Motorradtouren Türkei Rundtour Schwarzmeerküste Akçakoça

Von Istanbul an die Schwarzmeerküste & Akçakoça

Unweit der Galata_Brücke

Halb sieben am Morgen. Wir befreien unseren fahrbaren Untersatz aus den Fängen des bewachten Parkplatzes des Hotel Ilkay* in der Innenstadt Istanbuls und hören an dem "Böööööppp" beim Entsichern der Alarmanlage, dass wieder einmal einer mehr wollte als nur anschauen. "Nur mal draufsetzen?" Vermutlich, das passiert hier ständig und wir haben kein schlechtes Gefühl dabei.

Eigentlich bietet das Hotel Ilkay* (wie fast alle Istanbuler Hotels) einen Bringservice an, normalerweise zum Flughafen, in unserem Falle aus der Stadt raus, aber bis der Typ auftauchen würde – das dauert uns zu lange und dann ist volle Rushhour!

Panoramablick auf den Bosporus und eine vorgelagerte Insel

So machen wir uns froher Dinge und mit wenig Verkehr auf den Weg Richtung Schwarzmeerküste. Es ist 7:45 Uhr. Nach wenigen hundert Metern ist der erste Verfahrer schon passiert. Anstatt auf die Spur über die Galata-Brücke zu wechseln, erwischen wir den Abzweig unter der Brücke hindurch. Komisch, als wir herfuhren und das Hotel suchten, wollen wir nicht, aber fuhren gleich zweimal gezwungenermaßen über die Galatabrücke. Jetzt, wo wir wollen, können wir nicht.

Das Verkehrsgewühl hält sich um diese Zeit noch in Grenzen. "Steffi" spielt auch ganz gut mit, obwohl wir uns konstant ca. Dreihundert Meter neben der mit Google Earth geplanten Strecke befinden. Trotzdem kommen wir drei (Steffi und wir beiden) ganz gut klar. Noch! Die riesige Brücke über den Bosporus sehen wir aus der Ferne über uns schon.

Steffi! Wir wollen auf die Brücke! Nicht unter!

"Steffi" führt, wir folgen. Leider aber unter der Brücke durch. Ziel verfehlt. Langsam kommen wir ins Schwitzen. Der Verkehr rollt nicht immer. Wir unter der Brücke durch und im Kreis auf eine Auffahrt, welche sich meilenweit von der Stelle befindet, an der wir sie vermuten.

Egal, wenig später und mit Hilfe des Sonnenstandes, finden wir die Auffahrt auf die Brücke, welche auch gleichzeitig eine Autobahn ist. Was wir allerdings schon bei der Suche deutlich spüren: Mittlerweile ist Rushhour. Autos überall, jeder meint Erster sein zu wollen. Mitfahren ist angesagt. Funktioniert. Zwar können wir aufgrund der Menge an Koffer, Seitentaschen und Co. nicht überall vorbei, aber es geht. Man muss halt aufpassen – ein Bus links neben uns wechselt auch schon mal auf die Spur nach rechts neben uns – und das knapp vor uns.

Am Ende der Brücke steht eine Mautstation. Shit! An den Dingern scheiterten wir doch schon mangels Sprachkenntnissen oder anderem Unbill vor Istanbul! So stehen wir wieder vor verschlossener Schranke und kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Hat einer eine Ahnung, wie wir für die Maut bezahlen sollen? Plötzlich steht zwei Spuren neben uns ein türkischer Motorradfahrer, holt seine Maut-Scheckkarte heraus, winkt uns zu sich rüber und läßt uns auf seine Karte passieren. Die Schranke öffnet sich. Allmählich finden wir zu einer ausgeglichenen Gelassenheit. Immer, wenn wir an irgendeiner Sache scheitern, ist sofort wie von oben gesteuert ein nettes Helferlein zur Stelle, das uns aus der Beklemmung hilft. Herrlich – diese türkische Hilfsbereitschaft! Es macht sich ein Gefühl breit: Uns kann hier gar nichts passieren: es wird immer sofort jemand zur Stelle sein, der uns hilft. Und wenn es nur ein Passant ist, der uns den richtigen Weg beschreibt, wie wir aus einer Strasse voller Fussgänger wieder hinaus in die richtige Richtung finden.

Ein blaues Boot liegt hinter einem Motorrad auf dem Trockenen

Der Verkehr nimmt nun langsam wieder etwas ab. Laut "Steffi" sollen wir an der nächsten Ausfahrt wieder raus. Ausfahrt raus, Pampa da. Wieder unendlich viele Autos vor, neben und hinter uns. Ein kleiner Ausrutscher in der Kartenleserei läßt aus dem gesuchten Ort den werden wo wir uns befinden.

Eine Nachfrage an einen neben uns fahrenden Rollerfahrer, wird uns bestätigt mit: Yes, it is here! Fakt ist aber, dass laut Karte die Ortschaft vierzig Kilometer weiter nördlich zu suchen ist. Dumm nur, dass die Strasse, auf der wir uns befinden, auch wie der gesuchte Ort heißt! So war das JA des Rollerfahrers ja gar nicht falsch!

