Motorradtouren Türkei Rundtour Schwarzmeerküste Inebolu

Die schön-schlechteste Strecke an der Schwarzmeerküste

Straße entlang der felsigen Schwarzmeerküste

Unser Michael-Müller-Reiseführer meint, dass wir heute die landschaftlich faszinierendste Strecke bis Inebolu vor uns haben. Aber auch die schlechteste, was den Zustand der Straße anbelangt. Das kleine Müllerchen und Frauen haben immer recht.

(Red. Jochen) Der nächste Morgen: Relativ früh sind wir auf den Beinen. Da heute mein Geburtstag ist, werde ich entsprechend gebührend darauf aufmerksam gemacht.

Meine liebe Frau hat am Vorabend heimlich mit dem Manager des Hotel Gunbatami* noch etwas zu meinem Ehrentag organisiert. Eine kleine, aber für zwei Personen doch massige Butterkremtorte mit Schokoladenüberzug und fünf Kerzen (die restlichen hatten wirklich keinen Platz mehr).

Die ersten Kilometer bis Amasra sind noch recht unspektakulär. Was uns auffällt, sind die eigenwilligen Motorrad-Packtaschen, die man hier an der Schwarzmeerküste an den kleinen Hondas, Jawas, etc. spazierenfährt: Fast immer bestehen sie aus Kelim-Stoff und passen natürlich wie die Faust auf's Auge hierher. Wir wollen unbedingt mal so ein Mopped fotografieren, aber so ein Scheibenkleister: Entweder sind wir zu langsam oder die zu schnell.

Schleichfahrt voraus auf türkischen Strassen

Einen eigenartigen Asphalt haben diese Nebenstraßen. Wie's aussieht, kleistern die Türken Teer oder Bitumen mit groben Splitt vermischt auf den planierten Boden und dann gibt's als Sahnehäubchen noch massenweise Rollsplit oben drauf, welcher sich dann im Laufe der Zeit festfährt. Überholende LKWs werden dann ganz schnell zur Splittschleuder und ein steinschlaggeschädigtes Visier kann die Folge sein! Schneller fahren ist nicht – da ein neues Visier 35,– Euro kostet und somit weit unter den von der türkischen "Polis" geforderten Schnellfahrbuße von mindestens 150,– Euro liegt ... Also, weiter Schleichfahrt voraus auf türkischen Straßen.

Blick auf oben auf Dörfer und Buchten an der Schwarzmeerküste Motorrad fährt entlang der Schwarzmeerküste

(Red. Elke) Schon nach kurzer Fahrt kommen mir dumme Bedenken: Habe ich mir / uns selbst eine Falle gestellt mit der Torte? ("Koch es, schäl es oder lass es" ????) Ich hatte mit dem Manager des Hotel Gunbatami* ausgehandelt, dass er "irgendwas macht" und er meinte, er könnte einen kleinen Kuchen besorgen und darauf Kerzen.

Nun, jetzt habe ich zwei riesige Stücke einer zugegebenermaßen leckeren Butterkremtorte gefuttert – ist mir nicht schon ein bißchen übel? Fühle ich nicht schon leichten Brechreiz? Zwickt der Magen? Ich glaube schon ... ich merk' schon was ... mir wird langsam schlecht ... glaub ich ...

Einbildung ist auch `ne Bildung – mir wurde jedenfalls nicht schlecht ;-) Wieder ein Pluspunkt mehr für die türkische Küche !!!

Kurz nach Amasra verlassen wir diesen viel zu langweiligen Abschnitt der heutigen Tour. Nach kurzer Zeit sehen wir zwei Gespanne parken. Da es sich um einen GS-Umbau und einen ebenso abenteuerlich wirkenden Umbau einer Africa Twin handelt, steht schnell fest: es kann sich nur um Deutsche handeln. Ein kurzer Griff zum Bremshebel ...

Wir erfahren, dass sich die beiden Männer (inkl. Ehefrau von einem der beiden) auf einer Tour um das Schwarze Meer befinden. Interessant ist es, von ihren Erfahrungen zu hören. Spannend und abenteuerlich zugleich. Nach kurzer Zeit verabschieden wir uns, um unseren Weg fortzusetzen. Aus den Schilderungen erwarten uns nun 170 km im Paradies. Na ja, tun wir mal ein wenig weg, denken wir uns.

