Motorradtouren Rumänien Transsilvanien Bicaz | Region Moldau

Bicaz-Klamm | Region Moldau

Motorrad fährt auf unbefestigter Dorfstraße durch Miercurea-Ciuc
Motorrad fährt auf unbefestigter Straße eines Dorfes in Transsilvanien

Das Zigeunerlager zieht weiter. Mit dem heutigen Ziel, der Bicaz-Klamm, die richtigerweise schon nicht mehr in Transsilvanien liegt, sondern in der Region Moldau im Nordosten von Rumänien.

Aber erst mal frühstücken. Kaffee bestellen auf Rumänisch – kein Problem. Aber das mit dem Frühstück an sich ist immer noch unklar. Mittlerweile vermuten wir, die Pensionsbesatzung erwartet, dass wir uns die Frühstücksbestandteile aus der Karte bestellen. Wahrscheinlich hatten sie uns deshalb gestern nur irgendwas hingestellt, weil sie sich mit den zwei renitenten Nichtbestellern einfach nicht anders zu helfen wussten.

In einem namenlosen Dorf vor Miercurea-Ciuc (Szeklerburg) erregen wir bei der Durchfahrt auf der ungeteerten Straße einiges Aufsehen und wirbeln eine Menge Staub auf. In der Provinz Harghita fallen uns als erstes die zweisprachigen Ortsschilder auf. Der Baustil der Häuser ist sehr ungarisch geprägt – wir befinden uns im Szekely-Gebiet. Hier spricht man vor allem ungarisch. Der Ursprung der Szekeler liegt bis heute im Dunkeln, trotz der augenscheinlichen Verbindung mit den Ungarn. Ethnologen heben die Verwandtschaft der alten Szekely-Runenschrift mit den turkmenischer Nomaden hervor und unterstreichen eine Verbindung nach Zentralasien, vor allem in die Mongolei. Störche sehen wir in diesem Land in einer Anzahl wie kaum in einem Land, das wir bisher bereisten. In manchen Dörfern befindet sich alle hundert Meter hoch erhoben ein Storchennest und darin auch Junge.

Unbefestigte Straße mit Einwohnern in einem Dorf in Transsilvanien

Vor Gheorgheni / Niklasmarkt folgen wir einer Abkürzung. Allerdings befürchten wir, dass es zeitlich keine Abkürzung sein wird. Dafür verspricht die Kennzeichnung der Strecke auf der Straßenkarte Abwechslung: das erste Drittel ist gelb, die restlichen zwei Drittel sind in weiß eingezeichnet – hier wird die Hoffnung auf Offroad sicher Wirklichkeit.

Wir halten am Abzweig noch mal für eine kurze Rast an. Ein Polizeiwagen steht vor einem Dorfladen. In dem Laden decken wir uns mit Wasser und einer kleinen Zwischenmahlzeit ein. Diese verspeisen wir genüsslich neben dem Mopped, das wie das Polizeifahrzeug im generellen Halteverbot parkt.

Motorrad steht vor Haus kurz vor Balan

Die ersten zwölf Noch-Asphalt-Kilometer führen uns bis in die Bergarbeiterstadt Balan. Hier wurde in den letzten Jahrhunderten Kupfer abgebaut, aber die letzte Mine schloss 2006 und so macht die 7000-Einwohner-Stadt einen etwas trostlosen Eindruck.

Ungepflegte Bauernhäuser neben hässlichen Plattenbauwohnblocks. Abgehalfterte Industrieruinen stehen als monströse Beton-Skelette unweit der Straße. Der Sozialismus Ceaușescus dünstet noch aus jeder Pore dieser Stadt. Hier verlockt es uns zu keiner weiteren Pause. Es sieht nicht so aus, als gäbe es hier außer der unberührten Natur ringsherum irgendwas zu sehen. Balan kämpft wohl mit ihrem Standort, denn eigentlich liegt sie in einer Sackgasse. Nur zum südlich gelegenen Sandominic führt von hier aus eine Asphaltstraße. Wer also nach Georgheni will, muss einen Riesenumweg in Kauf nehmen und außenherum fahren – oder seine Stoßdämpfer auf der Schotterpiste über den Covacipeter-Pass im Norden riskieren.