Egal, Augen zu und weiter. Wir sind wieder auf der Autobahn, schlagen eine etwas andere Route ein als ursprünglich geplant, und finden die korrekte Autobahnausfahrt, nachdem wir an der letzten Mautstation auch dasd Häuschen mit den Menschen (Cash) gefunden haben, und machen uns auf die E020 Richtung Norden. Wir sind wieder auf Kurs.

Motorrad steht am Straßenrand bei einer Pause auf dem Weg zur Schwarzmeerküste

Die E020 ist sehr gut ausgebaut und ermöglicht uns ein rasches Vorankommen. Teilweise drei- und vierspurig führt sie Richtung Norden. Verfahren kann man sich auch kaum, da die Ortschaften gut ausgeschildert sind.

Wir verlassen in Kaynarca die E020 und schlagen uns Richtung Küste durchs Hinterland. Hier fängt die Straße langsam an, das zu halten, die Karten versprachen. Enge kleine Straßen, Kühe auf der Fahrbahn, Fußgängerzonen eigens für einheimische Männer (und wir mittendrin), einfach Klasse.

Ein Hütehund hätte uns gefährlich werden können. Aber wir hatten einen "Rattenfänger" vor uns, ein Auto, dessen Reifen der Hund erstmal verabscheuungswürdiger fand. Und als er abließ, war erstmal die Luft raus – aus dem Hund.

Mittelschwere Verständigungsprobleme

Bei einer kurzen Rast in einem kleinen Provinznest wollen wir unser Mittagsmahl zu uns nehmen. Mittelschwere Verständigungsprobleme – im Hinterland kommt man oft mit Englisch nicht recht weiter – führen zu einem Wirrwarr an Meinungen und Vermutungen.

Es stehen zwei verschiedene Arten von Döner zur Verfügung. Wir bestellen Wasser. Man holt aus einem Kühlschrank etwas, das wir erst für 250g schwere Joghurtbecher halten. Es stellt sich heraus: das ist das bestellte Wasser. An der Schwarzmeerküste gibt es also Wasser im versiegelten Plastikbecher. Warum nicht.

Blick über die Küste Schwarzmeerküste

Die Dorfjugend findet sich langsam an den Tischen in unserem Rücken ein und unterhalten sich so unauffällig über uns, dass selbst wir das mitbekommen. Elke wird von allen Seiten gemustert. Vor allen die kopftuchtragenden jungen Damen, die sich draußen am Stand gerade einen Döner bestellen, mustern die motorradfahrende Frau immer wieder verstohlen, aber sehr interessiert. Hier ist es etwas Besonderes, als Frau Motorrad zu fahren. Außerdem – wer bei 30°C gefühlter Schnabeltemperatur (der Sensor unseres Thermometers befindet sich unter dem Schnabel) in DIESEN dicken Klamotten Motorrad fährt – der muss doch wohl verrückt sein, oder ?!?!?

Mittlerweile befinden wir uns an einem Tisch und verzehren die beiden Döner und trinken das Wasser aus den Joghurtbechern. Am Tisch hinter uns sitzt eine kleine Ansammlung Mädchen aus dem Dorf. Auch diese führen ein angestrengtes Gespräch über die Fremdlinge mit dem großen Motorrad.

Aber alle halten sich dezent zurück und nach unserem Mahl kommt der Kellner und begießt unsere Hände mit einem Zeugs, mit dem wir uns die Hände reiben (säubern?) sollen. Die Türken nennen das Zeugs Colonia (in Anlehnung an Kölnisch-Wasser) und sind ständig damit beschäftigt, sich die Hände damit einzureiben – und nicht nur die Weiblichkeit! Riecht lecker, selbst durch die Sommerhandschuhe bei einem Fahrtwind von 70 km/h ;-))). Ähnlicher Geruch fiel uns auch in den Moscheen Istanbuls auf, die man mit so einem Duftwässerchen aus der Sprühflasche vernebelte. Zum Abschied heben ein paar Mädels scheu die Hände, um ganz verstohlen ein Winken anzudeuten und freuen sich riesig, als wir zurückwinken.

Wir fahren weiter. Immer am Meer entlang. Gut, sicherlich mal im Abstand von einigen Kilometern, aber immer am Meer entlang. Die üppig grüne Schwarzmeerküste in Paphlagonien, wie man die Pontuslandschaft nannte, war in der Antike ein vergessenes, unwegsames Terrain, das aufgrund mangelnder natürlicher Häfen auch über See nicht erschlossen werden konnte.

