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Prag

Uhr am Altstädter Rathaus
Pantomime als roter Harlekin in Prag

Unser kleines Anyday Appartement* liegt rund zwei Kilometer von der Karlsbrücke, 700 Meter vom Wenzelsplatz und drei Kilometer von der Burg entfernt. Die ehrwürdige Stadt in drei Tagen kennenlernen zu wollen ist schon ein kühnes Unterfangen, aber wir sind voller Tatendrang. Wir werden den abendlichen Bierkonsum durch Beinarbeit am nächsten Tag wieder wettmachen oder den abendlichen Bierkonsum durch die Beinarbeit tagsüber verdienen ... wie man es nimmt.

Wir tauchen unter. 60 Meter weit
Blick von der Karlsbrücke hinüber zum Hradschin

Mit einer sechzig Meter langen Rolltreppe rumpeln wir an der nächsten Metrostation hinunter zum Metroschacht und erstehen am Schalter ein Dreitagesticket für den öffentlichen Nahverkehr. Die Metro bringt uns der Karlsbrücke ein gutes Stück näher. Wenn möglich, werden wir die öffentlichen Verkehrsmittel wie Tram, Bus und Metro nutzen.

In der Mitte fließt die Moldau oder Vltava, wie sie auf tschechisch heißt. Flußaufwärts steht die Burg Vysehrad, daran schließen sich die Häuser der Neustadt (Nové Město) an, die zu Zeiten Karl IV. angelegt wurden. Zusammen mit der Altstadt (Starè Město) füllen diese zwei Stadtteile die eine, leicht abfallende Hangseite. Gegenüber liegt die Kleinseite (Mala Strana) mit ihren Palästen, Kirchen und dem alles überragenden, riesigen Hradschin.

Hier begeben wir uns auf die ausgelatschten Trampelpfade der Stadt, dessen prachtvolle Bauten die letzten zwei Weltkriege mangels Bombenangriffen fast unbeschadet überstanden haben. Wir schlendern zusammen mit Tausenden Japanern, Amerikanern und noch mehr Russen zur zehn Meter breiten Karlsbrücke. Natürlich sind auch Tschechen unterwegs, doch die russische Sprache dominiert merklich. So ziemlich jeder Tourist wird diese Brücke einmal passieren und jeder Besucher, der von der Altstadt aus die Kleinseite und dort vermutlich die Burg besuchen will, wird sie benutzen.

Skelett steht an Bartisch vor einer Kneipe und trinkt Absinth
Personen sitzen in einer holzgetäfelten Bierkneipe

Tschechien hat einen Pro-Kopf-Verbrauch von 145 Litern Bier im Jahr. Damit rangiert das Land an der Spitze der Bier trinkenden Nationen. An die zweite Stelle trinken sich alljährlich die Hopfenliebhaber der Alpenrepublik Österreich und erst auf dem dritten Rang landet der Deutsche mit 100 Litern Durchschnittsverbrauch pro Einwohner. Noch nie in der Geschichte der Statistik hat es ein Land geschafft, die Tschechen vom Spitzenplatz beim Pro-Kopf-Bierkonsum zu verdrängen.

Das Pivovarsky dum, zu deutsch „Haus des Bieres“ oder „Bier-Haus“, verhilft uns zu unserem ersten Biererlebnis in Prag beziehungsweise Tschechien. Einheimische Biertrinker beweisen Phantasie und behaupten, die Bezeichnung „Goldenes Prag“ stamme nicht von den glänzenden Kuppeln der Stadt, sondern sei vielmehr durch das Schimmern des Gerstensafts im Glas inspiriert. Wo sonst gibt es in einer einzigen Stadt 1500 Bierschänken? Selbst wir beide, die zu Hause eher zur Bierabstinenz tendieren, können an diesem ersten Abend schon ein Ranking in Sachen Kulinarik im Bier-Haus aufstellen: Am besten schmeckt uns Bananenbier, Karamellbier, Biersuppe, in dieser Reihenfolge. Bananenbier – wahrscheinlich kräuseln sich dem eingefleischten Biertrinker bei dieser Vorstellung die Fußnägel. Aber Banane und Bier ergänzen sich hervorragend. Das dunkle Karamellbier riecht wie eine himmlische Versuchung, nur der leicht bittere Ab- und Nachgang macht deutlich, welches Getränk durch die Kehle rinnt.