Pasul Covacipeter – Schlaglöcher, Schlamm und Hütehunde

Hinter Balan müssen wir mit einem Waldweg vorliebnehmen. Wir folgen einer blau-weißen Wanderwegkennzeichnung – wir nehmen einfach mal an, dass diese Markierung was mit unserer gewählten Strecke zu tun haben könnte. Tiefe, wassergefüllte Schlaglöcher im Naturbelag. Die Strecke mit der Straßennummer DJ 125 hat sogar einen Namen: Pasul Covacipeter – Covacipeter-Pass. In Youtube entdecken wir später ein längeres Video von der Fahrt auf derselben, allerdings in entgegengesetzte Richtung gefahren. www.youtube.com

Bauer steht mit Rechen in der Hand in einer Wiese neben seinem Pferd am Kovacipeter-Pass

Wir fahren der Quelle des Olts entgegen, der hier nur ein drei Meter breites Flüsschen darstellt. Am Anfang der Strecke steht ein großes Schild, das irgendwas mit Bären (lat. Ursu) zu tun hat. Näheres lässt sich im Vorbeifahren nicht entziffern.

Nach fünf Kilometern führt die blauweiße Kennzeichnung nach links – Hilfe, dort sollen wir entlang? Schlamm und tiefe Rinnen bergauf – das kann nicht sein! Ein einsames, nicht angebundenes Pferd steht mitten auf der Kreuzung und schaut uns ratlos an. Jochen meint, dass der rechte Weg von der Himmelsrichtung her richtig wäre. Gottseidank, denn der linke Abzweig wäre Grund für einen U-Turn gewesen.

Der Weg wird immer schlechter, tief ausgewaschene Rinnen, Wasserlöcher mit Waschbeckentiefe, die man selten umfahren kann. Kurze Anstiege mit schmieriger Pampe. Mehrere Abzweigungen. Wir nehmen immer die, die wir von der Himmelsrichtung her bevorzugen. Ich stelle mir vor, dass wir den ganzen Pass zurückfahren müssten, wenn wir uns verfranzen oder nicht mehr weiterkommen. An einer Abzweigung nimmt uns ein dünner Schlagbaum linkerhand die Entscheidung über den richtigen Weg ab: Ein Schild weist darauf hin, dass wegen der hier lebenden Bären kein Weiterkommen ist.

Mit dem motorrad durch das Bären-reservat

Jochen kämpft damit, die Fuhre senkrecht zu halten und hat kein Auge für Schilder am Wegesrand. Ich erzähle ihm, dass das Wort „Ursu“ schon kurz nach Balan auf einem Schild stand. Aber dass es kein Verbotsschild gewesen sei. Eher sowas wie ein Hinweis- oder Werbeschild für ein Reservat oder Nationalpark. Jochen flapst: „Huch, das Schild hab ich nicht gesehen! Hätteste mir sagen müssen – ich mag doch nur die Bären aus der Tüte!“ Das sieht ihm ähnlich. Ich kämpfe mit ganz anderen Problemen. Denn was tu ich eigentlich, wenn wir einem Bären begegnen? Fotografier ich? Oder filme ich?

Wir wollten in Nachhinein der Sache mit den Bären und dem „Centrul Pentru Reabilitarea Ursilor Orfani“ auf den Grund gehen. Und fanden im Web einige, allerdings meist rumänischsprachige Seiten, die uns ein bisschen aufklärten. Von Balan bis zur nächsten Asphaltstraße sind es rund rund fünfundzwanzig Kilometer. In diesem Bereich und wohl auch darüber hinaus hat man in ein nicht eingezäuntes Gebiet Bären einquartiert und beobachtet sie mittels GPS-Sender. Man hat festgestellt, dass sich die Bären artgerecht verhalten und kaum den schützenden Wald verlassen. Straßen überqueren die Bären nur sehr ungern, da sie dann die Deckung verlassen müssten. Man versucht das Gebiet ruhig zu halten, deshalb der Schlagbaum unterwegs. Diese hier angesiedelten Bären suchen nicht die Nähe des Menschen oder dringen in Bereiche des Menschen ein, so wie sie das in manchen Städten tun, sondern verhalten sich sehr natürlich, mit ihrer angeborenen Scheu vor dem Menschen.

Das Bärenproblem in Rumänien ist hausgemacht. Rumäniens Staatschef Nicolae Ceaușescu wollte sich die weiten Hubschrauberflüge in den bärenreichen Norden ersparen. Er setzte in den Jahren 1975 bis 1980 rund dreihundert Jungbären, die aus in einer Aufzuchtstation kamen, in den Südkarpaten aus. Derart halbdomestizierte Bären werden nie die Scheu vor dem Menschen entwickeln, die ein absolut wild geborener und aufgewachsener Bär hat. In Braşov und anderen Städten plündern sie heute Mülltonnen. Findige Rumänen bieten sich mittlerweile als Bärenführer an und führen die Touristen zu den Müllplätzen. Es gab schon einige Tote durch Bären, die leichtsinnige Touristen oder Menschen beim Wildcampen angriffen.

