Motorradtouren Marokko Hoher Atlas Todra-Schlucht | grandios mit ungewissem Ausgang

Todra-Schlucht | grandios mit ungewissem Ausgang

Panoramablick über ein Tal mit Häusern aus Lehm und Berge im Hintergrudn bei Tinerhir

Am nächsten Morgen checken wir in unserem Buntglas-Muschebubu-Zimmer in Tinerhir erst mal gar nicht, dass uns draußen herrlich blauer Himmel entgegenstrahlt. Bei 5°C Außentemperatur nehmen wir heute die Todra-Schlucht unter die Räder. Charles schließt sich uns an. Während der ersten Kilometer ab Tinerhir passieren wir kleine Städtchen mit Lehmhäusern und Kasbahs. Zahlreiche Schilder zu Campingplätzen oder Hotels garnieren den Straßenrand. Einen Mangel an Zimmern scheint in Schluchtnähe also nicht zu herrschen. Achtung, wer hier parken will, um die Schlucht per pedes zu erkunden: das Parken kostet. Irgendeiner kommt immer, der kassieren will. Es muss nicht mal der Parkwächter sein.

Bei diesen strassen gilt: der Stärkere siegt
Motorrad fährt auf rechter Seite entlang der steil aufwachsenden Felsen der Todra-Schlucht

Die Straße ist in diesem Bereich nur etwa eine anderthalbe Fahrbahn breit. Links und rechts hat sich die Natur je einen Meter des Asphalts zurückgeholt. So fährt man mehr oder weniger auf dem Mittelstreifen. Bei Gegenverkehr heißt es: Der Stärkere siegt. Besser fährt man gleich vom Teer runter in den unbefestigten Bereich, wenn ein LKW allen Platz beansprucht. Gleich nach Tinerhir kreuzt ein Bach die Fahrbahn – Brückenbau ist teuer, also führt man die Straße einfach ohne Rücksicht auf Wasserläufe weiter. Der Bach ist derzeit nur ein fünf Meter breites Rinnsal und stellt überhaupt kein Hindernis dar. Nach starken Regenfällen kann das jedoch an einigen Stellen anders sein.

Zwischen den bis zu dreihundert Meter hohen Wänden der Todra-Schlucht zu fahren ist ein eindrucksvolles Erlebnis. Wir können uns kaum satt sehen an den roten Felsen und dem neben der Straße dahinfließenden Fluss Todra. Es gibt (am Anfang) nur wenige Verkaufsstände und so gut wie keine Besucher. Schön, denn wir hatten mit mehr Rummel gerechnet. An der engsten Stelle des Canyons misst man kaum noch zehn Meter Abstand zwischen den Felswänden, so dass nur in der Mittagszeit Sonne hereinstrahlt.

Vor einem felsigen Hang kommen uns schüchtern zwei Hirtenjungen entgegen. Der eine trägt eine Djellaba, bei der im Bereich des Hinterns ein rechteckiges Stück durch einen Riesenflicken ersetzt wurde, der sich wieder löst. In den Felsen klettern fünfzehn Zicklein herum, auf die die beiden aufzupassen haben. Weiter oben weht zwischen den Felsen frisch gewaschene Wäsche auf einer Leine. Alles deutet darauf hin, dass die Familie dort in einer Höhlenwohnung haust.

Motorradfahrer und zwei Hirtenjungen stehen am Motorrad in der Todra-Schlucht
Panoramablick über die Stadt Ksour kurz nach der Todra-Schlucht mit hohen Bergen im Hintergrund

Die zwei Jungs sprechen kein Arabisch, nur einen Berberdialekt, wie Charles in einer Unterhaltung mit den beiden Kids feststellt. Beziehungsweise in dem Versuch einer Unterhaltung. Charles spricht arabisch, aber da der Berberdialekt mit arabisch nicht viel zu tun hat, haben die beiden Jungs wohl kein Wort verstanden.

Jenseits des Flusses taucht wenig später ein weißgetünchter Marabout auf, ein Heiligengrabmal. Einen Marabout oder Marabut nennt man im Maghreb einerseits einen verehrten Heiligen, aber auch auf sein Grabmal wird dieser Name übertragen. Die Grabmale stechen selbst aus einem Ksar heraus, weil ihre Kuppeln immer leuchtendweiß gekalkt sind und sich von den lehmigen Rottönen der Häuser abheben. Dieser da auf der anderen Flussseite sieht irgendwie nicht besonders gehegt und gepflegt aus, weil der Regen den Lehm abwusch und rote, häßliche Flecken auf die weißen Wände gemalt hat. Wird ein kleiner Raum des Marabouts vielleicht gelegentlich von Hirten als Unterstand genutzt?