Doch ganz ehrlich, mal abgesehen von dem benötigten Zeitaufwand von 4,5 Stunden für diese Strecke ist es wirklich faszinierend. Herrliche Weitblicke auf's tiefblaue (oder besser tiefschwarze?) Meer belohnen uns für die eher langweilige Anreise bis Amasra. Die schönste Küstenstrecke in der gesamten Türkei. Durchschnittsgeschwindigkeit 30 bis 40 km/h, mehr ist allerdings auf dieser mit Schlaglöchern durchsetzten Strecke nicht drin.

Blick auf den teilweise mit Wiese vorhandenen Strand in Inebolu

Nach diesen viereinhalb Stunden ab Amasra erreichen wir am Abend Inebolu. Hier spricht nun wirklich keiner mehr ein Wort Deutsch. Wir fahren zur einer namenlosen Bungalow-Anlage direkt an der Strandpromenade.

Als wir diese Anlage betreten, fragen wir nach einem Zimmer. Ein netter Herr empfängt uns: Hereinkommen! Hinsetzen! Teetrinken! Er fragt nach dem Woher, dem Wohin, nach unseren Namen, er stellt sich auch vor, sein Name ist Mehmet. Die Zeremonie kennen wir. Wir müssen uns nur noch dran gewöhnen und uns in Geduld üben!

Abwarten und Tee trinken!
Blick auf eine Dusche mit integriertem Klo und Vorhang in Inebolu

Die Anlage ist menschenleer. Es sieht nicht so aus, als müssten wir wegen Überbelegung wieder abziehen. Nach zehn Minuten Teetrinken ziehen wir Mehmet aus der Nase: Ja, sie hätten was frei. (Er hätte vermutlich sagen müssen, ja, es ist alles frei – suchen Sie sich etwas raus!) Gut – trinken wir einen Cay... Aber was kostet das Zimmer?

Es ist neunzehn Uhr und so langsam sehnen wir uns nach einer Dusche und der Magen knurrt. Der nette Herr muss telefonieren und/oder jemanden fragen. Schließlich zeigt man uns ein Zimmer in der Bungalowreihe. Oder sagen wir Barackenreihe?

Die sanitären Anlagen sind typisch türkisch: eine Stehtoilette mit avantgardistisch in Serpentinen gelegtem Wasserrohr zum Spülkasten,unter der Decke, vereint mit einer offenen Dusche hinter einem Plastikduschvorhang. Ein Waschbecken gibt es auch noch. Einfach – aber sauber.

An den Farbklecksen auf diesem betonähnlichen Zimmerboden kann man erkennen, in welchen Farben die Wände bisher gestrichen wurden. Grün, blau, rot, gelb, die Auswahl ist groß. Die Zimmereinrichtung ist einfach – sie enthält alles nicht, was wir nicht brauchen: Schrank und Stühle.

Das Inventar besteht aus zwei getrennten Betten und einem kleinen Tisch. Okay, wir zahlen wahrscheinlich immer noch den doppelten Preis wie die einheimischen Urlauber, aber das ist für uns in Ordnung. Wir nehmen es.

Minimalistisch ausgestattete aber saubere Unterkunft in Inebolu

Beim Abpacken verabschiedet sich mehr oder weniger unser Tankrucksack. Der Reißverschluss ist der Auffassung, dass es nun unbedingt notwendig sei, einen Zacken aus der Krone zu brechen.

Doch Dank etwas Motoröl (was für einen Boxer gut ist, kann für einen Reißverschluss nicht schädlich sein), können wir die Lage soweit bereinigen, dass wir den Tankrucksack heil abbekommen und später auch wieder dran, jedenfalls notdürftig. Während des ganzen Gefummels, den Tankrucksack runterzukriegen, ohne noch mehr zu ruinieren, stehen vier türkische Hotelangestellte um uns herum, würden uns gern helfen, ja, packen auch mal mit an. Dem Hotelchef würden wir am liebsten auf die Finger klopfen, wenn er versucht, den Reißverschluss weiterzuziehen. Aber wir wären lieber allein – wobei sie es natürlich nur superlieb meinen – doch wir befürchten, dass sie unser Problem nicht ganz verstehen und alles nur noch schlimmer machen. Ruhig, ganz ruhig!