Wir haben unmerklich an Höhe gewonnen – seit dem Abzweig in Sandominic immerhin 450 Höhenmeter – und sind an der Kuppe eines Gebirgszuges angelangt. Das scheint die Passhöhe des Pasul Covacipeter zu sein. Schließlich geht es in Serpentinen wieder abwärts – aber auf welchem Untergrund! Unsere Q, die Federbeine und nicht zuletzt der Beste aller Fahrer leisten Großartiges, die Kiste bei diesem Untergrund und diesen Rinnen nicht in den Dreck zu schmeißen. Man darf nicht vergessen, komplett bepackt und uns eingerechnet werden wir ein Gesamtgewicht von ungefähr fünfhundert Kilogramm auf die Waage bringen.

Hunde! aber was für welche!

Nachdem wir die ersten zwei Serpentinen ohne Umfaller gemeistert haben, erblicken wir inmitten der nächsten Kehren zwei Hirten mit einem Dutzend Kühen und – oh Schreck – drei Hütehunden! Die Hirten lachen über’s ganze Gesicht, denn der Motorradfahrer mit Sozia und Gepäck muss ja wohl nicht gewusst haben, was er sich auf dieser Strecke antut. Recht haben sie.

Während Jochen mit dem fürchterlichen Untergrund (und das bergab und in Kehren) kämpft, nehmen uns zwei schwarz-weiße Hunde ins Visier. Nur gut, dass die jugendlichen Hirten den großen Hirtenhund (von der Größe her wie ein Kangal – nur ist die rumänische Ausgabe weiß mit schwarzen Flecken) mit ganzem Körpereinsatz bändigen. Der Hirte hat den Hund in der Höhe seiner Hüfte am Halsband gefasst und stemmt sich gegen die Sprungkraft des Hundes. Gut, dass er ihn zurückhalten kann.

Nachdem wir die letzte Kuh hinter uns gelassen haben, entdecken wir einige hundert Meter weiter am Hang einen Menschen neben einer Holzhütte. Ein gutes Zeichen – irgendwie muss er ja hierhin kommen – dass vielleicht bald ein Ende der Strecke in Sicht ist. Wenn ich mir vorstelle, dass wir diese ganze fürchterliche Piste zurückmüssten... Später entdecken wir im www einen Eintrag, dass es einen Ort Covacipeter gibt. Mit sage und schreibe fünfzehn Einwohnern. Einen davon sahen wir.

Schließlich weitet sich das Tal, rechts am Wegesrand entdecken wir verstreut liegende Hüttchen, die wir als kleine Wochenendhäuschen titulieren würden. Die Zivilisation hat uns wieder. Später auf der Karte sehen wir, dass wir gerade mal zweihundert Meter an der Quelle des Olt vorbeigeschrammt sind. Schade, dass wir sie nicht bemerkt haben. Vielleicht waren wir von Hunden abgelenkt ...

Als wir auf die Asphaltstraße Richtung Bicaz-Klamm abbiegen, möchten wir den Asphalt küssen. Wir halten gleich wieder, küssen ihn jedoch nicht, sondern spülen uns an einer Quelle den Schweiß aus dem Gesicht und reinigen unsere Stiefel sowie Hosen bis in Kniehöhe vom Schlamm. Die jungen Rumänen, die an der Quelle im Gras sitzen, verfolgen interessiert unsere Bemühungen, uns wieder in gesellschaftsfähigen Zustand zu versetzen Denn schließlich wollen wir in absehbarer Zeit wieder auf Quartiersuche gehen.

Vom blut gefärbt: der Lacul Roșu
an der bicaz-klamm
Baumstümpfe ragen aus dem Wasser des Lacul Roșu
Motorradfahrer nähert sich den Verkaufsständen in der Bicaz-Klamm

Am Lacul Rosu (übersetzt roter See), auch Mördersee genannt, erwartet uns eine gespenstige Szenerie: Aus dem rötlichen Wasser ragen zahlreiche Baumstümpfe. Das Rot des Wassers ist darauf zurückzuführen, dass Angler von einem Riesen erschlagen wurden. Von ihrem Blut färbte sich der See rot. Erschlagene Angler? ... Schmarrn! Natürlich waren es keine Angler, sondern ein Bergsturz, der das Wasser färbte. 1838 rutschte ein ganzes bewaldetes Felsgebiet aus 1000 m Höhe in die Bicaz, einen Fluss, der in die Bistritz fließt. Die Erdmassen wirken wie ein natürlicher Staudamm und die Reste der „ertrunkenen“ Bäume ragen noch heute aus dem See, dessen Wasser durch eisenhaltige Erde rötlich getönt wird.

