Schwarzmeerküste | Von Sinop nach Ordu
Als der hilfsbereite Hotelbesitzer im Otel 57* in Sinop am Morgen hört, dass Ordu unser nächstes Etappenziel sein soll, begibt er sich sofort an den Rechner, um für uns ein Hotel in Ordu zu suchen.
Am liebsten hätte er uns gleich ein Zimmer reserviert, aber wir machen ihm begreiflich, dass wir gerne überrascht werden. Außerdem haben wir ein Hotel in zwei verbundenen Konaks ins Auge gefasst. Terminstress kommt für uns im Urlaub nicht in Frage, deshalb buchen wir nur selten vor. Im Mai ist die Zimmersuche vor Ort kein Problem. So bleibt es immer schön spannend, in welchem Ort und welcher Unterkunft wir landen.
Leider müssen wir Sinop schon wieder verlassen. Wir hätten uns gern noch das Gefängnismuseum angeschaut, dass sehr authentisch sein soll, weil es bis vor nicht allzu langer Zeit noch in Betrieb war und kriminelle Jugendliche beherbergte. Es ist außerdem der einzige Teil der Zitadelle, die man besichtigen kann. Montags sind jedoch die türkischen Museen und Ausstellungen geschlossen, so auch dieses. Uns drängt die Zeit etwas. Irgendwann fährt unser Schiff in Çesme ab und vorher wollen wir noch Nordostanatolien sehen, vor allem das Kloster Sumela, und mindestens drei Tage in unserem geliebten Kappadokien verbringen. Also nichts wie weg hier ...
An einer Tankstelle an der Einfallstraße nach Sinop spricht uns ein junger Türke in grüner Lederkombi mit einer sportlichen Rennmaschine an. Die üblichen Fragen: Woher, wohin, wie schnell? Fürsorglich warnt er uns vor den Radarkontrollen. Eine Überschreitung des Limits kostet saftige Bußgelder. Erst 2008 wurden diese nochmal kräftig erhöht. Wir nutzen die Gelegenheit, um eine kleine Unsicherheit zu beseitigen. Unser Hotelbesitzer war nämlich ganz erstaunt, als wir ihm erzählten, dass wir als Motorradfahrer auf der Landstraße nur 80 km/h schnell fahren dürften.
Er zeigte sich felsenfest überzeugt, Motorradfahrer hätten das gleiche Speedlimit wie PKWs. Wir glaubten ihm nicht, waren jedoch verunsichert. Sollte es in jüngster Vergangenheit Gesetzesänderungen gegeben haben, die an uns vorbeigegangen sind? Bisher war es immer so: Autos 100, Motorräder 80 km/h, aus welchem unverständlichen Grund auch immer (vermutlich weil Motorräder normalerweise nicht motorisiert sind wie unsere BIG TURTLE). Er lacht spitzbübisch und zeigt uns, wie er den Kontrollen ein Schnippchen schlägt. Seine Hand greift in seine im Brustbereich geöffnete Lederkombi und zaubert sein Nummernschild hervor. Uns ist nur schleierhaft, wo er auf diesen geflickten Straßen seine Maschine ausfährt. Das arme Fahrwerk!
Die Benzinpreise sind hoch, aber angesichts der in Deutschland herrschenden Preise im Verhältnis nicht so haarsträubend wie bei der ersten Tour. Man hat die KFZ-Steuer abgeschafft und holt diese über den Benzinpreis herein. Was zur Folge hat, dass anatolische Bauern den Traktor stehenlassen und wieder die Esel zum Pflügen einsetzen. So berichtet eine türkische Tageszeitung, dass in einer anatolischen Provinz der Preis für einen Esel um das Siebenfache gestiegen sei und sich der Bestand von Eseln von 2200 auf über 4400 verdoppelt hat.
Die Küstenmagistrale ist nun recht nervig zum Fahren. Breit. Viel Verkehr. Keine sehenswerten Landschaften. Städte ohne Flair, aber mit viel Stadtverkehr. Wir sind nur noch auf's Kilometerfressen aus. Ostanatolien wartet und damit das Kackargebirge. Es keimen zwar ernste Zweifel, ob unser Zeitplan uns wirklich einen Besuch des Kackargebirges erlaubt, aber unser Hauptziel, das Kloster Sumela bei Trabzon werden wir auf jeden Fall sehen, dessen sind wir uns sicher!
