Motorradtouren Spanien Pyrenäen Serra del Cadi | Serra del Moixero

Zum Balkon Kataloniens | Wasser & Berge wie SOS-Signale

Witzige Kapitelle in der Kathedrale Santa Maria von La Seu d' Urgell
Kapitelle in der Kathedrale Santa Maria von La Seu d' Urgell

Die Stadt ist seit dem neunten Jahrhundert Bischofssitz. Die altehrwürdige Kirche Santa Maria von La Seu d' Urgell und deren Kreuzgang mit phantasievollen Kapitellen zieht viele Besucher an. Wir parken direkt vor der romanische Kathedrale. Eigentlich im Parkverbot, aber es ist Sonntag und wir sind nicht die Einzigen. In der Kirche ist gerade Messe. Wir schauen uns deshalb als erstes den Kreuzgang mit den eigenwilligen Kapitellen an, für den die Kathedrale berühmt ist. Auf einem Kapitell hält eine koboldhafte, verschmitzte Figur einen Löwen von hinten fest und zieht das Maul des Löwen zu einer lächelnden Fratze. Auf einer anderen Säule verschwindet der Kopf eines dickbäuchigen Kobolds zur Hälfte in einem aufgerissenen Löwenmaul.

Das Kathedralenmuseum stellt sehr alte, sakrale Gegenstände wie aufwändig verzierte Särge und viele Jahrhunderte alte Holzmadonnen aus. Anschließend satteln wir die Q und starten in Richtung Süden und Serra del Cadi zu einer Tour entgegen den Uhrzeigersinn.

Beam me up, Scottie!
Blick hinauf in das geschlossene Blätterdach der Platanenallee Passeig Joan Brudieu

Aber erst mal müssen wir wieder zu Verkehrssündern werden und aus der spitzbübisch angelegten Sackgassen-Einbahn-Zone ausbrechen. Schon gestern standen wir nach dem Parken an gleicher Stelle mit ratloser Mine, denn diese Verkehrsführung (vermutlich anlässlich des Kanu-Worldcups) zwingt jeden Verkehrsteilnehmer zum Verkehrssünder zu werden: Was passiert, wenn man eine Einbahnstraße entlangfährt, die an einer Querstraße endet, die nach links mit einem "Durchfahrt-verboten"-Schild versehen ist – aber nach rechts auch? Beam me up, Scottie!

Wir landen wie gestern in der Straße am Rande der Platanenallee, dessen Blattwerk ein dichtes, grünes Dach über der Flaniermeile „Passeig Joan Brudieu“ bilden. La Seu d'Urgell kann auf eine lange und bewegte Vergangenheit zurückblicken. Wobei die kleine Häuseransammlung auf dem Hügel zwischen unserem Hotel und La Seu d'Urgell eigentlich noch bedeutsamer war, denn die kleine Stadt Castellciutat war vom 6. bis zum 9. Jahrhundert Bischofssitz, der nach La Seu d'Urgell verlagert wurde, nachdem die Mauren vertrieben waren. Im 12. Jahrhundert hatte die Stadt ihre absolut größte Macht, als alle Rechte über die Täler von Andorra an die Bischöfe von La Seu d'Urgell fielen. Ende des 13. Jahrhunderts, nach einigen kriegerischen Scharmützeln mit den Nachbarn, mussten sich die Bischöfe jedoch die Macht über Andorra mit den Grafen von Foix teilen. Auch wenn Andorra mittlerweile seine Selbstständigkeit proklamierte, trägt der hiesige Bischof immer noch den ehrenvollen Titel "Co-Prince von Andorra".

