Motorradtour in Tschechien | Knödel, Bier und Polkakurven
Prag. „Dieses Mütterchen hat Krallen“ räsonierte schon der Schriftsteller Franz Kafka über seine Heimatstadt: sie ließ ihn nicht los. Ihre Anziehungskraft hat diese Stadt bis heute nicht verloren. Sie soll den Auftakt unserer dreiwöchigen Tour durch die tschechische Republik bilden. Auf zwei Rädern hin, absteigen und drei Tage lang zu Fuß durch Prag tigern.
Nach drei Tagen Großstadt erwarten uns erst die mit tausenden menschlichen Knochen ausgeschmückte Gebeinkapelle in Sedlec. Es ist Ende Juni, beste Zeit also, um tschechischen Städten, Mittelgebirgen und den sprichwörtlichen böhmischen Dörfern einen Besuch abzustatten.
Durch die Felsschluchten inmitten hunderter Sandsteintürme im Böhmischen Paradies zu kriechen, zu laufen und zu steigen macht mächtig Laune und bei untrainierten Fahrern Muskelkater. Die Prachover Felsen bilden damit den körperlich anstrengendsten Teil der Tour durch das Gebiet „Český ráj“. Den entspannenden Teil bringt die Tour auf dem Motorrad durch dieses Paradies. Es führt zu runden Türmen mit einem liegenden Halbmond auf dem Dach (Humprecht), zu bemerkenswerten Burgruinen mit zwei Türmen (Burg Trosky) und wunderschönen Dörfer mit alten, traditionellen Holzhäusern.
Kurze Zeit später befinden wir uns in Rübezahls Heimat. Windumtoste und wolkenumkränzte Gipfel im Riesengebirge – das schlechte Wetter hatten wir zwar nicht bestellt, aber in einer gemütlichen Baude auf 1225 Metern konnte man den kühlen Temperaturen äußerst angenehm trotzen.
Eigentlich gehört das Isergebirge geografisch zum Riesengebirge, aber es sind zwei ganz unterschiedliche Landschaften. Während das Riesengebirge dicht bewaldet ist, ziehen sich über die Höhen des Isergebirges viele Hochmoore. Baumgerippe sind ein typisches Bild. Dass der saure Regen der 80er Jahre dem Wald überall mörderlich zu schaffen gemacht hatte, ist trotz mächtiger Aufforstungstätigkeit immer noch überall zu bemerken.
In dem erholsamen Weiler Jizerka im Isergebirge mit gerade mal acht Einwohnern stehen wir voller Erinnerungen vor dem legendären Misthaus. Es gehörte Gustav Ginzel – einem humorigen Unikum, einer Mischung aus Karl Valentin und Schwejk. Schrumpfköpfe, Stereoklo, Antivergewaltigungsbett – alles Vergangenheit, denn das Misthaus brannte ab, wurde zwar wieder aufgebaut, aber der Geist des Hauses mit Hunderten Mitbringseln aus aller Welt und ebenso vielen lustigen Schildern verbrannte ebenso. Vor einigen Jahren starb auch Gustav Ginzel. So bleibt nur eine wiederaufgebaute Haushülle, die Erinnerungen und eine Menge alte Fotos im Fotoalbum.
Wie auf einer Perlenkette aufgefädelt reihen sich die nordböhmischen Gebirge aneinander. Wir sind im Riesengebirge eingestiegen und hangeln uns nun von Ost nach West. Riesengebirge, Isergebirge, danach kommen das Lausitzer Gebirge, das wir als äußerst ruhig, für Tagestouristen kaum erschlossen empfinden. Wir nächtigen in einem urigen Gasthaus mit Biergarten, um dann am nächsten Tag weiter in die Böhmische Schweiz zu fahren.
Im Tal zwischen Svitava und Velenice, südlich des Lausitzer Gebirges und südöstlich von Novy Bor, befinden sich einige beeindruckende Sandsteinhöhlen. Die größte dieser Höhlen „Pekelné Doly“ befindet sich heute in der Hand eines Motorradclubs, der in der Höhle eine Bar betreibt und immer wieder Festivitäten veranstaltet.