Schließlich verlassen wir die Schlucht und fahren immer weiter hinauf in ein Hochtal. Am Wegesrand laden Nomaden gerade große, eingeschnürte Bündel von einem LKW ab. Wir fragen uns, wohin die Bündel transportiert werden sollen. Weit und breit sind keine Behausungen zu sehen. Nur Hirten mit Schafen und Ziegen begegnen uns immer wieder.

Nach fünfzig Kilometern ist das Örtchen Ait Hani erreicht, wo viele Kinder natürlich gerne etwas erbettelt hätten, aber wir halten nicht an. Ein Kleinkind, auf den Rücken der Mutter gebunden, winkt uns herzig zu. Ist es in diesem Alter schon auf Betteln getrimmt oder einfach nur ein kontaktfreundes Kind? Bisher überwanden wir von Tinerhir 1300 Höhenmeter bis Ait Hani, das auf rund 2600 Metern liegt. Die meisten Lehmhäuser sind Ruinen.

Motorrad fährt auf einer Straße mit Palme kurz vor der Todra-Schlucht
Motorrad fährt auf der linken Straßenseite unmittelbar vor hohen Felsen der Todra-Schlucht
Hinterher fahrender Motorradfahrer auf Straße zwischen hohen Felsen in der Todra-Schlucht
Blick auf eine aus lehm erbaute Hütte in der Todra-Schlucht
Blick vom Motorrad aus über die Lehmhütten von Asif Melloul
Die Lemhütten von Asif Melloul von oben
Etliche weidende Schafe auf karger Landschaft
Voraus fahrender Motorradfahrer auf der Hochebene auf langer gerader Straße
Blick auf ein aus Lehm bestehndes Dorf mit Turm und Häusern
Zwei Personen laufen am rechten Straßenrand
Hinterher fahrender Motorradfahrer in gebirgiger kahler Landschaft in Asif Melloul
Motorrad und einheimisches Mofa auf gebirgiger Landschaft in Asif Melloul
Ich hätte gern Deine handschuhe!

In dieser Abgeschiedenheit zu leben und noch dazu in diesen Häusern ist für uns komfortverwöhnte Westeuropäer kaum vorstellbar. Ob es eine Schule für die Kinder gibt? Und Einkaufsmöglichkeiten? Fließendes Wasser ist ganz sicher ein Luxus, den man nicht findet. Marokko hat eine Analphabeten-Quote von fünfzig Prozent – auch, weil viele Orte infrastrukturell nicht erschlossen und im Winter monatelang wetterbedingt nicht erreichbar sind.

Bettelnder Berber im Hochtal an Straße
Frau sitzt neben Motorrad auf einer kleinen Steinmauer auf der Passhöhe des Tizi-n-Tirherhouzine

Die weitere Strecke bis Agoudal war bisher eine grobe Schotterpiste, was mittlerweile der Vergangenheit angehört, denn wir fahren heute auf Asphaltbelag. In dieser Gegend kann es einem locker passieren, dass man in Flussfurten nasse Stiefel bekommt. Oder Autos in reißenden Flüssen versaufen. So lasen wir jedenfalls vielfach - aber vielleicht war das noch zu Naturbelag-Zeiten? Wir hatten keinerlei Wasser auf der Strecke. Alles furztrocken. Oder haben wir im April lediglich eine Trockenphase erwischt?

Auf der Passhöhe des Tizi-n-Tirherhouzine (2700 Meter) erwartet uns ein gigantischer Panoramablick in den Hohen Atlas. Und ein rundes, handgemaltes Schild, das uns hinter der Passhöhe ein einsames Café empfiehlt. Wie aus dem Nichts taucht ein alter Hirte an unserem Motorrad auf und macht uns pantomimisch klar, dass es kalt sei. Stimmt. Und dass ihn vor allem an den Händen friere und ihm die Handschuhe Jochens sehr gut tun würden. Sorry, leider können wir die nicht hergeben. Das nächste Mal nehmen wir jedoch die alten aus dem Schrank noch mit. Übrigens haben wir ein Foto des Alten witzigweise auch auf einer anderen Internetseite gesehen. Er treibt sich wohl öfters dort herum, wo spendable Touristen sein könnten.

Panoramablick mit Motorrad vor Steinmauer auf der Passhöhe des Tizi-n-Tirherhouzine

Etwas weiter unten begegnet uns auch ein einsamer Mofafahrer, der sich den Pass hinaufkämpft. Ist er vielleicht der Gleiche, von dem uns Karl-Heinz (der mit dem Motorrad vor fünf Wochen hier war) erzählte? Da hatte ihn ein Mofafahrer angequatscht, dem er dann ein wenig Benzin abgab (oder war es Öl?) Die Marokkaner wissen, wie sie zu was kommen!