Die Erdmassen wirken wie ein natürlicher Staudamm und die Reste der "ertrunkenen" Bäume ragen noch heute aus dem See, dessen Wasser durch eisenhaltige Tonerde rötlich gefärbt wird. Die Bicaz-Klamm zählt mit der hochalpinen Transfăgăraşan, dem Transalpina-Pass und der Cheile Damboviciaora zu den spektakulärsten Bergpassagen in Rumänien. Dreihundert Meter hoch erheben sich die Felswände links und rechts der Straße. In der Schlucht ließen sich dort, wo sie sich etwas weitet – wie soll es anders sein – zahlreiche Souvenirstände nieder. Jedoch was sollen wir mit Spitzentischdecken anfangen? Oder Plastikwindrädern?

Motorradfahrer fährt auf Straße durch enge Bicaz Klamm

Es beginnt zu gewittern, als wir die Klamm verlassen. Der Lacul Izvorul Muntelui, ein fünfunddreißig Kilometer langer Stausee östlich des Ceahlau-Massivs, auch Bicaz-See genannt, ist bestimmt ein Touristenmagnet, glauben wir, bei DER Lage!

Deshalb wollen wir uns hier nach einer Unterkunft umschauen. Gleich am Anfang befindet sich direkt unterhalb der 1950 errichteten und 127 Meter hohen Staumauer ein Ferienkomplex, aber mit der Staumauer im Nacken wollen wir nicht schlafen. Wir folgen der kurvigen Straße am See. Normalerweise ein Genuss, würden wir die meiste Zeit nicht im Regen fahren. Wir erreichen ein Hotelschiff. Es sieht sehr verlassen aus. Also fahren wir weiter. Außerdem müssten wir so langsam wieder mal tanken. Die Reservelampe leuchtet schon seit geraumer Zeit. Da uns das Spritfass sowieso erst mal wichtiger ist, fahren wir weiter, bis wir – allerdings erst am Ende des Sees – endlich eine Tankstelle entdecken.

Durau am fuss des Ceahlau-massivs
Lacul Izvorul Munelui, ein Stausee östlich des Ceahlau-Massivs, auch Bicaz-See genannt

In Durau, am Fuß des Ceahlau-Massivs (gesprochen etwa Tschachlau), soll es einige Unterkunftsmöglichkeiten geben. Dort wenden wir uns hin. Auf den letzten sieben Kilometern läuft uns der jetzt richtig sintflutartige Gewitterregen in den Kragen. Die Lüftungsreissverschlüsse der Hosen vergaßen wir zu schließen, aber ein Wunder – sie bestanden die Dichtheitsprüfung.

Wir erwischen wohl das teuerste Hotel in Durau, aber ein anderes war voll und ein weiteres kam uns wie eine umgebaute Schule vor, der muffelige Geruch des Sozialismus waberte noch durch die Gänge. Eine WLAN-Verbindung ist obligatorisch, wie in den meisten Hotels und Pensionen, in denen wir schliefen.

Handy und Internet scheinen Standard zu sein. Festnetzanschlüsse waren bis vor einigen Jahren in vielen abgelegenen Regionen eine Rarität oder sogar unmöglich. So ist es nicht verwunderlich, dass sich selbst die 80jährige Oma ein Mobilphone angeschafft hat, um mit der weit entfernten Verwandschaft telefonieren zu können. Der Mobilfunk ist ein Segen und mittlerweile eine Selbstverständlichkeit für die rumänische Bevölkerung. Was man vermutlich von fließendem Wasser im Haus nicht immer behaupten kann.

Die Ziehbrunnen vor den meisten Häusern haben bestimmt nicht nur dekorativen Charakter. Später, als wir während der letzten zwei Tage im Haus meiner Kollegin Elisabeth übernachten, ist es normal, dass einmal täglich für rund eine Stunde Strom und Wasser abgestellt wird. Meistens dann, wenn wir heimkommen und duschen wollen.

Maramureş | Die Waldkarpaten
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