Ein Bisschen zum Bier. Wörtlich.
Schild hängt über einer Bar in Prag

Tschechen trinken kein Bier (tschechisch pivo) zum Essen. Nein, sie essen zum Bier! Auf jeder Speisekarte findet sich eine Rubrik, die, ins Deutsche übersetzt, „ein Bisschen zum Bier“ heißt. Bier ist Hauptnahrungsmittel. Es ist entsprechend preiswert. Reichlich einen Euro für einen halben Liter Bier – das ist grandios.

Nirgends ist die Tradition des Bierbrauens so lebendig wie in Böhmen. Auch wenn in sozialistischen Zeiten die Schlange beim Bäcker wegen eines Laibs Brot endlos war – Pivo gab es immer genug. Das war Kalkül der Genossen, sagt man, um die Widerstände gering zu halten. Das tschechische Bier ist zum Exportschlager geworden, doch der Stolz der Tschechen gehört ihnen längst nicht mehr: ausländische Konzerne haben sich gleich nach der Wende in die traditionsreichen Brauereien eingekauft. In Pilsner Urquell, Staropramen, Krušovice und Gambrinus steckt Geld aus Belgien, Afrika und Brasilien. Nur das Budweiser ist noch ein wirklich tschechisches Bier, das aus einer staatlichen Brauerei kommt.

Ein im Fett heraus gebackenes Gebäck in Schneckenform mit Zucker bestreut

Auf der Mala-Strana-Seite führt eine Treppe hinunter zu einem Trdlo-Stand, der uns schon gestern eine himmlische Zwischenmahlzeit verschaffte. Diese süßen Trdlo-Teile, oft steht auch Trdlnik an den Verkaufsbuden, stellen eine himmlische Versuchung dar, die erst in den letzten Jahren so richtig „in“ wurden.

Das Gebäck kam im 18. Jahrhundert aus Rumänien in die Slowakei und ist nun nach Tschechien emigriert. Man nehme fingerdicke Hefeteigstränge, wickle sie eng auf eine Stange und grille sie – langsam drehend – knusprigbraun über Holzkohle, wahlweise über Gasflammen. Dann noch in Zimtzucker oder Kokos oder Nussmehl gerollt ... Lecker!

“Very good music. Only ten Ejuro.“
Dixilandband musiziert auf der Karlsbrücke

Die mit dreißig Heiligenfiguren geschmückte Brücke ist gut 500 Meter lang – genug Platz für allerlei Künstler, die ihre Werke und Dienste anbieten. Drei Jazzmusiker zaubern eine unvergleichliche Stimmung auf die Brücke und zwingen förmlich zum Stehenbleiben und Mitwippen. Die Karlsbrücke ohne Jazzmusiker – undenkbar! Die Musiker preisen nach jedem Lied auch eine CD an: „Very good music. Only ten Ejuro.“ Auch Zeichenkünstler, darunter großartige Porträtisten und Karikaturisten, bieten ihre Dienste den vorbeiflanierenden Besuchern an. Respekt, wer so zeichnen kann! An anderen kleinen Ständen wird Schmuck verkauft.

Zwei Wachen vor dem Präsidentenpalast

Vor dem Präsidentenpalast findet gerade der Wachwechsel statt. Die beiden vor ihren Wachhäuschen zu Salzsäulen erstarrten Wachsoldaten werden durch frisches Wachpersonal ersetzt. Um danach sogleich von Besuchern mit Beschlag belegt zu werden. „Cheese“ – man macht für Fotos allerlei Fisimatenten neben den stur geradeaus schauenden Stillgestandenen. Die Armen! Sie üben bestimmt jeden Tag, wie man die faxenmachende Armada übersteht. Und wünschen sich, die Waffe benutzen zu dürfen.

