Fahrt nach Jizerka | Isergebirge
Am Morgen ist die Welt milchig. Dicke, weisse, undurchdringliche Nebelsuppe wabert um die Moravska Bouda*. Wir stecken in den Wolken, als wir frühstücken. Bis ins Isergebirge ist es ein Katzensprung, also packen wir unsere Dicke und tuckern los.
Die Špindlerova Bouda (1208 m) ist nur noch 500 Meter entfernt. Diese Baude dürfte neben der Peterbaude die bekannteste im Riesengebirge sein. Der Parkplatz davor ist leer, kein Wunder bei dem Wetter. Ein rot-weisser Schlagbaum hält uns davon ab, auf die polnische Seite zu wechseln. Im Sommer ist die Baude auf einer gepflegten Asphaltstraße gut erreichbar, im Winter braucht man Schneeketten. Aber als eine der wenigen Hütten im Riesengebirge ist sie mit dem eigenen Fahrzeug auch in der Wintersaison anfahrbar. Bei den meisten anderen Bauden und Hotels im Nationalpark muss das Auto im Winter oder generell auf einem der (teuren) bewachten Parkplätze im acht Kilometer entfernten Spindlermühle geparkt und der Gast mit hoteleigenen Fahrzeugen befördert werden. Bei einigen fahren stündlich auch Busse des öffentlichen Verkehrs.
Unweit der polnischen Grenze entspringt die Elbe. Man erreicht die Quelle mittels einer mehrere Kilometer langen Wanderung. Bei Spindlermühle wird die Elbe, tschechisch Labe, zum ersten Mal gestaut und bildet die Krausebauden-Talsperre. An der Staumauer bekommen Urlauber gegen eine monetäre Gegenleistung einen kleinen Adrenalinstoß verpasst, indem sie sich, hängend in einem Klettergeschirr, an einem 180 Meter langen Stahlseil mit elf Meter Höhenunterschied auf die andere Uferseite hinüberrutschen lassen können.
Hier unten an der Elbe ist es 5 °C wärmer als bei Abfahrt oben an der Baude. Wir fahren auf kleinen Nebenstrecken. Das nächste, ostwärts liegende Gebirge ist das Isergebirge, danach kommt das Lausitzer Gebirge und die Böhmische Schweiz. Die Straße bei Harrachov ist herrlich zu fahren. Es herrscht relativ wenig Verkehr, aber große Fahrbahnabschnitte sind in den Bach gerutscht und lange, ampelgeregelte Baustellen unterbrechen immer wieder den Fahrfluss. Außerdem begeistern uns immer wieder Alleen mit dicken, fetten, alten Bäumen, die die Straße in einen tiefgrünen Schatten tauchen und das Asphaltband in eine Breite zwängen, bei der der Begegnungsverkehr ein klein wenig Abenteuer verschafft.
Wir werden zu "Mimos"
Ankunft in Jizerka, einem kleinen Weiler im Isergebirge, der zu dem mehrere Kilometer entfernten Korenov gehört. Eigentlich sind die letzten zwei Kilometer für alle Fahrzeuge gesperrt. Aber es gibt da noch ein Zusatzschild in Tschechisch, der Text beginnt mit "Mimo ..." - übersetzt "Außer ...". Also: außer man hätte einen Grund für die Ein- und Weiterfahrt. Wie im Riesengebirge. Auch unser Navi weigert sich strikt, diese Etappe zu routen. "Verboten" ist nicht bei "Steffi". Doch wir sind heute Mimo. Jeder, der hier herumfährt ist ein Mimo.
