Wir werden ganz nach hinten an die Außenbordwand dirigiert. Und plötzlich werden sie hektisch und wollen die Motorräder schon anbinden, bevor wir abgepackt haben.

"Witt-witt-witt" herrscht der eine, was wahrscheinlich "schnell-schnell-schnell" heißen soll, aber darauf reagiert Jochen höchstallergisch mit demonstrativer Langsamkeit: "Moooment!"

Gelassen packt er alles ab, was wir während der zweitägigen Überfahrt benötigen, und überwacht das Angurten. Aber was heißt Angurten? Wir sind in Afrika - hier wird angebunden. Sie haben lange Stricke. Allerdings wird ein überzogenes Schaumstoffteil zwischen Koffer und Bordwand geklemmt. Jochen verhindert, dass der Deckmitarbeiter den Strick durch ein Rad zieht. Der Strick verläuft anschließend über die Sitzbank, was uns überhaupt nicht gefällt, aber die haben nichts zum Drunterklemmen und wir auch nicht. Und hinter uns wartet schon ein Mercedesbus, der zentimetergenau neben uns einparken soll. Die drei Deckmitarbeiter kriegen sich wegen uns in die Wolle, weil wir mit der Anbinderei nicht zufrieden sind und folglich der für unsere Q zuständige Mitarbeiter zu lange braucht für uns. Jochen ist sauer. Stocksauer. Und das ist er nicht sehr oft. Der Mercedes wird schließlich nur wenige Zentimeter neben uns geparkt, was uns ganz recht ist, denn so kann sich die Q bei Seegang an den Benz kuscheln, aber nicht umfallen.

Notdürftig repapierte Steckdose in der Kabine der Comanav-Fähre

Unsere Kabine hat ein Fenster, ein Doppelstockbett, Dusche und WC. Eigentlich wie jede Kabine, die wir kennen. Nur um einiges demolierter und heruntergekommener. Besser man schaut nicht genauer hin: Überall Rost, die Klobrille ist mit Plastik überzogen, das überall abplatzt, keine einzige Steckdose in der Kabine, nur eine notdürftig mit Pflaster zusammengehaltene Steckdose an der Badlampe, die sich jedoch bei Berührung entmaterialisiert. Aber die Betten sind sauber bezogen und die Handtücher auch in Ordnung. Nur wenn wir beide in dem zweieinhalb Meter langen und achtzig Zentimeter breiten Gängelchen rumwurschteln, wird es echt eng in der Kabine. Jochen geht duschen und stellt sich dann frisch geduscht (aber natürlich nicht im Adamskostüm) auf den wesentlich kühleren Gang vor die Kabinentür, weil es drinnen schätzungsweise 30 °C hat. Die Klimaanlage beginnt ja gerade erst zu arbeiten. Später erzählt er, er hätte auf dem Balkon gestanden ... Die verbrauchte Luft scheint ihm nicht zu bekommen – er halluziniert schon!

Bei der Comanav sind alle Mahlzeiten im Preis inbegriffen. Zum Essen werden wir in verschiedene Schichten eingeteilt, bekommen einen Zettel mit Tischnummer und Essenzeiten, zu denen wir uns im Restaurant einfinden müssen, wenn wir das inkludierte Mahl abfassen wollen.

Antreten zum Essen!

Wir sind um halb acht Uhr fürs Frühstück vorgesehen. Was für ein Glück! Es hätte uns auch schlimmer, mit sieben Uhr, treffen können ;-)) Heute abend gibt es auch noch ein Essen an Bord. Auch da haben wir Glück: wir sind gleich um halb neun dran, uns hängt nicht der Magen in den Kniekehlen wie der netten Dame aus Düsseldorf, die erst um zehn zum Essen antreten darf.

Grünes Tankschiff liegt neben Autofähre und betankt diese

Nächster Morgen. Eine sehr lange Durchsage des Kapitäns. Müssen wir umkehren? Haben wir keinen Sprit bekommen? Als wir uns später bei anderen erkundigen, was der Wortschwall beinhaltete, rasseln uns die Kiefer schon wieder in die Tiefe. Diesmal jedoch nicht auf Asphalt sondern auf braunen Teppich.

