Motorradtouren Sizilien Provinz Ragusa

Provinz Ragusa

Der Fischerhafen von Pozallo

Eigentlich ist ein längerer Aufenthalt in der berühmten Barock-Region gar nicht eingeplant, da wir einfach nur ab Pozzallo mit der laut Eigenwerbung schnellsten Katamaran-Fähre nach Malta hinüberschippern wollen. Aber wegen der Frühjahrsstürme fielen Fährfahrten aus und der Andrang ist zu groß, so können wir uns nur auf die Warteliste setzen lassen. Wir versüßen uns das Warten, indem wir die herrlichen Schluchten und Karstberge der Region besuchen. Wenn wir zudem gewusst hätten, was uns bei dieser Fährfahrt erwartet – hätten wir unsere Maltapläne vielleicht noch mal überdacht????

Pozzallo – Warten, dass der sturm nachlässt
Provinz Ragusa

Wir treffen in Pozzallo ein. Diese Stadt befindet sich unweit des absolut südlichsten Fischereihafens Porto Palo, dem wir kurz zuvor auch einen Besuch abstatteten. Am Hafen warten viele teilweise sehr dunkelhäutige Männer mit großen Karren auf die Fischerboote, um die Ladung zu übernehmen. Die Dunkelhäutigkeit der Männer begründet sich darin, dass in dieser Region viele Emigranten aus dem nur einen Katzensprung entfernten Nordafrika leben.

Die stadt der Stopp-schilder

Die nahe Stadt amüsiert uns: Portopalo di capo passero. Sie ist wie so viele Städte in der Provinz Ragusa schachbrettartig angelegt. Bei dem großen Erdbeben 1693 wurde sie nämlich komplett zerstört und danach neu aufgebaut. Die Straßen können nervenaufreibend sein, wenn man in eine bestimmte Richtung fährt. Die Straßen Richtung Hafen haben generell Vorfahrt. Wenn man also quer durch die Stadt fährt, hat man alle zwanzig Meter ein Stopp-Schild, da nach jedem Häuserblock eine neue Straße beginnt.

Der Katamaran bringt uns nach Malta Wir touren durch die Gegend um Pozallo

Schließlich stehen wir am Kai von Pozzallo und vor uns liegt der Katamaran "Sanquan", laut Eigenwerbung die schnellste Fähre der Welt, die uns von diesem Kap mitsamt unserer "Turtle" nach Malta hinüber bringen soll. Vor dem Fährbüro, das erst um sechzehn Uhr wieder öffnet, machen wir es uns auf einer Bank an der Meerpromenade gemütlich. Allerdings behalten wir die komplette Motorradkluft an. Es scheint zwar die Sonne, aber der Wind ist so eiskalt, dass es ohne Jacke nicht auszuhalten ist.

Sechzehn Uhr. Der Fährbüro-Angestellte schaut sehr skeptisch auf seinen Bildschirm und meint, er hätte erst in zwei Tagen ab Catania Tickets für uns. Für die heutige Fahrt könne er uns maximal auf die Warteliste setzen. Aber da stünde auch schon ein Rollerfahrer und erst wenn der unterkommt und dann noch ein Platz frei wäre... Na Mahlzeit, das hört sich gar nicht gut an!

Die Fähre verläßt den Hafen erst um 21:30 Uhr. Wir sollen um zwanzig Uhr am Schiff sein, dann wird man uns sagen, ob es einen Platz gibt. Die Zeit verbringen wir im Windschatten vor einem Restaurant, hier kann man ohne Motorradjacke die Sonne genießen. Ach, wenn wir geahnt hätten, was es mit dem Wind auf sich hat!

Noch vor zwanzig Uhr stehen wir am Schiff und warten und warten und warten. Es warten noch viele Autofahrer mit uns. Wir erfahren von anderen Fast-Passagieren, dass die Fähre in den letzten zwei Tagen wegen des Sturms einmal ganz ausgefiel und ein anderes Mal den Hafen von Pozzallo schon um 14:00 Uhr verließ, weil die Sturmprognosen so ungünstig aussahen. So gibt es natürlich einiges an Rückstau von Passagieren, die auf das Schiff wollen. Als einfacher Passagier ohne fahrbaren Untersatz könnten wir natürlich jederzeit an Bord gehen.