Ein Typ mit großem Schild protestiert schon seit vielen Tagen vor dem Präsidentenpalast. Keine Ahnung, gegen was, da reichen unsere bescheidenen Tschechischkenntnisse nicht aus. Eine täglich frisch überklebte Zahl auf seinem Protestschild gibt an, der wievielte Tag des Protestes heute ist.

Goldene Gasse und neue Welt
Detail eines Wasserspeiers am Veitsdom

Wir schlendern durch die Burganlage. Da hinten links muss irgendwo das Goldene Gässchen sein. Die Häuser der kurzen Gasse wurden im 16. Jahrhundert als Wohnräume für Bedienstete und die Burgwachen gebaut. Die Legende, das hier Alchimisten wirkten, die auf Geheiß des Königs Gold herstellen sollten, ist vermutlich wirklich nur eine Legende. Die Straße ist winzig, die Häuser schnuckelig und der Andrang war bis vor einigen Jahren größer als auf der Karlsbrücke.

Hausschmuck in Form eines Fisches an einem Prager Haus

Wir kennen die Zlata ulica noch von Besuchen vor 30 und vor 20 Jahren. Schon damals war die Gasse eine einzige Touristenmeile. Die Erdgeschossräume der Häuser waren generell mit kleinen Läden belegt, die alle möglichen Artikel anbieten. Das wird heute sicherlich nicht viel anders sein. Schon damals hat man sich als Besucher gedacht: „Wenn du hier was kaufst, kaufst du sicher doppelt so teuer als anderswo.“

Wir wollen die Gasse eigentlich nur der Vollständigkeit halber anschauen. Nur so zum „Abhaken“. Romantisch wäre die Gasse durchaus, aber nur ohne den ganzen Rummel. Unsere These „Tourifalle hoch drei“ lässt sich leider nicht belegen: hochglanzpolierte Drehkreuzanlagen bewahren uns vor der Beweislegung, da das goldene Gässchen während der Hauptöffnungszeit (im Winter bis 16:00 Uhr und im Sommer bis 18:00 Uhr) nur mit einem Komplettburgticket betreten werden kann. Und das haben wir nicht erworben. Unsere Traurigkeit hält sich in Grenzen. C‘est la vie.

Man beachte die Flasche im Fenster in der Novy-Svet-Gasse.

Nur fünf Gehminuten von der Burg entfernt flanieren wir auf buckligem Pflaster durch eine weitere, wesentlich ruhigere Gasse, die in den vergangenen Jahrhunderten erst von der Burgdienerschaft bewohnt wurde, später Armen ein Quartier bot. Die Gasse Novy svet, übersetzt „Neue Welt“, kommt absolut ohne Touristentrubel aus, Eintritt ist natürlich keiner zu zahlen. Die Häuser sind klein und boten sicher für die vielköpfigen Familien nur begrenzten Platz. Früher wohnte hier Jindrich Polak. Den kennt keiner? Aber sicher doch, eigentlich kennt ihn jeder: er schrieb die Geschichte um Pan Tau. Denk ich an Pan Tau, summe ich sofort die Titelmusik der Kultserie und klopfe und streichle meine imaginäre Melone. Zwei kleine Cafés kredenzen Kaffee sowie Süßes – das war‘s, mehr gibt es nicht zu sehen in dieser kleinen Gasse. Wir sind die einzigen Besucher, während sich nur wenige hundert Meter von uns entfernt tausend Menschen durch die Burg schieben.

Ein Eiffelturm | mitten in Prag
Blick auf den Aussichtsturm Rozhledna
Panorama über Prag vom Laurenziberg

Wir entern eine Straßenbahn. Praktisch, so ein Tagesticket! Es gilt für die Metro genauso wie für die Tram. Nach einer Station spuckt sie uns zwischen hohen Häuserzeilen aus. So, und hier, mitten im Stadtteil Malá Strana soll nun eine (auch im Tagesticket enthaltene) Standseilbahn hinauf auf den 326 m hohen Hausberg Petřín (Laurenziberg) fahren? Wo wiederum der Rozhledna – Aussichtsturm – auf eine Besteigung wartet.

