Motorradtouren Türkei Rundtour Kappadokien Derinkuyu

Derinkuyu | unterirdische, tiefe Verbeugungen

Panoramablick auf Derinkuyu mit seinen Felsnadeln in Kappadokien  Frau steht gebückt in der unterirdischen Stadt in einem Gang in Derinkuyu

20°C Temperaturgefälle innerhalb kürzester Zeit. Nach was klingt das? Nach Deutschland? Nein, ausnahmsweise ist nicht die Rede vom wetterkatastrophalen Deutschland, sondern vom Betreten einer unterirdischen Stadt in Zentralanatolien.

Vierzig Kilometer von Göreme entfernt befindet sich Derinkuyu. Schon der Name dieser Stadt weist auf die unterirdische Buddeltätigkeit ihrer Bewohner hin: Derin = Tief, Kuyu = Loch, Brunnen. Wir treffen in Derinkuyu ein und wollen den Wegweisern zur unterirdischen Stadt (Yeralti Sehri) folgen, aber Marktbuden versperren uns den Weg. Sofort kommt ein Türke und deutet uns, dass wir wenden und dahinten lang fahren sollen.

In dieser Stadt gibt es für motorradfahrende Touristen nur dieses eine Ziel, so dass uns der Türke absolut wortlos versteht. Zwei jugendliche Rotzlöffel auf einem mickrigen Mokick nähern sich und winken uns, wir sollen ihnen hinterher fahren. Mächtig Gas gibt er, der Fahrer-Rotzlöffel. Und freut sich, vor der bulligen BMW immer eine Nasenlänge Vorsprung zu haben. Nur einmal tricksen sie uns aus: Wie in der Türkei gern gebaut, sind die Fahrbahnen räumlich mit einem Grünstreifen getrennt. Plötzlich spielen unsere Rotzlöffel Falschfahrer auf der linken Seite und winken, wir sollten doch auch rüberkommen zu ihnen. Doch wir fahren auf deutsch schön rechts, gesetzestreu wie immer.

Klaustrophobiker bleiben lieber draussen

Die unterirdische Stadt besteht aus dreizehn Etagen. Acht Etagen und davon auch nur ein Teilbereich sind für Besucher zugänglich. Diese unterirdische Räume haben wahrscheinlich schon die Protohethiter (ca. 2500 v.Chr.) begonnen, auszugraben. Erweitert wurden sie von Römern und Byzantinern. Man nimmt allerdings an, dass die oberen Etagen zunächst nur als Keller- und Lagerräume genutzt wurden und die tieferen Lagen von nachfolgenden Kulturen hinzugefügt wurden.

Treppen führen hinab in die unterirdischen Wohnungen in Derinkuyu Treppen führen immer tiefer in die unteren Ebenen der Wohnungen in Derinkuyu

Hier verschanzten sich im 6. und 7. Jahrhundert die ersten Christen vor arabischen Soldatenübergriffen. In unzähligen unterirdischen Höhlenbehausungen hatten über 10.000 Menschen Platz, wenn es sein musste. Nach kurzer Bedenkzeit und Blick in die Urlaubskasse buchen wir einen Führer, der sich schon von hinten angeschlichen hat und sich wärmstens empfiehlt. Grad billig ist das Vergnügen nicht. Er spricht deutsch, dies auch leidlich gut, Nachfragen ist möglich und erwünscht.

Schon tauchen wir ein in diese faszinierende Welt unter Tage. Der Temperaturschock von 32 °C auf 12 °C ist heftig, ist aber anfangs recht angenehm. Später allerdings, nach zwanzig Minuten, vielen Etagen und vielen geduckten Metern in abwärtsführenden Treppen mit einer sehr niedrigen Deckenhöhe.

Egal, da müssen und wollen wir durch. Wir erfahren viel Wissenswertes: Es gibt z.B. unterirdische Kühlschränke, die aufgrund ihrer Lage nur noch 4°C aufweisen und somit ideal zum Aufbewahren von Speisen sind. Die unterirdischen Kirchen weisen Nebenräume auf, die zur Aufbewahrung der Toten während eines Belagerungszustandes dienten. Auch diese wurden durch die herrschenden Temperaturen relativ gut konserviert.

Laut Geschichtsaufzeichnungen ist es noch nicht vorgekommen, dass Soldaten es schafften, bis in die letzten Etagen dieser Anlage vorzudringen. Bei den raffiniert eingesetzten Hürden (sehr niedrige Gänge mit abschließendem runden Mühlsteine mit Schießloch in der Mitte) machten es nahezu unmöglich, diese Stadt vollständig einzunehmen. Ebenfalls gab es labyrinthartige Abzweigungen, die im Nichts endeten.