Du kummst hier nicht rein!
Pozallo

Halb zehn offenbart man uns dann, dass wir uns ein Zimmer für die Nacht suchen müssten. Na super! In einer Stadt, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, in der Dunkelheit ein Zimmer suchen! Menschen zum Fragen sind natürlich auch nicht mehr auf der Straße.

Wider Erwarten kommen wir dann doch ganz fix im B&B Vista d’amare* unter. Nach ersten Trotzreaktionen: "Gut, vergessen wir Malta! Fahren wir in Sizilien eben auch an die Westküste!", ist schnell klar: Das nächste Schnellboot in zwei Tagen von Catania nach Malta ist unseres! Als netten Abschluss (wenigstens einer!) diesen Tages bilden wir uns ein, in einem Lokal noch gemütlich ein Glas Rotwein zu genießen. Aber wo? Fahren wollen wir nicht mehr. Wir stiefeln noch mal los. Ja, denkste! Fuchs und Hase ... Haben wir den falschen Wochentag erwischt?

Irgendwann finden wir sowas wie einen Imbiss, in dem zwei junge Männer Fußball schauen. Dort erstehen wir eine Flasche Rotwein. Unsere weitere Tourenplaung findet auf dem Zimmer statt. Am nächsten Vormittag werden wir erneut im Fährbüro vorstellig, diesmal um definitiv Tickets für den nächsten Tag zu kaufen und zwar für die Fahrt von Catania nach Malta, die doppelt so lang dauert: drei statt anderthalb Stunden ab Pozzallo.

Beim Einkauf im Supermarkt streift mich wieder mal dieser Blick, der mich bei der Ost-Tour begleitet hat, und der mich hier in Sizilien auch wieder köstlich amüsiert: Die Leute schauen mir ins Gesicht, schauen auf meine Jacke, der Blick rutscht tiefer und bleibt an den Knien mit den leicht auftragenden Protektoren hängen. Immer wenn das losgeht, flüstere ich verkniffen zu Jochen: "Achtung, jetzt sind wieder meine Knie dran..."

Nun haben wir einen ganzen Tag Zeit, um diese Gegend etwas zu erkunden: die dreizehn Kilometer lange Schlucht von Ispica und deren Tausende Jahre alte Grabhöhlen, die alte verfallene Stadt Noto Antica, die vom Erdbeben 1693 zerstört und an anderer Stelle in prunkvollem Barock wieder erbaut wurde.

Noto antica

1693 war ein Katastrophenjahr für die Provinz Ragusa. Ein Erdbeben erschütterte die gesamte Region und zerstörte in Südostsizilien fünfundzwanzig Dörfer und zehn Städte. So auch die Stadt Noto. Sie wurde jedoch nicht an altem Platz wieder aufgebaut, sondern nordwestlich sechs Kilometer entfernt. Natürlich nun wie alle Barockstädte mit regelmäßiger, schachbrettartiger Straßenführung und im architektonischem Stil des 18. Jahrhunderts. Neton (lat. Netum, heute Noto Antica oder Noto Vecchia genannt) befindet sich zwischen zwei beginnenden Schluchten auf einer Hochebene. Diese Stadt war 1091 die letzte muslimische Bastion in Italien.

Die Anfahrt führt uns durch die karstigen Berge und Schluchten der Region. Nachdem wir über eine Brücke gefahren sind, stehen wir vor dem Tor eines ehemaligen Kastells, das das Eingangstor von Noto Antica bildet. Wir sind ganz allein in dem Gelände, durch das ein breiter Weg führt. Das einzige, was wir hören, ist ein tausendfaches Summen und Gezirpe der Insekten. Die Natur hat sich die meisten Ruinen großflächig zurückgeholt. Meist kann man noch Grundrisse einzelner Gebäude entdecken oder höhlenhafte Ruinen mit einer angedeuteten Decke wird von Gesträuch überwuchert.

Schlucht Íspica

Als wir die ersten Kilometer in der Provinz Ragusa unterwegs sind, ist unser ersten Eindruck: Die haben hier zuviele Steine! Alle Straßen, vor allem aber die kleinen, haben an den Rändern kilometerlange Trockenmauern aus losen hellen Steinen. Unsere Vermutung ist, dass man die Steine von den Feldern klaubt und dann am Rande aufschichtet. Schön sieht es aus und ist praktisch.