Und wirklich, an der nächsten Straßenkreuzung teilt sich die Reihe der Jugendstilbauten und gibt den Blick auf nach oben strebende Obstwiesen frei. Wir entdecken eine Sternwarte, einen rätselhafte Sonnenuhr, einen Park und schließlich auch den Turm. Man liest oft „Miniaturkopie des Eiffelturms“, die Ähnlichkeit mit dem Pariser Wahrzeichen fehlt allerdings vollständig.

Die geniale Aussicht erzwingen wir, indem wir das Einlasspersonal mit 240 Czk bestechen. Es gibt praktischerweise zwei Wendeltreppen – eine für den Auf- und eine für den Abstieg – so entfallen die Kollisionen mit dem Gegenverkehr. Einen Aufzug gäbe es gegen einen Mehrpreis auch, aber wir erarbeiten uns lieber die Aussicht mit 299 Stufen Beinarbeit.

Nach erfolgreicher Erstbesteigung gönnen wir uns ein Eis. Der Eisverkäufer im Park hält uns für Russen und erklärt uns den Ausverkauf unserer gewünschten Eissorte auf russisch. Jochen schaut mich hilfesuchend und verständnislos an. Als ich ihm ohne groß zu überlegen die russische Ansage verdolmetsche und der Eisverkäufer meine Übersetzung hört, schaltet er sofort auf deutsch um.

Straßenbahn in rot weiß lackiert steht an einer Haltestelle in Prags

Wieder in den Straßenschluchten Prags angekommen, suchen wir die nächste Straßenbahnhaltestelle. Das ist echt eine Pracht – alle paar Minuten kommt eine Tram. Als die Straßenbahn eine langgezogene Serpentine hinaufzirkelt, wird uns bewusst, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind. Wir steigen darum aus und schon nach einer Minute auf der Gegenseite wieder ein. Klasse, mit der Tramwaj, wie die Tschechen sie nennen, Serpentinen gefahren zu sein!

Mann im Kostüm eines Haifisches in den Straßen von Prag

Hey, die Ampeln in Prag sind witzig! Sie klickern je nach Phase sehr schnell (GRÜN) oder etwas langsamer (ROT) vor sich hin. So zügig, wie sie bei GRÜN klickern, sollte man auch über die Straße hasten. Oft befinden wir uns noch in der Mitte der Straße, währenddessen die Ampel auf langsames Klickern umschaltet. Rot! Die Lichtzeichenanlage signalisiert ein langsames, schadenfrohes „Ätschebääätsch – wieder nicht geschafft. Nun schau, wie du heil auf die andere Seite kommst.“

Der Umgang mit dem Zebrastreifen hat sich in den letzten Jahren enorm verändert. Bis in die 90er Jahre stellte so ein tschechischer Überweg eine Straßenmarkierung dar, die von Fußgängern tunlichst nicht benutzt werden sollte, sobald sich ein Kraftfahrzeug näherte. Während unseres diesjährigen Aufenthalts haben wir vielfach stoppende Autofahrer erlebt. Vielleicht sind den Pragern die ihnen ständig auf der Motorhaube klebenden Touristen leid, weswegen sie vorsichtshalber doch an jedem Zebrastreifen anhalten?

Berühmtes Hauszeichen | eine Uhr
Eine Uhr an der Außenfassade der ältesten Brauerei Prags, das U Fleku

Mit dem Stadtplan hangeln wir uns anschließend bis ins „U Fleku“, der vermutlich ältesten Brauerei Prags (seit 1499), die eines der süffigsten Biere Prags ausschenkt. Das Bier ist schwarz wie die Nacht und sehr schmackhaft, selbst für Nichtbiertrinker. Leider ist das Lokal zu einer reinen Touristenattraktion verkommen und das Bier kostet das Doppelte wie anderswo. Sei‘s drum. Ein Besuch des „U Fleku“ ist einfach Tradition.