Straße geht um einen Felsvorsprung an am Coll de la Trava

Die beiden Gebirgszüge der Serra de Cadi und der Serra de Moixero gehören zu den Pyrenäen, durch den Rio Segre werden sie vom Hauptgebirge getrennt. Die höchsten Berge sind der Pedraforca mit 2497 Metern und der Puig Vulture mit 2647 Metern. Hier befindet sich auch der Parc Natural del Cadí-Moixeró. Am besten befragt man Steffi, wie man am geschicktesten zum Coll de la Trava (1480 Meter) kommt. Denn der Einstieg dazu liegt im Dörfchen Cerc – hat man das und die Straße mit der Nummer LV-4008 gefunden, kann man den Pass nicht mehr verfehlen. Die Straße ist knapp zweispurig, nicht immer im besten Zustand, aber das kennt man ja. Die Kurvenorgie kann beginnen: links herum, rechts herum, herrlich.

Kurvenschwindel am Coll de la Trava
Rote Felsen am Coll de la Trava

Auf halber Höhe taucht in einer Linkskurve ein „Mirador“ mit großzügiger Parkmöglichkeit und Sitzbänken auf. Der Blick schweift zurück. Im Tal liegt La Seu d'Urgell und vor uns hohe Berge. Die Felsen der schroffen Berghänge erheben sich leuchtend rot aus dem umgebenden Wald. Auch die Felsen direkt an der Straße leuchten in einem kräftigen Burgunderrot. Wir stehen zehn Minuten lang auf dem Parkplatz, genießen das Panorama, bis neben uns ein Landrover mit laufendem Motor die Luft verpestet.

Wir brauchen Frischluft! Deshalb machen wir uns schnell vom Acker. Bis Tuixen, in manchen Karten auch Tuixent geschrieben, gibt es nur winzige Weiler mit maximal fünfzehn Häusern. Schön anzusehen, aber hier sagen sich vermutlich Fuchs und Hase gute Nacht! Die Straße windet sich kurvenreich an schroffen Felswänden entlang. Tuixen ist ein größerer Ort mit einer bescheidenen, aber stets wachsenden Infrastruktur – es gibt mehrere Restaurants und auch Unterkünfte – wir lassen ihn jedoch links liegen und fahren weiter. Es ist ruhig hier. Sehr ruhig. Wer in Karten oder in Berichten noch von geschotterten Passagen liest – das ist alles passé. Tuixen ist auf einer einwandfreien, frisch geteerten Asphaltstraße zu erreichen.

Eine alte Steinbrücke in den Pyrenäene

Kaum Mitstreiter auf der Straße. Die Straße wendet sich in östliche Richtung und folgt an der Südflanke der Serra del Cadi dem Rio de Josa. Das Dorf Josa de Cadi thront überaus malerisch auf einer Kuppe. Der Coll de Josa ist mit 1630 Metern der höchste Punkt dieser Straße. In der Nähe einer Brücke, die über den Rio de Josa führt sprudelt eine Quelle mit dickem Strahl aus dem Fels. Wir füllen unseren Trinksack auf. Puuuuh! Ist das kkkkkk-kkk-kkkaaalt!!! Die Temperatur des Wassers ist eisig! Wenn das Quellwasser über die Unterarme läuft, fühlt es sich wie flüssige Eiswürfel an!

Wie alt mag die Steinbrücke sein, die nur wenige Meter neben der neuen Stahlbrücke über den Fluss führt? Ein Wanderweg ins Tal beginnt hier – wenn wir Wanderschuhe dabei hätten – hach, das altbekannte Problem – würde es uns durchaus reizen, den einen oder anderen Weg zu erkunden. Wir umkreisen auf der B400 das Massiv des Pedraforca (der Gabel aus Stein) mit seinem markanten Doppelgipfel.

Talblick vom Balkon Kataloniens
Blick auf den Altar über Kirchenbänke hinweg in der Kirche Santuari de Queralt

In Berga sehen wir in kühner Lage weit über uns in dem Fels des Berges Queralt eine Kirchenkuppel und folgen neugierig einem Schild. Die Straße durchquert in einigen Serpentinen einen dichten Pinienwald und führt nach vier Kilometer hinauf auf einen Parkplatz, von dem aus wir die Kirche Santa Maria de Queralt besuchen. Völlig zu Recht trägt das Santuari de Queralt den Beinamen „Balkon Kataloniens“. Die Aussicht ist unübertrefflich.