Zuerst fahren wir zur Ispica-Schlucht, ital. Cava d' Ispica. An der Straße von Rosolini nach Modica liegt der Hauptzugang zur Schlucht. Nach einem kleinen Eintrittsobulus führt ein leicht begehbarer Wanderweg in die Schlucht hinein. Nach zehnminütiger Gehzeit gelangt man zu Höhlen, in deren Böden und Wänden sich Hunderte von Felsgräbern befinden. Die Grotten wurde teilweise schon in der Steinzeit aus dem Fels geschlagen. Sie dienten Sikulern als Grabhöhlen, später der christlichen Bevölkerung als Wohnungen, Katakomben und Gebetsstätten.

Grabhöhlen in der Schlucht Íspica

Die eindruckvollsten Grabhöhlen sind die als Larderia bezeichneten Katakomben aus der Zeit des 4./5. Jahrhunderts. Zu besichtigen sind auch der Komplex von Camposanto, zwei aneinander angrenzende Grabhöhlen sowie die Höhlenkirche Santa Maria, die vermutlich aus dem 11. Jahrundert stammt. Bis zu diesen Höhlen ist der Weg gut ausgebaut, danach mündet er in einen schmalen, an vielen Stellen verwucherten Pfad und führt laut unserer Karte noch ein Stück in die Schlucht hinein.

der Schlucht Íspica

Am anderen Ende der Schlucht befindet sich die Stadt Ispica, die wir schließlich mit dem Motorrad erreichen. Bis zum Erdbeben 1693 befand sich in diesem Ende der Schlucht die Stadt Spaccaforno, wie Ispica im Mittelalter genannt wurde. Erst seit 1935 trägt sie ihren heutigen Namen.

Aufgrund archäologischer Ausgrabungen konnte man feststellen das Ispica bereits seit der Steinzeit bewohnt gewesen sein muss, doch die ersten schriftlichen Belege sind aus dem 12. Jahrhundert. Nach dem schweren Erdbeben von 1693, bei dem weite Teile der Ortschaft zerstört wurden, verlagerte man das Dorfzentrum auf das höher gelegene Kalkplateau, wo es sich bis heute befindet.

In die Schlucht kann man von dieser Seite aus hinunterfahren, was unheimlich schön ist. Ein schneller Wechsel von Kurven, begrenzt von Felsen links und rechts, die von Dutzenden von künstlichen Höhlen durchzogen werden. Diese werden augenscheinlich als Lager, Keller, ja sogar als Pferdestall genutzt – einzigartig!

Flora in der Schlucht Ispica

Damit gelangt man in das Gebiet "Parco Archeologico Forza". Das Gebiet des Archäologischen Parks kann man ohne Eintrittsgebühr betreten, es war bereits schon in der Vorgeschichte bewohnt und beherbergte später eine Festung, die auch Namensgeber für "Forza" war: Fortilitium.

Bis zum Erdbeben war dieses Fort der Eingang zur Stadt Spaccaforno. Man soll etwa drei Kilometer in die Schlucht hineinlaufen können – wir haben es jedoch nicht ausprobiert.

Die Sikeler, auch Sikuler oder Sikulen (griechisch Sikeloi) genannt, waren ein Volk, das in der Antike Ost- und Mittel-Sizilien bewohnte. Der Name der Insel leitet sich von diesem Volk ab. Thukydides (IV, 2) zufolge siedelten sie ursprünglich in Italien, das seinen Namen dem Sikelerfürsten Italos verdanken soll. Als die Sikeler Sizilien besiedelten verdrängten sie die ursprünglich dort lebenden Sikanen in den Westen und Süden der Insel. Im achten Jahrhundert v. Chr. wurden sie durch die griechische Kolonisation ins Landesinnere verdrängt. Die Sikeler sprachen eine indogermanische Sprache, von der nur noch einzelne Wörter bekannt sind. Man vermutet, dass es sich bei ihnen um Italiker handelte, die eine italische Sprache verwendeten.

Die Achterbahn-Fährfahrt nach Malta Sciacca