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Aussichtsturm Horni Blatná (Bergstadt Platten) | CZ

Vorderansicht auf den Aussichtsturm von Horni Blatna

Bei Fahrten durch Böhmen, noch dazu mit dem Motorrad, da geht einen das Herz auf. Kurz nach dem Grenzübertritt, den man dank EU kaum als solchen wahrnimmt, erreichen wir Horní Blatná (Bergstadt Platten), das ist eine tschechische Gemeinde, die zwar Stadtrechte, jedoch nicht mal fünfhundert Einwohner besitzt. Das war schon mal anders. Belegt sind um die vorletzte Jahrhundertwende fast dreitausend Einwohner. Die Stadt wurde im 16. Jahrhundert von Schneeberger Zinnbergleuten gegründet – die jedoch nur ein Jahrhundert später zum Teil wieder fliehen mussten, zumindest diejenigen, die protestantischen Glaubens waren.

Uns interessiert weniger die Stadt, sondern der Blatenský vrch (deutsch Plattenberg) mit seinem Aussichtsturm. Der Plattenberg ist mit 1043 Metern nur wenig höher als der Auersberg auf deutschem Gebiet. Die schmale, ziemlich kerzengerade Zufahrtsstrasse auf den Berg kann sich nicht so recht entscheiden: Schotterpiste oder Asphaltstraße. Vermutlich ist das eine Straße, die langsam vom Aggretatzustand Asphalt in den Aggregatzustand Piste übergeht: bröselig, rissig, huckelig, aber natürlich fahrbar.

Blick die Rückseite des Aussichtsturms von Horni Blatna

Dieser Platz hat eine illustre, glamouröse Geschichte. Im Sommer 1913 wurde der Erzherzogin-Zita-Turm zusammen mit einem schnuckeligen Hotel hier oben in luftiger Höhe eröffnet. Das Hotel bot einen Tanzsaal und lockte zahlungskräftige Kundschaft an. Das Publikum kam zahlreich. In den 1940er Jahren kamen jedoch Gäste, die das Ende des Vergnügens bedeuteten: das Militär.

Auch in der Nachkriegszeit wurde das Objekt weiterhin militärisch genutzt – was dem Hotel den Rest gab. Es musste in den 1970er Jahren abgerissen werden. Nur der Turm blieb stehen. Mit 21 Metern ist er zwar nicht der Größte, aber der Aufstieg über 92 Stufen hilft, über die doch recht hochgewachsenen Baumwipfel hinwegzuschauen. Unten sind die Fichten echt im Weg und man wünscht sich, dass man den Bäumen die Wipfel klauen würde.

Der Name wurde zu Ehren der Erzherzogin Zita von Bourboun-Parma, der letzten Kaiserin von Österreich-Ungarn, gewählt, ist aber doch reichlich sperrig. Deshalb mutiert der Turm heutzutage meist zum namenlosen "Aussichtsturm". Am Fuss des Turmes wird ein kleiner Kiosk betrieben, der Erfrischungen und die Tickets für die Turmbesteigung anbietet. Wir schielen durch eine Waldschneise hinunter ins Tal. Da brummt gerade in ganz geringer Höhe ein Flugzeug vorbei. Klingt wie ein Oldtimer, der schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Und jawoll, er fliegt UNTER UNS vorbei.

Unweit des Turmes, im Wald versteckt, können zwei Bingen besichtigt werden. Bingen sind eingebrochene Bergwerksstollen, hier bei Platten sind das die Folgen des Zinnbergbaus. Im Erzgebirge gab es im 16. Jahrhundert 1000 Zechen, dadurch sind eingestürzte Stollen keine Seltenheit. Auch unter Städten brechen immer wieder mal Stollen ein, wie erst in Zwönitz geschehen. Komischerweise schreibt man diese Einbrüche mal Bingen, ein anderes Mal Pingen. Selbst in Wikipedia exisitieren beide Schreibweisen, also verwenden wir die, die uns am geläufigsten ist.

Eigentlich wollten wir zu den Bingen laufen, aber als wir am Turm stehen, scharren wir dermaßen mit dem Hufen, weiterzufahren, dass wir unser kleines Wandervorhaben gänzlich vergessen. Schade, die Eisbinge (Ledová Jáma) und die Wolfsbinge (Vlcí Jáma) wären nur 200 bzw. 250 Meter Luftlinie bergab Richtung Horní Blatná auf einem Trampelpfad erreichbar gewesen. Die Eisbinge heißt deshalb so, weil in der sehr engen und tiefen Schlucht bis in den Sommer der komprimierte Schnee als Eis liegenbleibt.

Landschaftsaufnahme der Hochmoorlandschaft Boží Dar (Gottesgab)

Der Turm scheint ein Treff für Motorradfahrer zu sein. Als wir ankommen, hält sich eine Gruppe tschechischer Motorradfahrer mit ganz unterschiedlichen Maschinen am Turm auf. Mit einem der Fahrer beginnt ein angeregtes Gespräch. Wir brechen zufällig zur gleichen Zeit auf. Nur dass die Tschechen auf der Landstraße zur einen Seite abbiegen und wir zur anderen.

Bei unserer weiteren Fahrt auf böhmischer Seite begegnen uns selten andere Verkehrsteilnehmer. Wir befinden uns inmitten einer Hochmoorlandschaft, die sich entlang der Straße bis Boží Dar (Gottesgab) hinzieht. Der Keilberg ist rund zwanzig Kilometer von uns entfernt, also nix wie hin. Über diese kleine Distanz verlassen wir das Westerzgebirge und beamen uns ins Mittlere Erzgebirge.

Mittleres Erzgebirge
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