Prachover Felsen | Prachovské skály

Das Gebiet "Český ráj", das Böhmische Paradies, verspricht unseren Beinmuskeln wieder etwas mehr Anstrengung.
Einige der bekanntesten Felsengebiete in Tschechien, vergleichbar mit dem Elbsandsteingebirge und der Böhmischen Schweiz, sind die Hrubá Skála und eben diese Prachovské skály. In letzterem Geopark erheben sich über zweihundert große Felstürme aus dem Untergrund.


In der vergangenen Nacht hat uns echt das Gelatsche durch Prag gefehlt. Die etwas mehr als 120 Kilometer Fahrt von Prag nach Kutná Hora und die gestrige Stadtbesichtigung und Besichtigung der Gebeinkapelle hat uns nicht gerade herausgefordert und nur einen mäßig tiefen Schlaf beschert. Was aber auch an diesen verdammt harten Betten liegen könnte.
Tschechische Hotelbetten waren in der Vergangenheit für deutsche Rückgrate erst einmal ein gelinder Schock. Auch gestern im Hotel U Kata* in Kutna Hora war das nicht anders. Zu Hause würde der Orthopäde erst einmal einen Rezeptblock zücken und lindernde Massagen aufschreiben. Aber da muss man durch und/oder sich dran gewöhnen. Der Unterbau der böhmischen Hotel- oder Pensionsbetten besteht oft aus einem starren Gestell, aus Metall oder auch festen Holzlatten, öfters auch einfach aus einer Pressspanplatte. Darauf liegt oder lag dann eine zehn, im besten Fall fünfzehn Zentimeter dicke Matratze. Heute ist das gottseidank oft Geschichte, in vielen Unterkünften haben schon Boxspringbetten Einzug gehalten. Adieu Rückenweh!
Eigenartigerweise ist die Gegend nahe den Felsen gar nicht so gut mit Unterkünften gesegnet, wie man meinen müsste. Es gibt zwei größere Hotels, die direkt an das Felsengebiet grenzen, von denen eines - leider das, in dem wir am liebsten eingecheckt hätten - kein Zimmer mehr frei hat. Wir fahren erst einmal in das nächste Dorf Blata, da gibt es laut unserer Recherche drei Pensionen.

Aber egal, wo wir hinkommen: alle Tore sind verriegelt und verrammelt. Also gruseln wir uns doch in "Shining". Unser Navi kennt den Weg zum Hotel und wir staunen nicht schlecht, als "Steffi" uns auf einen geschotterten Weg durch den Wald schickt.
Gigantisch! Wir reiben uns die Augen. Träumen wir? Mit dem Motorrad mitten durch die Felstürme der Prachover Felsen! Ein zwei Meter breiter Weg, teilweise geschottert, aber festgefahren, ist als ganz normale Straße in der Karte eingezeichnet. Wir landen wenig später an dem Hotel, das wir suchen.

Das Hotel Hotel "Skalni Mesto"* am Felsgebiet ist ein traditionsreicher Bau aus den 30er Jahren und mittlerweile schon etwas in die Jahre gekommen. Es bekam in unserem Michael-Müller-Reiseführer die Bemerkung verpasst "man fühlt sich ein bisschen wie im Hotel von Stephen Kings Roman Shining", weswegen es nur unsere zweite Wahl ist. Die langen Gänge erinnern wirklich an den Steven-King-Thriller, aber die Zimmer sind in Ordnung. Also dann. Wir tauschen Motorrad- gegen luftige Wanderklamotten und ziehen los.
Biosauna mit geschlossenem Kreislauf