Der Clou des Ganzen ist: die Höhle ist so aufgebaut, dass man mit dem Motorrad hinein, drinnen eine Schleife oder zwei drehen und hinten wieder rausfahren kann. Wenn man in der Gegend ist – das muss man gesehen haben!
In der Böhmischen Schweiz geben wir noch einmal unseren Muskeln etwas zu tun. Wir wandern zum Prebischtor, einem der größten natürlichen Felsentore Europas, und erkunden die Klammen der Kamenice, die da heißen Edmundsklamm und Wilde Klamm. Die Besonderheit an diesen Klammen ist, dass der Fluss Kamenice sich darin so breit macht, dass man sie auf zwei Teilstücken nur mit dem Boot befahren kann.
Vorbei an Prag geht es wieder in den Süden Böhmens. Erst statten wir der Kleinstadt Tabor einen Besuch ab. Die Stadt wurde von Hussiten gegründet. Ihr Anführer Jan Hus war von der Kirche als Ketzer hingerichtet worden, weil er – 100 Jahre vor dem Reformator Luther – den Verzicht auf weltliche Macht und Güter forderte. Um seine Anhänger nieder zu halten, verbrannte man ihn, erreichte dabei in Böhmen aber genau das Gegenteil: Hus wurde zum Märtyrer und Nationalhelden der Tschechen, sein Todestag ist noch heute ein Nationalfeiertag. Heute ist die Stadt ein aufstrebendes Kleinod, das gerade erst vom Tourismus wachgeküsst wird.
Weiter geht's nach Český Krumlov, einer vielbesuchten Kleinstadt am Rande des Böhmerwalds. Eine Stadt inmitten einer dreifachen Moldauschleife, die seinesgleichen sucht (aber nicht findet). Die Stadt wurde zu sozialistischen Zeiten wohl quasi vergessen. Es wurde nicht modernisiert, kaum Veränderungen am Gebäudebestand vorgenommen, die alten Häuser nicht entkernt und auch die Gassen waren noch bis in die 80er Jahre von nur wenigen Gaslaternen erleuchtet. Gottseidank, denn hätte der Modernisierungswahn der 70er zugeschlagen – na gnade Gott! Heute werden zwar wegen der Burg, dem Barocktheater, den alten Gassen und Häusern viel zu viel Touristen in die Stadt gespült, aber sehenswert ist sie trotzdem. Wir übernachten wie immer in Laufweite zur Altstadt, denn nur so kann man die urige Kneipenkultur richtig genießen. Diese Stadt bringt uns auch nach dem sechsten Besuch noch zum Schwärmen!
Der Lipno-Stausee ist die gestaute Moldau und schlängelt sich über 45 km durch die hügelige und teilweise bewaldete Landschaft des Böhmerwalds. Zunächst lassen wir den Boxer auf der Nordost-Seite des Moldaustausees über kleine Straßen brummeln und schließlich auf der anderen Seite auf winzigen Micky-Maus-Sträßchen durch die hügelige Landschaft. Dazwischen nutzen wir immer wieder mal die kleinen Fähren, die einen innerhalb von 10 Minuten von einem an das andere Ufer schippern.
An den Straßen wurde in den letzten Jahren mächtig was getan. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hoppelte man auf ziemlich buckligen, rissigen und geflickten Asphaltbändern durch den Böhmerwald. Manche Straßen erkennen wir fast nicht wieder. Natürlich gibt es auch noch die Holperstrecken, die nach Rejštejn rauf zum Beispiel oder die Strecke wieder zurück bis Modrava, aber im großen und ganzen hat sich echt viel getan!
Eine dreiwöchige Tour durch Böhmen endet in Český Krumlov. Böhmen birgt viel Potential für Aktivurlaube: die Mischung aus Motorradreise und gelegentlichen Wanderungen ist einfach perfekt.
Wir haben sehr abwechslungsreiche Wochen erlebt und trotzdem bei weitem nicht alle Sehenswürdigkeiten angeschaut, die wir uns als Waypoints auf das Navi geladen hatten. Also wer sich gern zur Abwechslung körperlich betätigt, der sollte sich den Luxus gönnen und die Wanderschuhe oder zumindest feste Schuhe in den Motorradkoffer packen. Aber auch wer ausschließlich Motorrad fährt, dem wird es keineswegs langweilig – es gibt so viel zu sehen!
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