Schloss Sztynort | Lost place oder herrschaftliches Gemäuer?
Unser nächstes Zwischenziel ist wieder ein etwas herrschaftlicheres Gemäuer, das jedoch während des Kommunismus sehr gelitten hat. Das Schloss Sztynort (Steinort) galt neben Dönhoffstädt und Schlobitten – die Ruinen des letzteren Schlosses hatten wir ja recht erfolglos angeschaut – als eines der schönsten Schlösser in Ostpreußen.
Es liegt in der Nähe des Dorfes Haarschen und war seit 500 Jahren im Besitz der Familie Lehndorff. Eine bekannte Vertreterin dieser Familie war Marion Gräfin Dönhoff und der vorletzte Besitzer, Carol Meinhard von Lehndorff, war ihr Onkel. Vor allem dieser Onkel muss der Bausubstanz nicht sehr zuträglich gewesen sein. Carol Meinhard von Lehndorff hockte die meiste Zeit in seinen durch dicke, verstaubte Vorhänge verdunkelten Räumen, süffelte einsam vor sich hin oder schmiss Saufgelage für seine Kumpane. Derweil verfiel das Haus immer mehr.
Mit den Nazis hatte er nicht viel am Hut, was man ihm zu Gute halten muss. Einmal sollte er sich nach einer Ansprache mit „deutschem Gruß“ verabschieden. Doch dieser wollte dem Schelm just nicht einfallen: „Wie heißt der Kerl noch mal? Na egal, dann Petri heil!“ 1936 starb er und hinterließ ein renovierungsbedürftiges Schloss und jede Menge Gerümpel. Der letzte Graf Lehndorff und Besitzer des Anwesens wurde 1944 hingerichtet – als einer, der am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war.
1945 wurde im Schloss eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft eingerichtet, in der DDR nannte man so etwas LPG. Dann sollte es zu einem Luxushotel umgebaut werden, aber es blieb bei der Willenserklärung. Der nächste Investor, der den Jachthafen unten am Wasser betreibt, verhob sich ebenso und ließ das Gemäuer weiter verfallen. Das Schloss ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst.
Ein Wunder, dass es noch nicht zusammenbrach. Seit 2009 kümmert sich nun zwar eine deutsch-polnische Stiftung um das Haus, aber viel passiert da offensichtlich nicht. Zumindest nicht in der Vergangenheit. Aktuell werkeln zwei Zimmermänner im Haus hinter den offenen Fenstern. Vielleicht ist ja doch noch nicht alle Hoffnung verloren?
Es ist nachmittags um fünfzehn Uhr und so langsam könnten wir etwas zu beißen vertragen. Seitlich neben dem Park befindet sich eine Gasse mit winzigen Häuslein. Früher waren das bestimmt mal die Häuschen für die Bediensteten. Werbeschilder verkünden verschiedene Snacks, die man in kleinen Buden zubereitet. Hier versuchen offensichtlich die Hausbewohner mit Imbissen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir wählen auf gut Glück eine Bude aus.
Von den auf der Tafel aufgelisteten zehn Speisen gibt es zwar nur eine einzige und wir wissen auch nicht, was es ist, doch wir bestellen es. Es sind Piroggen, soweit können wir das entziffern, nur nicht, mit welcher Füllung. Als sie nach zehn Minuten fertig sind, inspizieren wir unser Einweggeschirr: Piroggen mit Sauerkirschen gefüllt. Dazu einen dicken Schlag Sauerrahm. Die graue Farbe der Piroggen sieht jetzt nicht so appetitlich aus, aber der Geschmack ist gar nicht sooo schlecht.
Weiter geht’s durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Hügel, Wiesen, Straßen, die von Alleebäumen begrenzt werden. Der böige Wind macht uns zu schaffen. Wir benutzen bevorzugt kleine Nebenstraßen. Dörfer sind oft nur wenige Häuser stark. Wer in dieser Einöde wohnt, muss es mögen. Ein vielleicht siebzigjähriger Mann stapelt vor seinem alleinstehenden Häuslein an einer solchen Nebenstraße gerade Ziegelsteine von Paletten, die vor seinem Haus abgeladen wurden.
In dieser Einsamkeit zu wohnen, das nächste Haus, geschweige denn der nächste Einkaufsladen, kilometerweit entfernt – für uns schwer vorstellbar. Vor allem in seinem Alter. Was ist, wenn er mal nicht mehr aus dem Haus kann? Offensichtlich hat der ältere Herr noch große Pläne mit seinem Haus – angesichts der Menge Baumaterial, das er sich liefern ließ.
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