Tische und Stühle im Gastraum der Brauerei U Fleku

Aber einmal reicht, denn es gibt noch tausend andere Lokale, in denen vor allem auch Tschechen einkehren.

Ein Kellner durchstreift mit einem Tablett voller Biergläser das Lokal. Her damit! Noch bevor wir gegessen haben, kommt ein weiterer Kellner mit einem Tablett voller Schnapsgläser vorbei und versucht uns einen Schnaps aufzunötigen. Einen ganz kurzen Moment lang glauben wir an eine nette Geste und dass der Schnaps vielleicht ein Gruß des Hauses sein könnte – aber nur bis wir beobachten, wie der Schnaps bei anderen Gästen ganz normal auf die Rechnung geschrieben wird. Das gibt mehrere Punkte Abzug.

Fusslahm, aber glücklich
Außenfassade des Grand Hotel Evropa

Erstes Gebot für Prag: die ältesten, ausgelatschtesten, bequemsten Schuhe, die man im heimischen Schuhschrank findet. Trotz Metro und Tram melden die unteren Extremitäten nach dem ersten Besichtigungstag leichte bis mittlere Ermüdungserscheinungen.

Frau Arm in Arm mit Pantomime in Prag

Am folgenden Morgen steht der Wenzelsplatz auf unserem Programm. Eigentlich müsste er Wenzelsboulevard heißen, denn der Platz ist eine sechzig Meter breite Straße, in der Mitte haben Künstler viel Platz sich zu entfalten und Bänke laden zum Ausruhen ein.

Ausruhen steht für Ruhe, hier jedoch Ruhe zu finden fällt schwer: auf dem Platz tummeln sich Künstler, die stillstehen, malen, singen, musizieren oder ihre handwerklichen Erzeugnisse verkaufen. Geschminkte Gestalten verlocken pantomimisch zu Fotos. Ein weissgeschminkter Clown hat ein Blättchen im Mund und quietscht damit permanent Passanten an. Ein anderer steht ganz ruhig und macht nur durch einladende Gesten und freundliche Mimik auf sich aufmerksam. Aber kein Ton verlässt seine Lippen. Der gefällt uns.

Blick über den Wenzelsplatz

Für Tschechen ist der Wenzelsplatz DAS Wahrzeichen von Prag. Für uns ist es eine breite, belebte Straße ... rechts und links rauscht der Verkehr zügig vorbei. Den Platz schmückt ein Reiterstandbild König Wenzels, auf tschechisch Vaclav, der 935 ermordet und daraufhin heilig gesprochen wurde. Wenzel thront in Ritterrüstung auf einem rassigen Hengst. Seit mehr als 1000 Jahren gilt er als der Patron der böhmischen Länder. Angrenzend klettern unsere Blicke an den Jugendstilfassaden der ehemals renommiertesten Hotels von Prag hinauf. Vor 100 Jahren hatten Häuser wie das Hotel Evropa oder das Hotel Jalta seine beste Zeit. Wo einst Kafka und Rilke residierten, verrenken sich heute internationale Touristen die Hälse nach den Jugendstilrelikten. Das Hotel Evropa ist äußerlich immer noch ein Prachtbau, das Management dieses Hotels scheint jedoch auf Abwege geraten zu sein: die Bewertungen in Hotelportalen sprechen Bände. Aber schee isses scho.

Für die fingerfertigen Verschwindibuskünstler, die dir die Geldbörse aus der Handtasche zaubern, muss Prag ein Mekka sein. Denn jeder Reiseführer warnt eindringlich vor den Taschendieben. Am Rande des Wenzelsplatzes stehen zwei Uniformierte, die das Geschehen unauffällig mit einer handgeführten Videokamera aufnehmen. Ob sie zur Verbrechensvorbeugung filmen? Fakt ist, dass man auf seine Siebensachen mit Adleraugen achtgeben soll. Tagsüber sowieso, noch mehr am Abend, wenn einige Gläser Pivo die Urlauber zu leichtfertigen Opfern werden lässt.