Die Ankunftszeit hat sich wegen des langen Tankvorgangs – das Tankschiff lag um halb neun immer noch neben uns, vermutlich wegen des Gardena-Gartenschlauchs, den man zum Betanken benutzt – ein weiteres Mal nach hinten verschoben: das Schiff legt erst um neun am Abend in Sete/Südfrankreich an. Wir werden im Dutyfree-Shop nach Red Bull Ausschau halten! Was machen wir mit den letzten Dirham? Wir waren davon ausgegangen, dass auf dem Schiff die Bank öffnet und Geld wechselt. Meine Versuche, das an der Rezeption zu regeln, enden zweimal sehr unbefriedigend an den Aussagen einer offensichtlich stark seditierten Mitarbeiterin mit absolut identischem Gesprächsverlauf.

No. Is closed.

Mit botoxgelähmter Mine haucht sie auf hartnäckige Nachfragen:
"No change. Is Closed."
"And tomorow?”
"No. Is closed."
”Where can I change?”
"In Sete"
”In the evening?”
"No. Is closed"

Ich falle in einen Strudel. Soll ich nochmal? Frustriert ziehe ich kopfschüttelnd von dannen.

Zwei Männer sitzen vor Laptop auf der Fähre

Mit Said versuche ich am Nachmittag mein Glück nochmals. Die Dame an der Rezeption bestätigt, dass dieses Jahr kein Geldwechsel mehr an Bord möglich ist (vermutlich rücken sie einfach nur ungern die geliebten Euros wieder heraus), und gibt uns hinter vorgehaltener Hand den Tip, im Restaurant oder im Shop das Geld zu wechseln. Haben wir versucht. Der Versuch war zwecklos.

21 Uhr. Sete / Südfrankreich. Die Polizei- und Zollkontrollen bringen wir nach fünfzehn Minuten hinter uns. Uns graut vor der Tausend-Kilometer-Nachtfahrt durch Frankreich, die Schweiz, einem winzigen Stückchen Österreich bis in heimatliche, bayrische Gefielde. Eine Premiere liegt vor uns: wir sind schon mal tausend Kilometer an einem Tag gefahren – aber nie tausend Kilometer am Stück bei Nacht!

Wir haben eine Nacht vor uns – und 1000 kilometer am stück

Ruckzuck sind wir auf der Autobahn und in unseren Heimfahrtsmarathon. Die Nacht bricht über uns herein, doch ein riesiger Vollmond leuchtet die Autobahn aus. Das Licht ist so hell, dass wir auch bei Nacht erahnen können, welche großartigen Landschaften an uns vorüberfliegen.

Wir durchqueren die Cevennen sowie die Regionen Ardèche und Drôme. Eigentlich bräuchten wir hier noch einmal drei Wochen (Motorrad-)Urlaub, denn diese Gegenden sind sehr kurvenreich und reizvoll. Während es abends in Sete noch über 20 °C warm war, wird es jetzt in der Nacht zunehmend kühler. Wir legen immer wieder eine Zwiebelschicht mehr auf. Bis jetzt haben die Wetterprognosen, die uns für diesen Montag eine Schlechtwetterfront mit Regen androhten, noch nicht zugetroffen. Es ist zwar kalt, aber es regnet nicht.

Sogar Jochen fängt nun an zu frieren, und das will etwas heißen. Teilweise sackt die Temperatur in den einstelligen Bereich – die langen Stadttunnel in der Schweiz sind unsere besten Freunde, denn in ihnen ist es immer etwas wärmer als draußen.

Oft sind wir ganz allein auf der Autobahn. Um drei Uhr schlagen wir an der französisch-schweizerischen Grenze auf. Während ich die Vignette für die Autobahn in der Grenzstation kaufe, schleicht ein Grenzer um das bepackte Motorrad herum, schaut sich den Dreck auf dem Fahrgestell an, die Koffer und das Schutzgitter vor dem Scheinwerfer: "Kommt ihr von der ‚Paris–Dakar’?"

Um halb fünf Uhr fahren wir durch das gerade erwachende Bern. Hier bekommen wir Konkurrenz auf der Straße, der Berufsverkehr setzt ein. Es wird wieder hell. Juchhu! Das Schlimmste, im Dunkeln zu fahren, haben wir hinter uns. Morgens um sieben Uhr passieren wir den Tunnel von Sankt Gallen und zwei Stunden später jubeln wir über den Picknickkorb, den uns Freunde als Willkommensgruß vor die Haustür gestellt haben. Yipppieh! Leberwurst! Tschüss, Cous-Cous!

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