Ampeln mit Countdown und paralysierte Verkehrsteilnehmer
An den Ampeln von größeren Städten, zum Beispiel in Samsun, stellen wir wiederholt fest, dass andere Verkehrsteilnehmer paralysiert an der gerade grün gewordenen Ampel zurückbleiben, während wir vor ihnen davon starten. Wir erklären uns das Phänomen so, dass sie das große und noch dazu wie einen Packesel schwer bepackte Motorrad betrachten und darüber vergessen, das Gaspedal zu bedienen.
Die Ampeln haben eine sekundengenaue Taktung und eine LED-Tafel zeigt die Sekunden bis zur nächsten Umschaltung. So wissen wir und der neben uns stehende LKW-Fahrer ganz genau, welche Zeit wir für das begeisterte Benzingespräch mit dem LKW-Fahrer haben, der sich an der roten Ampel zu seinem Beifahrerfenster wirft und es herunterkurbelt, um uns zu erzählen, dass er auch Motorrad fährt und zwar eine Yamaha.
Was sagt er? Friedrichshafen?
Schön, eine solche Begeisterung auslösen zu können. Nach Samsun winkt uns ein Polizist in eine Parkbucht und lacht: er hätte den weißen Lieferwagen hinter uns gemeint, der jetzt - vermutlich feixend - vorbeirauscht. Der Polizist kann kein Deutsch oder Englisch. Wir versuchen uns zwar zu verständigen, aber das einzige, was wir von ihm verstehen, ist "Friedrichshafen".
Die LKWs auf den anatolischen Straßen sind oft atemberaubend beladen. Ein Großteil der türkischen LKWs haben keinen festen Aufbau. Die Bordwände sind halbhoch und alles was an Ladung darüber hinaus geht, wird mit Planen oder Gurten festgezurrt.
Die riesige Ladung bunte Bälle sieht launig, aber harmlos aus. Den LKW vor Trabzon jedoch, dessen Ladung aus einem riesigen Felsbrocken besteht und der auf den Ladewänden rechts und links einfach nur locker aufliegt und sonst keinerlei Sicherung erkennen lässt, haben wir allerschnellstens überholt.
Wir erreichen Ordu. Ach du grüne Neune: die Stadt ist riesig! 115.000 Einwohner. Wir stehen verloren an einer vierspurigen Straße. Wie sollen wir ohne Stadtplan eine bestimmte Straße finden? Hier gibt es irgendwo ein Hotel, das in zwei verbundenen, osmanischen Konaks untergebracht ist. Das kann ja lustig werden, wie finden wir hier diese zwei Konaks? Wir sehen nirgends alte Häuser, vermutlich sind wir in diese, Stadtteil schon mal ganz falsch.
Ach, da sind ja wieder einige Polizisten, die fragen wir einfach. Die vier entwickeln eine erfrischende Kreativität, uns ohne Fremdsprachenkenntnisse, aber mit viel pantomimischen Geschick zu erklären, welche Abzweigungen wir nehmen müssen und welche nicht. Perfekt, wir finden die zwei verbundenen Konaks! Zumindest sehen wir sie von der Hauptstraße aus am Hang. Es dauert noch drei Ehrenrunden durch die engen Straßen, bis wir das Karlibel Hotel Ikizevler gefunden haben. Der Besitzer teilt uns beim obligatorischen Tee leider mit, dass sein Haus erst kommende Woche saisonbedingt wiedereröffnet. Schade.
Aber er empfiehlt uns ein anderes Hotel, das Karlibel Hotel Atherina, das vermutlich irgendwie mit diesem hier zusammenhängt und zu dem wir anschließend fahren. Das ist zwar teurer als unsere bisherigen Unterkünfte, aber der Ausblick auf's Meer ist gigantisch. Die Lage des Zimmers zum Meer garantiert uns auch trotz der stark befahrenen Fernverkehrsstraße einen erholsamen Schlaf.
Der Hotelbedienstete, der uns das Zimmer zeigt, spricht perfekt deutsch. Wir trafen schon viele Menschen, die deutsch sprachen und viele lebten auch schon in Deutschland, aber selten hört man ein astreines Deutsch mit guter Grammatik. Bei manchen Konversationen amüsieren wir uns dann über diverse Wörter, bei denen die Türken die zwei aufeinander folgenden Konsonanten nicht sprechen können. Zwei Konsonanten hintereinander gibt es nämlich im Türkischen nicht. So brauchen wir beim Zuhören immer erst eine kleine Denkpause, bis wir verstehen, in welcher Stadt unser Gesprächspartner schon einmal gelebt hatte: Schututtgart! Kulumbach! Ulum!
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