Auf der Passhöhe geht der Blick Hunderte Meter in die Tiefe! Jochen bringt den Morgenkaffee hinter den Felsen. Er stellt fest, dass er soeben das höchstgelegene, wunderbarste, traumhafteste und bemerkenswerteste Klo seines Lebens benutzt hat. Ein Klo mit einem derartigen Panoramablick findet man selten. Höhenschwindel inklusive. Die Berge vor uns sind karg, ohne erkennbare Vegetation, rundherum roter, verwitterter, aufgeschichteter und verworfener Fels, der von weitem wie ein gekonnter Faltenwurf aussieht. Die Sonne wärmt. Jedoch pfeift uns der Wind ein kaltes Lied. Ansonsten Stille. Wir sind allein, seit ewiger Zeit haben wir keinen Menschen mehr gesehen außer dem Mofafahrer und dem frierenden Hirten.

Motorrad fährt auf Schotterpiste auf den Ort Agoudal zu der in der Ferne vor Bergen liegt
In Djellabas gekleidete Berber liegen vor ihren Häusern und machen Pause
Motorrad steht vor Gabelung in die Gassen von Agoudal mit Berbern

Ab Agoudal ist Schluss mit lustig. Beginn der schmalen Schotterpiste. Die Straße hat sogar eine Nummer: R704, obwohl es schwer fällt, von einer Straße zu sprechen. Es gibt zwei Querverbindungen von der Todra zur Dades-Schlucht. Der erste Abzweig zur Querverbindung ist weiter unten an einem Friedhof. Die obere, höher gelegene Piste beginnt in Agoudal, in dem wir nun stehen.

Dieser Ort besteht aus sehr einfachen Lehmhäusern. Das Dorf bevölkern in traditionelle Djellabas gekleidete Berber, die überall herumlaufen, sitzen und -liegen. Ein ungewohntes Bild für uns, dass die Männer am Wegesrand einfach nur im Dreck sitzen und liegen. Thomas fragt einen jungen Mann vor einem Haus mit einem blauen Blechtor, über dem "Gazoil" geschrieben steht, nach dem Weg. Vermutlich ist das die marokkanische Variante einer Tankstelle und wir hätten hier aus Fässern Benzin kaufen können.

Wir finden den Einstieg zur Piste nicht gleich und fahren suchend im Zickzackkurs durch das Dorf. Die Berber betrachten uns mit gelassenem Interesse, aber ausnahmsweise mal nicht mit aufdringlicher Annäherung und Bettelei. Eine alte Frau und ein Junge deuten ins Oberdorf. Richtig, von weitem erkennen wir, da führt eine Piste hinaus in die einsamen Berge des Hohen Atlas. Wir schätzen die Distanz bis zur asphaltierten Gegenseite der Dades-Schlucht grob auf fünfzig Kilometer und erwarten eine Piste, die sich bis in eine Höhe von 2900 Metern hinaufzieht.

Wie man motorräder in Stampflehmhäuser verwandelt

Vor uns liegen etwa fünfzig Kilometer Piste unbekannter Beschaffenheit. Dazu die Abenteuerlust meines Göttergatten und besten aller GS-Fahrer. Gepaart mit dem Wissen, dass drei uns bekannte GS-Fahrer vor fünf Wochen die Segel streichen mussten, weil die Piste knietief schlammig mit Schneeresten und damit unfahrbar war, bin ich nicht so begeistert über dieses Vorhaben, bei dem ich überstimmt wurde.

Motorrad fährt über unbefestigten Weg über eine Hochebene

Überschätzt er sich nicht? Aber als weltbeste aller Sozias mosert Frau mal kurz herum und dann Augen zu und durch. Was hat eine Sozia denn für eine Wahl außer Mitfahren? Also dann mal zu. Bisher haben wir noch alles gemeistert. Sind in der Türkei massig solche Pisten gefahren. In ganz einsamen Gegenden. Aber die waren meist trocken. Zu meiner Beruhigung trägt die Q wenigstens TKC-Schlappen.

Motorrad steht auf einer offroad Piste in den Bergen

Nach einigen Kilometern wird die Piste schlammiger. Es wird immer schwieriger, die Steigungen zu bewältigen. Ich würde am liebsten absteigen, um Jochen an den schlammigen Anstiegen zu entlasten. Schlage ich vor. Natürlich denke ich auch an mich, damit ich nicht auch noch mit im Schlamm liege, falls wir wegrutschen sollten. Aber Jochen verschwendet keinen Gedanken daran, mich absteigen zu lassen, fährt einfach weiter und kämpft sich verbissen durch. Aber irgendwann sieht selbst der Beste aller Q-Fahrer ein, dass das Fahren mit Sozia auf dieser schlammigen Piste - und wer weiß, was noch alles kommt - für alle Beteiligten ungesund enden könnte.