Bei unserem allerersten Besuch vor einigen Jahren waren wir weiter nördlich im Isergebirge stationiert und sind während eines Tagesausflugs zu den Sandsteinnadeln gefahren. Wir gingen nur den kürzesten Rundgang, für den man rund neunzig Minuten benötigt. Dieses Mal möchten wir die Region gern ausgiebig und in weniger schweisstreibender Bekleidung kennenlernen und suchen uns deshalb eine Unterkunft, von der aus wir das Felsgebiet ganz bequem zu Fuß erreichen können.
Kuttelsuppe und Shopsky Salat
Am Eingang des Naturdenkmals investieren wir an der "Turistická chata" (der "Touristischen Hütte", in der man übrigens auch übernachten kann) einen Teil unseres Urlaubsbudgets erst einmal in eine Kuttelsuppe (ja, schmeckt wie eine Gulaschsuppe, wer es nicht weiss, wird sich über die leckere Suppe freuen...) und einen Shopsky Salat (das sind klein geschnippelte Gurken, Tomaten und Paprika, gekrönt mit geraspeltem Schafskäse) und den Rest schließlich in Eintrittstickets. Ein Labyrinth bizarrer Sandsteingebilde, schroffer Wände, tiefer Schluchten mit Höhlen und Felsplateaus mit Nadelwäldern erwartet uns. Drei markierte Wanderrouten von unterschiedlicher Dauer führen durch das Gebiet. Wir wählen die längste (die grüne), die laut Infotafel mindestens zweieinhalb Stunden in Anspruch nehmen soll.

Vor einigen Jahren sind wir noch in Motorradhosen durch die Felsklammen gestiefelt (und das im wahrsten Sinne). Wir gingen nur den kürzesten Rundgang, jedoch ist es uns noch in lebhafter Erinnerung, wie die Motorradhosen zu einer Biosauna mit geschlossenem Wasserkreislauf mutierten. Die felsigen Schluchten sind nicht auf Besucher in Motorradkleidung ausgelegt: der engste Durchgang zwischen den Felsen misst nur 35 cm. Da verursachen die Hüftprotektoren eklatant laute Schleifgeräusche.

Das Felsengebiet ist heute (wieder) in privatem Besitz. Im 13. Jahrhundert wurde die Burg Velis gegründet und zum Herrschaftsgebiet zählte auch das Gebiet der Prachover Felsen. 1637 erwarb Heinrich Graf Schlick die Herrschaft. Im Jahre 1948 wurden die Prachover Felsen, zusammen mit dem gesamten Vermögen des Heinrich M. Schlick, beschlagnahmt und bis 1993 vom Staat verwaltet. 1993 wurde das gesamte Familienvermögen zurückgegeben und seit 2000 kümmert sich die Familie Schlick um alle touristischen Belange und die Verwaltung des Gebietes.

Nach zweieinhalb Stunden Wanderung erreichen wir ein Gebiet, bei dem die Wanderwege respektive -treppen tief in den felsigen Grund eintauchen. Die Luft ist feucht und kühl, die Felsen tragen einen grünen Moospelz. Wir krauchen durch Felsspalten, winden uns durch kleine Löcher und erklimmen zur Abwechslung Aussichtsfelsen in schwindeliger Höhe. Hier unten in dem kühlen, dunkelgrünen Grund hören wir nur die Bäume im Wind rauschen und die Vögel singen, durch die Baumkronen finden nur wenige Lichtstrahlen den Weg zu uns. Mücken tanzen in dem sanften Licht. Wir sind ganz allein. Andere Wanderer sind nicht mehr zu hören.
Perfektes Tschechisch. Vielleicht.

Am Ende des Tages haben wir tausend Treppenstufen auf unserem Aktivitätsbarometer. Oder waren es mehrere tausend? Wie groß wird morgen früh das Gejammer wegen unseres Muskelkaters ausfallen?
Als wir das Felsengebiet verlassen, kehren wir in der angrenzenden "Turistická chata" ein, der Hütte am Eingang zum Felsgebiet, die es schon seit rund 100 Jahren gibt. Mit stolz geschwellter Brust bestelle ich in perfektem Tschechisch zwei Tassen Kaffee, um unseren Koffeinpegel wieder auf ein erträgliches Maß anzuheben. Die Bedienung schaut mich zweifelnd an und fragt auf deutsch: "Zweimal?" Das war wohl nichts mit dem perfektem Tschechisch.
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