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Schwarzenberg und Lauterer | Was für die Augen und was für die Kehle

Blick von unten auf Perla Castrum das Schloss in Schwarzenberg - Perle des Erzgebirges nennt man die Stadt und Perla Castrum das Schloss

Auf guten Asphaltstraßen tanzen wir einen schwindligmachenden Kurvenwalzer. Am Vormittag ziehen noch Eiswolken breite Streifen über den Himmel, bleiche Nebelschwaden wabern durch manche Täler, aber je später es wird, desto mehr leckt die Sonne den Asphalt trocken und der Himmel zeigt sein schönstes Blau. Eigentlich wollen wir nur fahren – fahren – fahren. Aber nun sind wir im Schwarzwassertal angelangt. Ist es müßig zu erwähnen, dass das eines der schönsten Täler ist? Vermutlich. Welches Tal im Erzgebirge ist denn nicht malerisch?

An einem Besuch Schwarzenbergs kommen wir nicht vorbei. Gottseidank nicht, denn Schwarzenberg ist ein kuscheliges Städtchen. Aber Vorsicht, wir sprechen hier wieder von einer Bergstadt. Ein klein wenig Kondition sollte man schon mitbringen. Die denkmalgeschützte Altstadt zieht sich mit engen Straßen über einen breiten Felsriegel, der von einem weithin leuchtenden, weißen Schloß und der St.-Georgen-Kirche gekrönt wird. "Perle des Erzgebirges" nennt man die Stadt und "Perla Castrum" das Schloss.

Wer unten im weitläufigen Tal parkt (oder parken muss, was angesichts der engen Gassen durchaus passieren kann), muss mit einer Fitnesseinlage über dreißig Höhenmeter rechnen. Am schnellsten, aber auch schweißtreibendsten gelangt man über den Rittmeistersteig oder den Kirchsteig in die Altstadt. Einen kurzen Moment sind wir am Hadern, ob wir bequem mit den Schrägaufzug nach oben schweben wollen oder uns doch den steilen Steig hinaufkämpfen. Wir entscheiden uns für die Stiegen, denn ein bißchen Bewegung ist bei einer Motorradtour nie verkehrt. Noch dazu bei einer durch's Erzgebirge. Denn in kaum einer Region gibt es so viele kulinarische Verlockungen wie hier im "Arzgebarg".

Im Herbst leuchten die Häuser in den schönsten Farben. Unbedingt empfehlenswert ist auch ein Besuch in der Adventszeit, doch bis dahin sind es ja noch drei Monate. Das erleben wir nicht, zumindest nicht mit dem Motorrad. Im Dezember ziehen sich für zehn Tage die Buden eines Weihnachtsmarktes durch die Gassen. Bis in den stimmungsvollen Innenhof des Schlosses. Unserer Meinung nach der schönste Weihnachtsmarkt der Region.

Alle warteten ... und dann kam keiner!
Schild nach Schwarzenberg mit dem Hinweis auf die Unbesetzte Zone Schwarzenberg

Direkt nach Kriegsende trug sich in Schwarzenberg eine verwegene Geschichte zu. Wenn es nicht Aufzeichnungen gäbe, würde man sie kaum glauben. Sie lautet "Unbesetztes Schwarzenberg für sechs Wochen". Während des zweiten Weltkriegs war Schwarzenberg nicht direkt von Kampfhandlungen betroffen. Als die Nazis kapitulierten, wurde der Landkreis Schwarzenberg sowie der angrenzende Landkreis Stollberg und der Stadtkreis Aue nicht von den Amerikanern besetzt (die drangen nur bis Zwickau vor), aber auch nicht von den Russen (die residierten in Annaberg).

Mit allem hatte man gerechnet. Mit Russen. Mit Amerikanern. Und dann kommt keiner! Wahnsinn! So nahmen einige tatkräftige Bürger einfach das Zepter in die Hand, um die westerzgebirgischen Städte handlungsfähig zu halten, vor allem mussten dringend Lebensmittel her. Auch eigene Geldscheine, "Schwarzenberger Reichsmark" hat es gegeben. Die sogar in den sowjetisch sowie amerikanisch besetzten Gebieten anerkannt wurden. Die Ursachen für dieses Kuriosum sind bis heute nicht ausreichend geklärt. Die Spekulationen reichen von geografischem Irrtum (den falschen Fluss als Besatzungsgrenze definiert, Zwickauer Mulde vs. Freiberger Mulde oder ähnliches) bis zu geheimen Absprachen, damit deutsche Soldaten abziehen konnten. Egal. Eine skurrile Geschichte ist es allemal. Ich wuchs nur 25 Kilometer entfernt von Schwarzenberg auf. Meine Oma sagte immer, als ich noch Kind war: "Fast wären wir bei den Amis geblieben und damit jetzt im Westen". Ach, was für ein abenteuerliches und aberwitziges Husarenstück. Übrigens hat Stefan Heym 1984 einen Roman geschrieben, der genau diese Geschichte als Roman lebendig werden lässt. Der Roman erschien in München und 1990 auch in der DDR.

ZUrück im Heute und Jetzt. Der Nebel wurde endlich überall von der Sonne vertrieben und und wir haben große Lust, weitere Highlights anzufahren. Nach kurzer Fahrt erreichen wir schließlich das steilste Städtchen des Erzgebirges, zumindest kennen wir keine andere Stadt hier, die bei der Durchfahrt auf einer derart langen Strecke ein solches Gefälle bzw. eine solche Steigung aufweist. Es heißt Bernsbach. Politisch korrekt hieße es nach der Eingemeindung Lauter-Bernsbach. Denn seit 2013 haben sich die Gemeinden Lauter und Bernsbach zu einer zusammengeschlossen.

