Motorradtouren Erzgebirge Westerzgebirge Johanngeorgenstadt

Johanngeorgenstadt aka Johannsibirsk

Haus in Johanngeorgenstadt mit Schwibbogen aus Metall im Vordergrund

Die Bergstadt und Grenzstadt zu Tschechien liegt brettlbreit auf unserem Weg ins böhmische Erzgebirge. Wir wollen während unserer Erzgebirgstour immer wieder mal die Seiten wechseln, mal ein wenig ins Böhmische schnuppern – der Erzgebirger würden sagen: ins Behm'sche – dann wieder auf deutscher Seite die Kurven ankratzen.

Der Ortsname Johanngeorgenstadt ist verdammt lang. Das ginge doch auch kürzer, oder? Klar doch – denn der Erzgebirger kürzt gern ab: Oberwiesenthal wird zu O'thal, Chemnitz zu Kams, und Johannstadt ist die wohl gebräuchlichste Abkürzung für Johanngeorgenstadt. Die Stadt verteilt sich von 780 Höhenmetern bis auf 892 Metern, wo sich eine Passhöhe befindet. Rundherum überschreiten die Berge die 1000-Meter-Grenze – das ergibt einen langanhaltenden Winter mit viel Schnee und einem garstigen Wind, der über die Höhen fegt. Dies erklärt auch eine weitere liebevolle Verballhornung: Johannsibirsk. Nur warum die Johannstädter ihren Stadtteil Altstadt verschmitzt Sockenstadt nennen, bleibt uns verborgen.

Motorradfahrer steht vor Schild zur Freien Sächsischen Bierkanzlei

Humor haben die hier! Und Erfindungsreichtum. Wer errät, was sich hinter der Freien Sächsischen Bierkanzlei verbirgt? Als wir das Foto in Johanngeorgenstadt unter dem Schild "Freie Sächsische Bierkanzlei" machten, fanden wir es einfach nur witzig, wussten hingegen nicht, was es bedeuten könnte. Ein Getränkemarkt? Oder ein Getränkehersteller? Erst durch Tante Guckl erfahren wir es. Wer würde dahinter eine gemütliche Kneipe vermuten? Die Sachsen haben eben ständig den Schalk im Nacken.

Man sollte sich nicht wundern, dass wir immer von Erzgebirgern sprechen und nicht, was irgendwie naheliegender erschiene, von Erzgebirglern. An Diskussionen dieser Art erinnere ich mich erst seit der Wendezeit. Davor hatte jeder still zu sein, Heimat- und Brauchpflege lag nicht gerade im Fokus der Parteibonzen. Die Einwohner galten als Einwohner des Bezirkes Karl-Marx-Stadt. Punkt. Individualiltät? Pfff! Alle Menschen waren DDR-Bürger! Um die Uniformität abzulegen, entbrannte nach der Wende bald eine heiße Namensdiskussion.

Die Erzgebirger wehren sich vehement dagegen, Erzgebirgler genannt zu werden. Es gibt viele Argumente dagegen. Die Endung -ler würde verniedlichend oder auch negativ klingen, es hieße doch auch nicht Thüringler und letztendlich hat der große erzgebirgische Heimatdichter Anton Günther im Jahr 1908 auch schon von "Arzgebirgern" gesprochen – darin liegt begründet, weswegen der Erzgebirger stur auf das "l" verzichtet. Der Duden ließe zwar beides zu und irgendwie klingt Erzgebirgler auch gewohnter, runder. Wenn es jedoch die Mehrheit für gut befindet, dann beugen wir uns dem demokratischen Willen und benutzen die politisch-korrekte Schreibweise.

Die Gründer von Johanngeorgenstadt waren Mitte des 17. Jahrhunderts Exulanten aus dem böhmischen Horní Blatná (Platten), Menschen, die wegen ihrer Religionszugehörigkeit aus Böhmen vertrieben wurden. Um sich ansiedeln zu dürfen, hatten sie sich verpflichten müssen, die Stadt nach Ihrem Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen zu benennen. In heutiger Zeit gab sich die Gemeinde stolz den Beinamen "Stadt des Schwibbogens", denn im Jahr 1740 entstand in Johanngeorgenstadt der erste eiserne Schwibbogen und seit 2012 schmückt den Platz des Bergmanns ein riesiger Großschwibbogen, der sich als der größte der Welt tituliert. Kaum zu glauben: 700 Tonnen Stahlbeton und fünfzehn Tonnen Edelstahl wurden verarbeitet, um einen 25 Meter breiten und 14 Meter hohen Schwibbogen zu bauen.