Motorrad zugedeckt mit einer Plastikplane in der Unterkunft in Inebolu

Wieder einmal ist es verwunderlich, mit welcher Selbstverständlichkeit und Hingabe Wünsche erfüllt werden. Nicht genug, dass der Hotelier die Koffer in unseren Bungalow schleppt (Wir nennen sie Baracke ;-)), nein, es kommt auch Mehmets Frau gleich mit einer riesengroßen Plastikfolie, um daraus eine Turtle-Garage zu basteln. Heißt das, es kommt doch Regen?

Etliche Kinder hinter dem Gartenzaun betrachten aufgeregt das Treiben. Für sie müssen wir was Abenteuerliches sein. Reiche Fremde oder abgedrehte Touristen, welche eine extrem tolle Möglichkeit gefunden haben, sich bei 30 Grad mit dicken Gore-Tex-Klamotten durch die Welt zu bewegen. Da wir leider nicht die notwendigen Sprachkenntnisse verfügen, können wir nur mit lächelnden Blicken antworten.

Kurz geduscht und ab an den Fressnapf. Na aber, wie gesagt, so einfach ist das hier nicht, wenn man nur ein paar Brocken türkisch kann. So landen wir in einer Man-weiß-es-nicht-genau-Freilicht-Kneipe, auf jeden Fall einer Lokanta und möchten was Leckeres essen. Es läuft auf zwei Fantas mit ortsansässigem Brotfladen (Pide) hinaus.

Die Brotfladen werden von zwei Frauen in einem kleinen Raum auf nach oben gewölbten Eisenflächen am Rande des Freisitzes gebacken und werden zusammengeklappt serviert wie eine Calzone, nur viiiiiel dünner, in etwa so dünn wie unsere deutschen Pfannkuchen. Wir verstehen nur Bahnhof, mit welche Leckereien sie uns die Fladen füllen werden. Macht mal, bisher war alles sehr gut und schmackhaft!

Bayrischtürkischer Walzer auf der Saz

Anschließend kehren wir noch ins Restaurant ein, das zu den Bungalows gehört, um den Abend bei Bier und Rotwein ausklingen zu lassen, denn die Lokanta hat wie alle Lokantas keine Alkohollizenz. Die Sonne verabschiedet sich glutrot hinter einer Wolkenbank und im Lokal hat der hiesige Alleinunterhalter seine Verstärkeranlage in Position gebracht.

Güle Güle in Inebolu

Zunächst begleitet er seinen Gesang auf einem Keyboard. Nach ein paar türkischen Weisen bekommen wir anlässlich unseres Besuches einen türkischbayrischen Walzer auf die Ohren. Hmmm, gibt es hier wirklich so urdeutsch klingende Schlager? Oder ist das eine Hommage an die zwei verrückten Motorradreisenden? Der Takt ist erkennbar, nur die Sprache produziert viele Fragezeichen. Tja, wenn wir jetzt typische Deutsche wären, müssten wir einen Walzer darauf tanzen – was wir zwar perfekt könnten, aber mangels Platz und sonstigem Skrupel nicht tun.

Was danach kommt, ist echte Heimatmusik. Mittlerweile ist der ältliche Barde auf die Saz (Sasch gesprochen), eine typisch türkische Laute, umgestiegen. Für unsere Ohren ist die Musik seeeehr gewöhnungsbedürftig, eher eine Folter als eine Wohltat. Vermutlich singt unser Barde schaurig ausgehende Liebeslieder, denn irgendwann beschweren sich die einzigen weiteren Gäste vom Nebentisch über soviel Schwermut – und unser Barde wird etwas schwungvoller.

Am nächsten Morgen müssen wir diesen traumhaften Landstrich schon wieder verlassen. Die drohenden Regenwolken des Abends haben nachts wohl ein paar Tröpfchen gelassen, aber als wir morgens abfahren, klart es immer mehr auf. Vier aufgeregt schnatternde Frauen gehen vorbei, während wir das Motorrad aufpacken. Sie rufen wie aufgezogen: "Günaydin – günaydin – günaydin" als wir Ihnen diesen Guten-Morgen-Gruß zurufen. Na, wenigstens, die Betonung klingt langsam etwas besser.

Zentralanatolien