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Fahrt nach Spindlermühle | Riesengebirge

Für die Gegend im Riesengebirge typische aus Holz und Stein bestehende Gebäude an einem Fluß
Kreuzung mit Häusern im Ort Spindlermühle

Das kennen wir doch schon von den albanischen Straßen: als wir am Morgen die „Dicke“ packen, um ins Riesengebirge weiterzufahren, bemerken wir das Malheur: ein Blinkerglas hat sich irgendwann ins böhmische Nirvana verabschiedet. Die Innereien des Blinkers baumeln unmotiviert in der Gegend herum. Wie schon bei ähnlicher Gelegenheit in Albanien geübt, richten es eine transparente Plastiktüte und schwarzes Isolierband wieder.

„Schneeeeeeekoppe!“

Ruckzuck sind wir in Špindlerův Mlýn (Spindlermühle), dem Wintersportzentrum des Riesengebirges. So gigantisch groß wie es der Name vorgibt ist das Riesengebirge keineswegs – es ist ein kleines, bescheidenes Gebirge, das den höchsten Teil der Sudeten darstellt sowie vierzig Kilometer lang und zwanzig Kilometer breit ist. Seine höchste Erhebung, die Snezka, misst 1602 Meter. Den deutschen Namen dieses Berges kennt fast jeder Mensch, der alt genug ist und vor langer Zeit einmal die Werbung sah: „...Schneeeeeeeekoppe!“

Marktstände entlang der Hauptstraße in Špindlerův Mlýn

Auf dem übersichtlich kleinen Kamm des Krkonoše verläuft die tschechisch-polnische Grenze, man kann ihn in einer einzigen Tagesetappe ablaufen. Riesig ist dagegen die Zahl der Hotelbetten, die man vor allem für die Winterskisaison vorhält.

Ungefähr 9000 Gästebetten zählt allein Špindlerův Mlýn, das aus mehreren Siedlungen besteht und dessen Häuser wie über eine große Fläche hingewürfelt wirken. Nicht umsonst nennt man es auch das Sankt Moritz des Riesengebirges. In der Winterskisaison ist hier der Teufel los, die Preise klettern auf italienisches oder österreichisches Niveau.

Im Ortszentrum von Spindlermühle begeistert ein kleines Volksfest mit Karussels eine Handvoll Kinder, die mit lauter, böhmischer Blasmusik beschallt werden. Eine Touristengruppe, durchwegs Menschen im Rentenalter, wird von einer gleichaltrigen Führerin mit „meine Lieben!“ angesprochen. Letztere informiert mit hochgerecktem Regenschirm über Sehenswürdigkeiten, die beste Kneipe und günstige Einkaufsmöglichkeiten.

Blick über die Landschaft mit Wiesen und zwei Holzfiguren an der Moravska Bouda

Wir befinden uns in Rübezahls Heimat. Die sagenhaften Taten des launischen Berggeists wurden seit dem 17. Jahrhundert in Schriften festgehalten und in den Souvenirläden leuchtet der lange, rote, manchmal auch schon ergraute Wallewallebart des hünenhaften Bergschrats von vielen Werbe-Flyern sowie kitschigen Andenken.

So viele Gästebetten! Und wir mittendrin. Nach so viel Touristenkuschelei steht uns jedoch nicht der Sinn. Eine alleinstehende Baude, wie die Berghütten in Tschechien genannt werden, irgendwo oben in den Bergen, das wär‘s jetzt! Wir nehmen darum die Moravská Bouda* ins Visier, sie befindet sich irgendwo da oben im Nationalpark, in 1225 Metern Höhe. Wir geben die Adresse der Baude ins Navi ein und „Steffi“ beginnt ihren Job.

Schotterpiste mit Bierfasskörnung hinauf zur Moravska Baude
Eine Berghütte mit Holfigur in Rübezahls Heimat
Holzfigur auf einem Holzblock vor dem Eingang zur Berghütte Moravska Bouda

Ein Fahrverbotsschild stoppt uns nach kurzer Zeit für Fahrzeuge jeglicher Art, ausgenommen die mit einer begründeten Einfahrerlaubnis nach Paragraf 3. Obwohl wir sicher sind, dass wir mit unserem Unterkunftsziel auch ohne feste Buchung einen Grund zum Befahren der Nationalparkstraße haben, kehren wir um und erkundigen uns vorsichtshalber im Infobüro in Spindlermühle, ob das in Ordnung geht. Ja, geht es. (Update: das ist leider auch vorbei! Heute muss man das Motorrad unten stehen lassen und sich abholen lassen.)