Jizerka besteht eigentlich nur aus einigen weitläufig in der Landschaft verteilten Holzhäusern. Einige, wenn nicht sogar die meisten, sind zu Unterkünften und Hütten umfunktioniert worden. Das Isergebirge ist der westliche Ausläufer des Riesengebirges, ein Landstrich, der so ganz anders wirkt als das Riesengebirge. Während die Gipfel und Hänge des Riesengebirges großteils undurchdringlich bewaldet sind, sind die Bergbuckel des Jizerske hory oft kahl. Wo einst Wälder rauschten, haben die Emissionen des polnischen Kraftwerks Bogatynia im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vielen Bäumen durch sauren Regen den Garaus gemacht. Sehr oft sieht man noch heute Baumgerippe in den Himmel ragen. Aber es wird aufgeforstet, was das Zeug hält. Die Region ist mit Hochmooren gespickt und bei Wanderern und Radfahrern, im Winter auch bei Langläufern, überaus beliebt.
Die erste Hütte. Verrammelt. Es stehen zwar drei Autos auf dem Gelände, doch die Tür ist verschlossen. In der zweiten ist die Tür offen, aber auch hier ist trotz leise vor sich hin dudelndem Kofferradio keiner hinter dem Ofen hervorzulocken. Auch nicht durch mehrmaliges Betätigen der elektrischen Klingel.
So langsam dämmert es uns: wir suchen zu einer ungewöhnlichen Zeit ein Zimmer. Am frühen Nachmittag sind die Wanderer und Radfahrer noch unterwegs und die Hausangestellten machen Besorgungen. Und wer rein will, hat vermutlich einen Schlüssel. Es gibt natürlich in den tiefer gelegenen Gemeinden massig Unterkunftsmöglichkeiten, jedoch wollen wir partout hier oben nächtigen. Weiter geht's zum Pansky dum / Pyramida*, ein in der ehemaligen Glasbläserei und dem angrenzendem Herrenhaus untergebrachtes Gästehaus.
Hurra! Weiche Betten! Ich glaub's nicht. Kein einziges Bett während unserer bisherigen Tour hatte einen Lattenrost unter der rund 10 cm dicken Matratze. Die Matratzen lagen immer auf starren Metallstäben, einem Pressspanbrett oder einem starren Holzrost. Das schlimmste war das Prager Bett. Hart wie eine Bratpfanne! Nur gut, dass wir jeden Abend von den Besichtigungstouren so fertig waren, dass wir schon schliefen, bevor wir die Bratpfanne überhaupt berührten.
Nächte im Kälte Loch Böhmens: Jizerka
Wir befinden uns in dem Kälteloch Böhmens. Im Jahresmittel herrschen im 850 Meter hoch gelegenen Jizerka die tiefsten Temperaturen Böhmens. Im 15. Jahrhundert wurde das Isergebirge durch Köhler besiedelt, später kamen Goldschürfer und Edelsteinsucher. Der Name eines kleinen Baches, Saphirflössel, weist auf die Art der Funde hin. Als sich da nichts mehr finden ließ, siedelten sich Glasbläser an. Im Bach kann man auch heute noch zuweilen kleine Edelsteine finden, allerdings ist die gezielte Suche und das Goldschürfen strikt untersagt. Beiläufig kucken geht, aber professionelle Schürfutensilien sollte man nicht dabei haben.
Nach wechselvoller Geschichte hat der Ort Jizerka (deutsch Klein Iser) noch ganze acht Einwohner (wobei diese Zahl aus dem Jahr 2001 stammt) und dreizehn Häuser. Kein Wunder, bei gerade mal acht Einwohnern kann es schon mal passieren, dass man keinen einzigen antrifft. Einer seiner berühmtesten Einwohner war der Globetrotter Gustav Ginzel, der in den 60er Jahren ein kleines Häuschen gekauft hatte (das Misthaus) und fortan andere Reisende und Globetrotter in seinem Haus beherbergte. Sein Humor liegt noch in der Luft, nur leider ist Gustav Ginzel seit einigen Jahren tot, aber die Erinnerungen an ein unverwechselbares Haus und einen ebensolchen Menschen sind sehr lebendig.
Wir haben auf der nächsten Seite noch einige alte Fotos ausgegraben. Vom Stereoklo, dessen Klodeckel über dem Ofen hing und und und ...
Bücher Tschechien Das legendäre Misthaus in Jizerka (Isergebirge)