Da hängt ein Pferd von der Decke!
Aufgangstreppen in der Lucerna-Passage
Pferd hängt verkehrt herum von Decke. Darauf sitzt Wenzel. Werk von Cerny

In der goldenen Stadt gibt es viele „Durchhäuser“: Häuser, in denen Passagen die Verbindungen zwischen den Straßen herstellen. Die schönste ist die rund einhundert Jahre alte Lucerna-Passage, die man vom Wenzelsplatz und von der Stepanska ulica aus betritt und sich in die Vergangenheit versetzt fühlt.

Eine große Glaskuppel filtert das Licht vor dem Kino „Lucerna“ und taucht die messingglänzende Szenerie in ein hellblaues Licht. Hier begegnen wir zum ersten Mal einem Werk des bekannten Popkünstlers David Černý, der unkonventionell, wenig respektvoll, provokativ mit der tschechischen Geschichte umgeht.

Černý hat Wenzel, den heiligen und hochverehrten Wenzel, überlebensgroß in einer grotesken Pose dargestellt. Der König hat sich offensichtlich vergaloppiert! Sein kräftiger Gaul hängt mit den Füßen aufgebunden nach oben unter der Glaskuppel, Kopf und Schweif folgen der Schwerkraft.

Uhrenturm mit zwei übereinander angeordneten Uhren am Altstädter Rathaus
Detailaufnahme vom Altstädter Rathaus mit Skelett und Musikant neben Ziffernblatt der Uhr

Durch die aus dem Maul hängende Zunge drängt sich einem der Eindruck auf: dieses arme Tier ist tot. Sein heiliger Reiter sitzt in schwerem Harnisch und Rüstung auf dem Pferdebauch und blickt stolz in die Runde, als ob er sogleich in den Kampf ziehen will. Wir werden noch mehr von ihm sehen. Ob seine Werke immer auf Zustimmung beim tschechischen Publikum treffen?

Am Altstädter Rathaus wird das Gedrängel enger, je näher das Schauspiel der Astronomischen Uhr rückt, die den Turm des Rathauses ziert. Zu jeder vollen Stunde zieht ein Gerippe an einem Seil, läutet mit einem Glöckchen und an zwei sich öffnenden Fenstern oberhalb der Uhr defilieren die zwölf Apostel vorbei. Das Spektakel endet rasch und ist eigentlich gar nicht so eindrucksvoll wie wir gedacht hatten.

Musik mit Bock

Straßenmusiker zaubern eine stimmungsvolle Atmosphäre in die Stadt und ein Lächeln in jedes Gesicht. Aus der Mitte des Rathausplatzes ertönt mittelalterliche Musik mit Fiedel, Trommeln, Schalmei und dem eindruckvollsten tschechischen Instrument, einem mächtigen Dudelsack. Die „Bohemian Bards“ geben sich die Ehre und lassen uns einige Lieder lang verweilen und in vergangene Zeiten eintauchen. Ein großer, schwarzer Dudelsack zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.

Drei in mittelalterliche Tracht gekleidete Musikanten

Man kann es kaum glauben: Südböhmen hat eine Dudelsacktradition. Man nennt diese in Böhmen hergestellte Dudelsackart Sackpfeife, Bockpfeife oder einfach nur Bock. Der Bock wird mit einem Blasebalg betrieben, so dass der Musiker nicht hineinblasen muss.

Wenig bekannt ist, dass a) der Dudelsack keine schottischen Wurzeln hat, sondern orientalische und b) der Name Dudelsack im Tschechischen dudy heißt und das wiederum auf das slawische Wort dud-, also „blasen“ zurückgeht. Und um das Ganze noch verzwickter zu machen, wird der Dudelsack in Mundart „pukl“ genannt, was aus dem Deutschen kommt und „Bock“ heißt. Im sogenannten Chodenland, im Südwesten Böhmens, mit dessen Hauptort Domazlice, werden bis heute Dudelsäcke gebaut und in Strakonice findet seit 1967 ein internationales Dudelsackfestival statt.