Nach einigen Kilometern auf kurviger Asphaltstrecke durch dichten Wald schickt uns „Steffi“ in einen geschotterten Weg. Anfangs ist der Weg relativ easy zu fahren, aber als Felsbrocken in der Größe eines Fünfliterbierfasses aus dem Fahrweg ragen, streicht der Beste aller Fahrer die Segel. Es muss noch einen anderen Weg geben! Dieser Weg, meint Jochen, ist das Verderben für jeden Fahrzeugunterboden. Zwei tschechische Wanderer bestätigen uns, dass dort oben die gesuchte Baude sei. Aber der Bierfassweg mit 20% Steigung ist gewiss nur der Fußweg ... Also retour.

Zunehmend kühle Luft durchzieht die Motorradklamotten. Unten in Spindlermühle waren es vorhin noch 20 Grad. Der neue Weg, den wir jetzt fahren, ist asphaltiert, wenn auch manchmal geflickt und rissig. Er macht einen großen Bogen um die Baude, passiert einige verlassen aussehende Bauden und steigt immer höher. Auf rund 1300 Metern Höhe wendet sich die einspurige Straße wieder talwärts. Die schwarz-weisse, mächtige Hütte Moravska Bouda* liegt vor uns. Yiiipeeeh. Geschafft. Wir befinden uns auf 1225 Metern und beziehen ein einfaches Hüttenzimmer. Perfekt.

Holzfigur des Rübezahl vor der Berghütte Moravska Bouda

Es hätte uns zu denken geben sollen, dass die Moravska Bouda* in ihrer Internet-Beschreibung ein Trampolin erwähnt. Und hätte es uns nicht auch zu denken geben sollen, dass während unserer Ankunft das Trampolin von einem halben Dutzend Kleinkindern belagert wird? Und ebenso, dass nur eine Viertelstunde nach unserer Ankunft die Alarmanlage unserer BMW losheulte? War die Bemerkung der Bedienung, dass nur 100 Meter weiter in der Vatra-Baude ein komfortableres Zimmer verfügbar sei, vielleicht ein versteckter Hinweis, dass es dort ruhiger sei?????

Frau umarmt eine Holzfigur vor der Berghütte Moravska BoudaElke

Wir bestellen uns Palatschinken. Die besten Palatschinken ever: kleine runde, ein Zentimeter dicke, wolkenweiche Pfannkuchen (eigentlich keine Palatschinken, aber egal), sehr, sehr köstlich. Um uns herum acht Fangen spielende, weinende, schreiende, knapp unterhalb der Ultraschallfrequenz quiekende Kleinkinder. Wir entfliehen dem Ganzen mit einem Spaziergang. Nur eine Viertelstunde bisschen frische Luft schnappen.

Blick in den Gastraum der Moravská Bouda
Blick von innen aus dem regennaßen Fenster auf zwei blaue Autos

Der Wind bläst uns kräftig durch, die Temperatur ist auf 13°C gefallen. Es tut so gut, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Wir gelangen immer höher und irgendwann betreten wir polnisches Staatsgebiet. Ein herrliches Panorama hier oben! Aber nun schnell zurück zur Baude, denn die Wolken werden dichter, dunkler und drohen sich zu entladen. Abends sitzen wir in dem Gastraum, beobachten, wie die dicke Wolkenschwaden über den Berg hinwegziehen, wie die Tropfen an den Fensterscheiben herunterrinnen.

In der Gaststube können wir uns inmitten des Kindergeschreis nur noch in Bierzeltlautstärke unterhalten, fast wünschen wir uns wieder raus ins einstellig temperierte Sauwetter. Wir stecken jetzt vollends in den tiefhängenden Wolken und große Tropfen segeln am Fenster vorbei. Tropfen? Sind das nur große Tropfen? Oder sind es schon Flocken?

Isergebirge | Jizerka
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