Ryn, hier bleiben wir
Straßen, Berge und Talsenken. Und massig Kurven.
Herz, was willst du mehr? Doch die Option "kürzeste Strecke" fuchst uns gerade wieder mal etwas! Kurz vor unserem Ziel versucht uns "Steffi" noch in eine Ortsverbindung zu lotsen, die den Namen STRASSE nicht verdient. Eigentlich sollte sie "unbefestigte Straßen vermeiden", doch ist diese Piste offensichtlich eine normale Straße.
Die eine Hälfte besteht aus runden Steinbuckeln mit ausgewaschenen Anteilen. Unfahrbar. Die andere Straßenhälfte: Offroad mit Schlaglöchern, Sand und Kies. Mit leichter Enduro wäre das alles kein Problem. Doch hier meutert die Sozia. Was bringt es? Fahrspaß? Bestimmt nicht. Höchstens die Erfahrung, vollbepackt über eine Scheißpiste gehoppelt zu sein. Sorry für die Ausdrucksweise. Unser Ziel Ryn ist auch auf besseren Straßen mit deutlich mehr Fahrspaß zu erreichen. Also U-Turn. Jawoll! Herrlich!
Wir erreichen die Stadt Ryn, zu deutsch Rhein. Ryn inmitten der Masurischen Seenplatte ist eine Kleinstadt mit knapp 3000 Einwohnern, sie liegt auf einer fünfhundert Meter breiten Landenge zwischen dem größeren Jezioro Ryńskie (Rheiner See) und dem kleineren Jezioro Ołów (Ollof-See). Eine riesige Ordensburg bildet den Mittelpunkt inmitten des aufragenden Hügels, von dem aus die Straßen zu allen Seiten abfallen.
Direkt am Seeufer des größeren Sees befindet sich nicht nur ein kleiner Jachthafen, sondern auch eine alte Mühle, polnisch Mlyn, die zu dem komfortablen Gästehaus Gosciniec Rynski Mlyn* umgebaut wurde. Hier beziehen wir ein Zimmer mit Blick auf den See. Jetzt könnte bitte nur noch die Wetterlage beständig sein, damit sich auf unseren Fotos der blaue Himmel immer schön im See spiegelt. Aber unsere Wünsche sind schwer zu erfüllen: ein dickes Regen-Tief rollt heran.
Am Abend essen wir Blinie, kross gebratene Kartoffelpuffer, dazu Kasslerstücke in einer Mehlschwitze und trinken Honigbier. Dunkles Honigbier aus der Kormoran-Brauerei Olsztyn, kaum Schaum wie beim Guinness, also vermutlich nichts für eingeschworene Biertrinker, doch uns schmeckt es gut.
Währenddessen dümpeln kleine und größere Boote im Hafen auf dem Wasser. Möwen streiten sich mit lautstarkem Gezeter um die Brotkrumen, die ihnen Jugendliche entgegen werfen. Irgendwo am See versucht eine Freiluftdisco die wetterbedingt trübe Stimmung aufzulockern.
Früher Burgruine - heute Burghotel
Die Mühle, in der wir drei Nächte verbringen, ist ein gekonnt restauriertes Gebäude, das einige Zimmer, einen Laden für lokale Feinkost und Konfiserie sowie ein Restaurant beherbergt. Sie gehört zum Burghotel in der Ordensburg, weswegen wir erst mal rauf zur Burg stapfen und riesengroße Augen bekommen.
Schon allein der Hoteleingang in einem tunnelartigen Durchgang mit den wie von Geisterhand sich öffnenden, schweren Toren - ein klein wenig Mittelalterinszenierung und Phantasialand, sicher nicht jedermanns Geschmack, aber mal was anderes.
Das riesige Gemäuer besitzt eine wechselvolle Geschichte, von der Ordensburg über Gefängnis ab 1853 und Strafanstalt in Kriegszeiten für Zwangsarbeiter bis zur staatlichen Nutzung durch verschiedene Ämter. Bis Anfang der 2000er Jahre verfiel der Komplex zusehends. Noch weitere Jahrzehnte in diesem Zustand hätten den kompletten Ruin des Gebäudes bedeutet.
Ein finanzstarker Investor nahm das Schicksal von Zamek Ryn dann in die Hand. Der Vorher-Zustand des Gebäudes wird im Burghof mit zahlreichen Fotos belegt. Kaum zu glauben, wenn ein Durchgang, der einem Trümmerfeld gleicht, heute den Haupteingang zur Rezeption darstellt.
Der Burghof, der ursprünglich offen war, wurde mit Glas gedeckt und darunter eine Kuppel aus Stoff abgehängt, die die Illusion eines Rittersaales perfekt macht. Die tief hängenden, modernen Kronleuchter entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Symbiose zwischen Lichtquelle und Bose-Surroundanlage.
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