Fahrrad umgebaut als Werbung für Absinth

Segwayfahrer huschen lautlos über den Platz und sprechen Touristen an. Man kann diese gewöhnungsbedürftigen Fahrzeuge zu gepfefferten Preisen mieten (40 Euro pro Stunde). Auch wenn unsere Füße melden, dass ein wenig Schonung gut täte, brächten uns die Fahrzeuge jedoch nur wenig, da diese am Ausgangsort abgegeben werden müssten.

Mit den vorhandenen Karten hat die Orientierung in der Stadt manchmal so seine Tücken. Muss denn die doofe (okay, kostenlose) Navisoftware auf dem Handy alle Straßen mit den deutschen Namen betiteln? Wie sollen denn bitte tschechischsprachige Straßenschilder und diese Karte zusammenpassen? Dann lieber die Karte der (gekauften) Prag-App aus dem Michael-Müller-Verlag, mit der man super durch die Stadt surft und die auch noch mit jeder Menge Infos aufwartet.

Nur für hochnäsige Spaziergänger: „Hanging man out“
Husova

In der Husova (oder zu deutsch Husgasse – aber das sollte man halt wissen) empfiehlt es sich, einen Blick nach oben zu richten. Weit nach oben. Fünfzehn Meter hoch. Bis dort hinauf, wo sich in etwa die Dachrinne des dreistöckigen Hauses befindet. Da hängt ein Mann. Der sich, überaus lässig mit einer Hand in der Hosentasche, mit der anderen Hand an einer Stange festhält, die einige Meter aus einem Dachgiebel herausragt.

Jeden Moment wird er sich nicht mehr halten können und auf das Pflaster in der Husgasse knallen! Im Gegenlicht erkennt man nicht gleich das entspannte Gesicht. Grinsend und ein wenig spöttisch schaut er auf die Passanten in der Gasse hinab. „Ich häng‘ hier dann mal ein bißchen ab...“ scheint er zu rufen. Seine entspannte Haltung widerspricht völlig der Gefahr, in der er sich da oben, 15 Meter über uns, befindet. Ein weiterer Geniestreich des David Černý. Der Spitzbube der tschechischen Kunstszene und Meister des schwarzen Humors widmete sein Kunstwerk „Hanging man out“ Siegmund Freud.

Siegmund Freud hängt als Figur an einer Dachrinne mit Stange

Die meisten Fußgänger werden keine Notiz von dem Kunstwerk nehmen, weil sie zu sehr mit dem Straßenpflaster in der Einbahnstraße beschäftigt sind. Auch wir finden den verschmitzten Mann an der Stange nur, weil wir ihn explizit suchen. Zwei Amerikanerinnen wundern sich über unsere Fotoaktivitäten. Sie fragen einen Passanten, was es denn zu fotografieren gäbe. Herrlich. Blickführung ist eben auch bei Fussgängern alles, nicht nur bei Motorradfahrern.

Im Jahr 2009 entwarf David Černý für die EU ein 16 mal 16 Meter großes Kunstwerk, das die 27 EU-Mitgliedstaaten karikierte. Das von der Prager Regierung in Auftrag gegebene Werk sollte von 27 internationalen Künstlern der jeweiligen Länder kreiert werden. In Wirklichkeit erfand Černý mit Verbündeten alle diese Künstler und deren Websites. Das Kunstwerk stellte die EU vor eine fiese Humorprobe, die sie allerdings nicht bestand: Schweden war als ein Karton eines namhaften Möbeldiscounters dargestellt, Bulgarien bestand aus lauter Stehtoiletten, Litauen aus Männeken-Piss-Figuren, die in Richtung Russland pinkeln ... und und und. Der Bluff flog kurz vor der Einweihung auf, Černý und seine Mitstreiter entschuldigten sich. Was Černý nicht hinderte, weiterhin respektlose Kunst zu produzieren und zum Beispiel im Jahr 2013 anlässlich der bevorstehenden Wahlen einen meterhohen Lila-Stinkefinger vor dem Hradschin in der Moldau zu platzieren.