Wir stehen auf einem steilen Fels, hinter uns die mächtigen Massive der Pyrenäen, über uns das Kloster und unter uns erstreckt sich eine weite Ebene mit der Kleinstadt Berga und betrachten die Landschaft aus der Vogelperspektive. Neben dem Berg blitzt noch ein Eckchen blaues Wasser heraus – dort im Nordosten erstreckt sich der rund zehn Kilometer lange Stausee de la Baells, an dem unser Weg vorhin entlang führte.

Berge, berge, berge, Wasser, wasser, Berge, berge
Landschaften wie SOS-signale

Die BIGTURTLE steht am Rande des Parkplatzes im Schatten. Wo Schatten ist, ist wie immer Parkverbot. Als wir vom Kloster wieder heruntersteigen, bemerken wir schon von weitem das Polizeifahrzeug auf dem Platz. Scheibenkleister, wollen die Knöllchen verteilen? Hat die Guardia Verständnis, dass wir keine spiegeleibratende Sitzbank brauchen können? Hat sie! Als wir das Motorrad erreichen, sind sie wieder weg und haben keine Zahlungsaufforderung hinterlassen. Brav!

Blick über den StauseePanta de la Llosa del Cavall in mitten einer Berglandschaft

Die Route führt weiter auf der LV-4241 in westlicher Richtung nach Sant Llorenc de Morunys. Und wieder stehen wir an einem Stausee namens Panta de la Llosa del Cavall, dessen geologischen Gegebenheiten die Straße folgt. Die Staumauer ist erreicht. Jochen weigert sich hinunter zu schauen. Der Blick vom Geländer an der Staumauer auf den Fuß derselben macht echt schwindlig. Er bittet mich ein Foto zu machen. Er kann nicht hinunter schauen.

Der Bergstausee Panta de la Llosa del Cavall
An der Staumauer: Panta de la Llosa del Cavall

Und hier muss es wohl geschehen sein. Wir haben es nicht gleich gecheckt. Eigentlich wollten wir hier anders abbiegen und eine kürzere Route nach Urschel fahren, aber die Verkehrsführung ist nicht eindeutig. Vermutlich fasziniert der Stausee so, dass wir gar nicht auf den Gedanken kamen, die Straße zu verlassen, die ihm folgt. Die Landschaft ist nach wie vor großartig, wir befinden uns zwischen schroffen Felsen, an denen sich der Stausee entlang schlängelt. So fällt der kleine Fehler, der nicht wirklich einer ist, erst sehr viel später auf, nach Dutzenden Kilometern durch grandiose Landschaft.

Zwei Stauseen weiter. Wir befinden uns mittlerweile auf der C14 und La Seu d'Urgell ist nur noch dreißig Kilometer entfernt. Nach Organya schlängelt sich die Straße durch den Engpass Congost de tresponts. Das waren heute dann 230 km: wunderbare, überraschende Landschaften und Kurven ohne Ende.

Gegen Abend ist unser Hotel La Seu* erreicht. Ich habe eine Befürchtung, als wir um 21:00 Uhr im Restaurant zum Abendessen Platz nehmen: „Bestimmt gibt’s wieder die Stachelschnecken!“ Bingo. Natürlich gibt es sie. Ich erinnere mich gut an den Geruch des einen Gehäuses, das ich als Souvenir mitnahm, als ich es am Waschbecken von allen Resten befreite: nämlich ziemlich fischig und muffig. Und das habe ich gegessen? Dieses Mal lasse ich die Schnecken stehen. Die Knoblauchmayonaise übertüncht heute nix.

Andorra | Zwerg-Staat und Riesen-Supermarkt
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