Die gesamte Anlage ist mit einem Netz von ausgeklügelten Luftschächten horizontal sowie vertikal versorgt. Einige Luftschächte (alle mit einer Länge zwischen 70 und 85 m) enden in Wasserlöchern, aus denen die oberirdischen Stadtbewohner jahrhundertlang ihr Wasser zogen, womöglich ohne Kenntnis, aus welch archäologischen Kleinod sie da ihr Wasser heraufkurbelten.

Viele der unterirdischen Räume werden jedoch auch heute noch, teilweise mehrere Etagen tief als Hauskeller genutzt. Diese Keller liegen dann im nicht öffentlich zugänglichen Teil der unterirdischen Stadt. Eine türkische Quelle gibt an, dass unter einigen Häusern die Keller achtzehn bis zwanzig Etagen in die Tiefe führen sollen, während andere mit Erde verfüllt sind. Auch Tiere hatten hier unten im Notfall ihr Zuhause. Sie wurden durch eine lange Rampe bis in den vierten Stock dieser Stadt transportiert. Ihre Körperwärme heizten die anliegenden Zimmer auf und ihr Kot wurde getrocknet und als Brennmaterial verwendet. Es wurde nichts verschenkt und alles sinnvoll wiederverwendet. Über die Gerüche in diesen Räumen schweigen die Annalen.

Mit dieser Rundumversorgung waren Durchhaltephasen bis zu mehreren Monaten möglich. Die längste Belagerung dauerte sechs Monate an. Dann brach der Winter herein und da die Belagerer dafür nicht gerüstet waren, mussten sie unverrichteter Dinge wieder abziehen und die Belagerten konnten wieder ans Tageslicht klettern. Menschen mit Klaustrophopie sei von einem Besuch einer solchen Anlage abgeraten! Meterlang in schulterbreiten, maximal anderthalben Meter hohen (und wie in gefühlten 1,20 Meter hohen) Gängen zu laufen ist unwahrscheinlich anstrengend, noch dazu, wenn es treppab geht. Besonders Jochen mit seinen fast zwei Metern musste sich ganz schön zusammenfalten.

Lieber die Jacke anziehen!
Schwitzen bei 12 Grad plus

Und wenn man so wie wir leichtbekleidet hinuntersteigt, steigt mit jedem Tiefenmeter auch die Erkältungsgefahr bei den konstant herrschenden 12°C. Jochen konnte irgendwann die Fotokamera nicht mehr bedienen, weil vor seinem Objektiv nur noch Dampfwolken waberten: er dampfte wie die gleichnamige Lok – wie man auf dem Foto unschwer erkennen kann.

Und ich hatte nach diesem Exkurs Tage lang mit einem Kratzen im Hals zu kämpfen. Deshalb, liebe Motorradfahrer: lieber die Jacke mit runter nehmen. Der Rundgang ist beendet. Kaum draußen steuern wir das nächste Lokal an. Ein türkischer Kaffee und ein lang ersehntes Magnumeis soll versuchen, das ausgelassene Mittagessen zu ersetzen. Es gelingt ihm ganz gut und wir wandeln wieder zum Motorrad um unsere Heimfahrt anzutreten.

Da uns eine am Straßenrand sitzende Frau (vielleicht Zigeunerin, wahrscheinlicher eine ortsansässige Türkin) bereits beim Verlassen des Motorrades zugesichert hat, auf unsere Big-Turtle aufzupassen, geben wir ihr ein bißchen Kleingeld als Dankeschön. Sie will dieses gar nicht annehmen. Sie hätte es wohl lieber gesehen, wenn wir ihr was abgekauft hätten. Im Nu sind zwei weitere alte Frauen von der anderen Strassenseite zur Stelle und versuchen uns nachdringlich davon zu überzeugen, dass es wohl besser wäre, ihnen eine handgefertigte Puppe (im übrigen weder schön noch türkisch anmutend, eher russisch!) abzukaufen.

Nach anfänglichen Versuchen, der Frau nett und höflich mit Händen und Füßen klar zu machen, dass wir keine Puppen brauchen und auch vor allem keinen Platz dafür haben, geben wir es auf und kleiden uns in Ignoranz. Aber hartnäckigerweise palavert die Frau weiter. Wir möchten nicht wissen, was sie uns auf türkisch alles erzählt. Man will den Leuten ja nix Böses. Dies ist das erste Mal, dass uns die Verkäuferanmache zu nerven beginnt. Nach einigen Minuten weiteren Lamentierens schleicht sich unsere personalisierte Geduldsprobe mit ihrer heimatlosen Puppe von dannen.

Mittelmeerküste