Zwei Skulpturen in einem niedrigen Brunnen stehend und pinkelnd - Two pissing men

Im Hof des benachbarten Kafka-Museums treffen wir auf das nächste Černý-Werk. „Two pissing men“. Typisch Černý pinkeln zwei in den Lenden und relevanten Körperteilen sich bewegende Männer vergnüglich schwungvoll in ein flaches Becken in Form des tschechischen Landesumrisses. Also auf die tschechische Landkarte – wie pikant! Wir hätten jetzt gern einen Trinkbecher: es soll ja angeblich Trinkwasser sein, was da aus dem hervorstehenden Körperteil plätschert.

Achtung „Fingerkünstler“ in Aktion!
Touristen wandeln über die Karlsbrücke
Panoramaaufnahme der Karlsbrücke unter der gerade ein Ausflugsschiff durchfährt

Ein weiteres Mal wandern wir über die Karlsbrücke; diese Brücke, von deren Passage sogar Touristeninformationen abraten, weil zu viele „Fingerkünstler“ unterwegs seien. Unweit der Karlsbrücke befindet sich die schmalste Gasse von Prag. Etwas mehr als schulterbreit, benötigt die kurze Gasse zwischen zwei Häuserwänden eine Fußgängerampel, weil Begegnungsverkehr unmöglich ist.

Die Gasse führt zu einem Restaurant mit hinreißendem Blick von der Außenterrasse auf die Moldau und die Karlsbrücke. Wer durch die Gasse will, muss einen Knopf betätigen, so dass die Ampel auf Grün springt. Eigentlich wollen wir nur einen Cappuccino trinken, lassen uns jedoch dummerweise zu Palatschinken hinreißen. Die phantasievolle Garnierung lenkt nur unzureichend von dem fürchterlichen Gummifladen ab. Kulinarisch ist da noch viel Luft nach oben!

Zwei Musiker auf der Karlsbrücke

Es ist Zeit, sich auf den Heimweg zu begeben. Nach vier Stationen Metrofahrt steigen wir am „Namesti Miru“ aus. 87 Meter lang ist die Rolltreppe, die uns wieder an die Oberfläche bringt, sie ist damit eine der längsten Rolltreppen der Welt. Durch die 45° geneigten Handläufe sieht es aus, als lehnten sich die Menschen auf der Rolltreppe von gegenüber entgegen jeder Schwerkraft steif nach hinten.

Einzelne Passagiere gleiten an uns vorbei. Und jeder dieser Rolltreppenfahrer blickt auf ein Handy, der erste, der zweite, der dritte ... auch eine alte Frau mit schlohweissen Haaren hält ein schwarzes Teil in den Händen. „Schau an, selbst diese alte Frau hat ein Handy dabei“ geht mir durch den Kopf. Die Tschechen sind ganz schön fortschrittlich, selbst 80jährige Rentnerinnen sind innovativ unterwegs. Ein zweiter Blick auf das vermeintliche Handy bringt jedoch die Ernüchterung: das schwarze Teil ist nur der Knauf eines Gehstocks.

Schließlich befinden wir uns wieder unweit unseres Anyday Appartements*. Die Ampeln werden abends nur noch mit Lichtzeichen betrieben – das rasante Klickern müssen wir beim Überqueren der Straße selbst übernehmen. Aber die Überquerung erfolgt trotzdem zügig, denn die Autos fahren keinesfalls nur 50 km/h! Ab und zu bollern PS-starke Boliden die Straße entlang, lassen lautstark ihre Muskeln respektive Auspuffe röhren. Die Fahrer zeigen keine Angst vor Radarfallen. Wir wohnen an einer Rennstrecke. Trotzdem: hier ist alles perfekt. Unser Anyday Appartement* passt, es hat eine kleine Küche, ist neu und sauber. Der Lift hilft uns, nach dem anstrengenden Tagesmarsch wieder in den 3. Stock zu gelangen. Prag verhilft uns jeden Abend zu einem himmlischen und tiefen Schlaf wie schon lange nicht mehr. Und vielleicht hat ja auch das abendliche Glas Schwarzbier keinen unwesentlichen Anteil daran?

Český Šternberk | Entlang der Sazava
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