Diese Außenschwibbögen sind meist schmiedeeisern, die für die Innenbereich werden aus Holz ausgesägt. Außerhalb des Erzgebirgs erntet man jedoch oft ungläubiges Nachfragen: Schwib... was? Die Schwibbögen symbolisieren die Sehnsucht nach Licht, vor allem der Bergmänner, die im Winter bei Dunkelheit in die Bergwerke einfuhren und den Stollen erst nach Dunkelwerden wieder verließen. Der Name kommt aus der Architektur, wo ein Schwebebogen ein gemauerter Bogen zwischen zwei Wänden ist. Für die oft gelesene Darstellung, dass der Schwibbogen ein Stollenmundloch darstellt, gibt es keine Belege, verkünden die Experten. Auf den ältesten Bögen sind die Gestirne abgebildet, also wird die Bogenform sicher das Himmelsrund simulieren sollen.

Riesen großer Schwibbogen mit Frau auf Bank davor
Hinweisschild mit der Aufschrift: Johanngeorgenstadt - größter freistehender Schwibbogen der Welt

Im Erzgebirge tobt seit einigen Jahren ein regelrechter Kampf um den Titel des größten Schwibbogens. Gelenau hatte bisher den größten, wobei sich die Kenner um Kennzeichen wie der ungeraden Anzahl der Kerzen stritten (die der Gelenauer nicht hat, im Gegenteil, er ist in allem etwas unkonventionell). Der Johanngeorgenstädter ist breiter, also ...? Nur dumm, dass es lange Jahre im Guinessbuch der Rekorde keine Rubrik für Schwibbögen gab – so konnte man nichts eintragen. Einen Antrag dafür hat man nun gestellt, aber die Eintragung lässt noch auf sich warten.

Gleich hinter "Johannstadt" befindet sich die tschechische Landesgrenze, die wir dank Schengen-Grenzabkommen ohne Kontrollen passieren. Den im Jahr 1946 geschlossenen Grenzübergang gibt es seit der Wende wieder, zunächst nur für Fußgänger, seit 2008 auch für Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen.

Dass wir die Grenze überschritten haben und die Stadt Potůčky (Breitenbach) nicht zu Deutschland gehört, merken wir schon allein daran, dass die Durchgangsstraße zu einem einzigen Vietnamesenmarkt mutiert ist. Die Auslagen ziehen sich fast über die komplette Breite der Bürgersteige. Fussgänger müssen oft auf die Fahrbahn ausweichen, denn auf dem Pflaster der Gehsteige stapeln sich auf Ständern und auf dem Boden Plüschtiere, Schuhe, Brillen, Kaffee, Bekleidung, Vogelhäuschen, Autozubehör, CDs. Auf einem Schild wirbt man "Original. Billig". Alles natürlich echt. Echt?

Die Spritpreise an der grenznahen Tankstelle verlocken, das Spritfass voll zu machen. Richtung Karlovy vary cruisen wir durch eine liebliche Landschaft, die ihren Charme entfaltet, sobald die Vietnamesenhändler nicht mehr das Bild stören. Verfall und Renovierungsbedürftigkeit sieht man noch häufig, aber das Gesamtbild ist einfach "Erzgebirge". Mit böhmischen Akzenten aus der jüngeren Vergangenheit.

Wir passieren am Ortsrand von Potůčky, an der kleinen Landstraße nach Karlovy vary, die "Dreckschänke", ein traditionsreiches Gasthaus, das heute vor sich hin rottet und mangels Schild als "Drackschänk" (wie man den Namen auf erzgebirgisch ausspricht) nicht mehr erkennbar ist. Es gelangte zu Berühmtheit, weil Anton Günther, der Heimatdichter des Erzgebirges, dieses Gasthaus in einem Lied besang und das dann auf einer der damals beliebten Liedpostkarten veröffentlichte. 1991 wurde das Gasthaus für zehn Jahre noch einmal aus dem Dornröschenschlaf geweckt, bevor es wieder zu verfallen begann. Doch mittlerweile gibt es wieder Bemühungen, das Gebäude zu erhalten. Das Gebäude ist nach Jahrzehnten aus staatlichen Händen wieder in Privatbesitz übergegangen. Der Käufer, der sich den Wiederaufbau enthusiastisch antun will, betreibt gegenüber einen Skilift. Man wünscht ihm einen langen Atem, gutes Durchhaltevermögen und genügend finanzielle Mittel, um das Projekt erfolgreich zu Ende zu führen.

Ruckzuck gelangen wir in den kleinen Ort Horni Blatná (Bergstadt Platten), dessen Vertriebene die Nachbargemeinde Johanngeorgenstadt gründeten. Und dessen Berg mit dem Auersberg konkurriert. Einmal was die Höhe und zweitens was die Aussicht betrifft. Natürlich gibt es auch einen Turm. Also auf zum nächsten Berg, zum Plattenberg.

Aussichtsturm Horni Blatna
detailansicht