Bernsbach – die stadt mit der steilsten Hauptstrasse

Eine Stadt mit 18% Steigung – das muss ihr erst mal einer nachmachen. Nicht umsonst bezeichnet man Bernsbach wegen seiner Lage als den "Balkon des Erzgebirges". Als es die Friedensfahrt noch gab – das war die DDR-Variante der Tour de France – gab man der Route über diesen Anstieg die schwierigste Kategorie 1. Man kann sich das lebhaft vorstellen: wer hier zu Fuß – vielleicht noch mit Kinderwagen – oder auf dem Fahrrad unterwegs ist, braucht kein Fitnesstraining im Studio mehr. Ganz schön schweißtreibend und eine echte Schinderei! Auf jeden Fall: ein Fahrrad ist kein geeignetes Fahrzeug für Bernsbach, ein Motorrad schon eher.

Früher gab es hier für den Winter ganz besonders konstruierte Schlitten: vorn konnte sich jemand reinsetzen und hinten schob einer. Und wenn es den Berg runterging, stellte sich der Schieber einfach auf die Kufen, die unter seinen Beinen links und rechts ziemlich weit nach hinten hinausstanden, eben zum Draufstellen. Nur hinauf wurde es dann wieder beschwerlich.

Blick auf die Hofeinfahrt der Firma Lauter und Spirituosenmuseum

Die andere Hälfte von Lauter-Bernsbach, die kleine Stadt Lauter, ist vor allem für ihre Liköre berühmt und bekannt. August der Starke vernahm Anfang des 18. Jahrhunderts den legendären Ruf der chinesischen Kräuterelexiere und beauftragte die besten Laboranten des Landes, auch so einen belebenden Kräutertrank herzustellen. Ein langes Leben versprach er sich davon, vielleicht auch einen Zugewinn an Manneskraft, wer weiss? Die Legende von 354 Kindern wird zwar von den Historikern auf acht uneheliche Kinder reduziert, aber er war schon kein Kostverächter, der August.

Die königlichen Laboranten wurden 1734 in Lauter ansässig und experimentierten mit den einheimischen Kräutern herum. Sie legten den Grundstein für eine Likörtradition, die von der Firma Lautergold bis in die heutige Zeit fortgesetzt wird.

Am bekanntesten ist der grasgrüne Magenbitter "Lauterer Tropfen". Wir haben ihn bei einem Abendessen probiert. Sieht aus wie Fichtennadelbadewasser. Schmeckt wie Fichtennadelbadewasser. Kann man trinken, muss man aber nicht. Freunde von uns schwören jedoch nach einem fettigen Essen drauf. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Beim nächsten Mal probierten wir dann den Vogelbeerlikör (in arzgebargsch Vuchlbeerlikör)... und siehe da: der ist lecker. Nicht stark, mit einem dezenten Aroma, ein richtig leichtes (Damen)Likörchen.

Buttermilchgetzen aus Aardäppeln
Straßenansicht von Marienberg

Am Abend halten wir Ausschau nach einem Lokal mit erzgebirgischer Küche. Genau nach unserem Geschmack ist eines in Marienberg. Das "Kartoffelhaus". In einem urigen Ambiente inmitten eines Sammelsuriums antiquarer Objekte (das größte ist eine Pferdekutsche ) werden Aardappeln in vielen Zubereitungsarten serviert. Was Ardappeln sind? Erdäpfel. Kartoffeln. Ganz einfach. Einfach wie der erzgebirgische Dialekt. ... wenn man ihn versteht. ;-)

Kartoffeln waren immer schon ein Hauptnahrungsmittel im Erzgebirge. Kartoffeln werden in einen Unzahl von Variationen zubereitet, wie es sie in keiner anderen deutschen Region gibt: Buttermilchgetzen, Klitscher, Backs (oder Bax, keine Ahnung, ich habe es immer nur gegessen oder zubereitet, aber nie geschrieben gesehen), Quarkkeulchen, Klöße ("griene Kließ"), Wickelklöße (Wickelkließ), Kartoffelstampfer, Bratkartoffeln u.v.m.

Die Beliebtheit der Kartoffel liegt schlichtweg daran, dass die Kirchen in den Jahren 1771/72 während einer schlimmen Hungersnot predigten, dass man zunehmend die auf den kargen Böden und im rauen Klima gedeihende Kartoffelpflanzen kultivieren solle, um bei derartigen Hungersnöten gewappnet zu sein. Seither sind Kartoffelvariationen aus dem erzgebirgischen Speiseplan nicht wegzudenken. Sicher haben aber auch die Einflüsse anderer Regionen eine Rolle gespielt. Schließlich durchmischten während des "großen Berggeschreys" viele Franken, Thüringer und andere Zuzügler die Bevölkerung – was auch erklären mag, dass die Franken die Dialekte der Erzgebirger ein klein wenig verstehen.

Den Besucher der Region erwarten nicht nur eine Vielzahl landschaftlicher Genüsse, sondern auch leckere Getränke und vor allem Speisen. Cordon Bleu und Schnitzel gibt es überall – in Leinöl gebratene Buttermilchgetzen ganz sicher nicht!

Talsperre Eibenstock mit Bikertreff
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