Noch heute hinkt die Infrastruktur der "Paphlasier ("Menschen mit barbarischen Zügen") der WestTürkei hinterher. Einzige Ausnahme: Zonguldak, in dessen Gebiet Kohle angebaut wird – der Ruhrpott der Türkei. Eine Sonnengarantie gibt es nicht. Bei unserer Tourplanung stellte sich uns die Frage, ob wir uns der Gefahr aussetzen sollten, auf miesen Hoppelstrecken in Nebelschwaden und Regen fahren zu müssen.

Das typische der schwarzmeerküste? Regen!

In einem Forum lasen wir auf die Frage, was das Typische an der Schwarzmeerküste sei, diese Antwort: "Regen!" Denn die Regenwolken, die vom Meer kommen, bleiben mit Vorliebe an den Hängen des bis über 2.000 Meter aufsteigenden Pontischen Gebirges (Pontos daglari) hängen. Auf dem Foto, in Inebolu aufgenommen, sieht man gut eine Wolkenwalze, die wir so bisher nur an der Schwarzmeerküste sahen, denn auch bei unserer späteren Schwarzmeertour sahen wir diese Walze, die parallel bzw. in spitzen Winkel zum Küstenverlauf über uns schwebte. Obwohl sie meist einer Gewitterfront vorauseilt, kommen wir wieder mal ohne das Regenzug auszupacken davon. Bei diesem meteorologischen Eigenarten ist es kein Wunder und unser Glück, dass die sonnenhungrigen, internationalen Urlaubermassen ausbleiben.

Holzbänke und Tische direkt am Strand auf einer Wiese an der Schwarzmeerküste

Es gibt an der Küste nur einige wenige Ferienzentren, die dann jedoch in den Sommermonaten von den Istanbulern und Ankaranern überschwemmt werden: Dies sind Sile (achtzig Kilometer von Istanbul entfernt), Agva und Agcakoca für die Istanbuler. Und Amasra und Sinop für die Ankaraner.

Wir passieren Karasu und machen uns auf den Weg nach Akçakoça, wo wir unser Nachtlager aufschlagen wollen, sofern wir eine nette Unterkunft dort finden. Uns fallen bei der Fahrt durch die Hügel im Hinterland Akçakoças die zahlreichen Haselnusssträucher auf. 10.000 Tonnen Nüsse werden auf den Plantagen ringsherum jährlich geerntet und landen in Leckereien wie Ferrerro Rocher, Hanuta und Toffifee. Bei einer kleinen Pause in einem Café fragen wir nach dem Weg zum "Tezel-Camping". Wir finden ihn relativ schnell und bekommen ebenso schnell mit, dass er derzeit keine Zimmervermietung anbietet.

Wir suchen weiter. Unser Glück. Wenige hundert Meter weiter treffen wir auf das kleine Hotel Gunbatami* direkt am Strand. Ruhig gelegen, fünfzig Euro teuer. Wir zahlen für eine Nacht die "Luftpreise" an der Rezeption. Wir hätten wohl handeln sollen, tun es aber wegen der einen Nacht nicht. Wir schmeißen uns sofort an den Strand und tauchen ein ins schwarze Meer. Hui, nicht die Füsse nach unten strecken — da ist es saukalt!

Wir ruhen danach auf den hoteleigenen Liegen, die uns der nette junge "Manager" sofort geflissentlich mit zwei Sonnenschirmen ausstattet. Danach hat er einen Heidenspaß, mit unserer Videokamera ein herrlich bewegtes "RTL-Movie" zu drehen. Hinter uns jammert der Muezzin und vor uns springen die Delphine aus den sanften Wellen. Mann, geht's uns gut. Wir haben das Gefühl, es hier durchaus ein paar Tage aushalten zu können.

An diesem Strand steigt die erste Türkin in voller Montur ins Meer: hochgeschlossenes, langärmliges Kleid und Kopftuch. Es scheint eine spezielle Baderobe zu sein, die sich allerdings nur in der dezenteren und einheitlichen Rosa-Farbgebung von der Alltags- und Straßenkleidung unterscheidet. Die Türkin begleitet ihre Kinder beim Strandausflug. Wir Westeuropäer können es kaum glauben, dass man freiwillig in solcher Kleidung zum Baden ins Meer geht. Eine Istanbuler Firma stellt mittlerweile Badeanzüge her, die die Ansprüche des islamischen Glaubens erfüllen, mit langer Hose, langärmlicher Jacke und Haube, die aber trotzdem sehr umstritten sind.

Abends essen wir im Restaurant, das zum Hotel Gunbatami* gehört. Dort bedient uns ein kleiner Kellner mit gefärbten Haaren, der deutsch spricht. Sehr freundlich und anhänglich ist er. Er fragt viel. Spricht viel. Ist ständig am Tisch, um an irgendwas herumzuzupfen oder um einfach nur ein bißchen Smalltalk zu betreiben. Aber so langsam geht uns seine Anhänglichkeit auf die Nerven. Wir wollen in Ruhe für morgen ein bißchen planen. Nicht hingucken ... er kommt schon wieder auf unseren Tisch zu ...

Inebolu