Motorrad kehrt um auf einer schneebedeckten offroad Piste in den Bergen
Motorrad steht mit im Schnee versunkenem Vorderrad auf Hochebene

Thomas, der allein auf seiner 800er fährt, hat das gewisse Offroad-Blitzen in den Augen und Charles ist sowieso immer und überall zu jeder Schandtat bereit (wir kennen ihn zwar nur kurz, aber schon gut), also fahren die beiden weiter, während wir beide sowie Josef und Judith mit den Straßenreifen umkehren.

Die beiden Fotos nebenan stammen von Thomas' und Charles' Alleingang. Da waren wir nicht mehr dabei. Sie mussten nach ewiger Schinderei aufgeben und umdrehen. Charles legte sich und seine Q mehrmals ab, die Reifen von dichten, rotem Schlamm zugesetzt. Zu zweit wuchteten sie das Motorrad wieder auf, damit sich einer von beiden nach kurzer Zeit wieder hinlegen oder in tiefen Gräben und Schneeresten festfahren konnte.

Josef und Judith beschließen, wieder schnell nach Tinerhir und dann noch hinüber zur Dades-Schlucht zu fahren. Aber wir rechnen uns aus, dass diese Tour um die 300 Kilometer ausmachen müsste und das erscheint uns für einen Nachmittag zu viel. Außerdem steht die Dades-Schlucht ja für morgen auf dem Programm. Lieber noch einmal genüsslich durch dieses abgelegene Hochtal cruisen.

So können wir den Pass des Tizi-n-Tirherhouzine, das Hochplateau und die Todra-Schlucht noch einmal in entgegengesetzter Richtung genießen. Herrlich! Wir sind wieder fast allein auf der Straße, uns begegnet auf dem Hochplateau nur ein einziges Auto. Erst in der Schlucht selbst wird es mehr - hier parken Autos und Busse, die heute morgen noch nicht da waren. Touristenströme ergießen sich mit Schlapphüten geschützt und Kameras bewaffnet in die Schlucht - an manchen Stellen ist Vorsicht beim Fahren geboten, weil fotografierende Menschen bei der Suche nach dem richtigen Motiv nicht unbedingt auf den Verkehr achten.

Familie mit Esel läuft am Straßenrand in Tinerhir

Wir lassen es ruhig angehen, machen einen Spaziergang durch die Stadt und genehmigen uns einen Kaffee. In der „Poste Maroc“ will ich endlich die Briefmarken für die seit Tagen geschriebenen Karten kaufen. Leichtfertig hatte ich versprochen, diese altmodische Art eines Grußes in die Heimat zu schicken.

Dies ist unser dritter Versuch, Briefmarken zu erwerben. Immer wenn wir an einer Post vorbeikamen, war sie geschlossen. Hier scheinen wir Glück zu haben. Leute stehen drinnen an den Schaltern. Aber wieso ist die Tür abgeschlossen? Zwei Marokkaner, die mit uns vor dieser Glastür warten, streiten kurz darauf, als sie sich einen Spalt öffnet, mit ganzem Körpereinsatz und lautstark mit dem Sicherheitsbeamten und der verhindert handgreiflich ein Eindringen. Ich gehe besser mal drei Schritte zur Seite. WOW! Dieses Temperament! Meine Briefmarken krieg ich heute wieder nicht.

Der lehm muss ab!
Motorradfahrer versucht mit Werkzeug den getrockneten Schlamm vom Bremssättel zu entfernen

Die Wolken werden dichter und Regen naht. Aber noch ist es sonnig. Thomas und Charles sind auch wieder da. Wir bestaunen zwei GSen, die aussehen wie fahrende Stampflehmhäuser. Die Fahrer schwanken zwischen Nicht-Waschen (aber GSen wäscht man doch nicht, oder?) und Doch-Waschen (ist schon arg viel roter Schmonz an den zwei Maschinen).

Sie werden es später noch bereuen, dass sie die erste Variante wählten und die Früchte ihres Offroad-Ausflugs nicht wegspülten. Vor allem Charles kämpft am nächsten Tag mit der Unwucht im Vorderrad, die von den mittlerweile knochenhart getrockneten Lehmbatzen hervorgerufen wird. Seine Bremssättel sind ebenso zugesetzt wie das restliche Fahrgestell und er geht irgendwann mit Bordwerkzeug dran. Er setzt es wie Hammer und Meißel ein, um die roten Klumpen abzuklopfen.

Am Abend werden wir wieder im Hotel La Kasbah* vom Langhaar-Fellpuschen-Kellner mit einem Heizgerät und dem gleichen Menü wie gestern versorgt.

der Dadesschlucht und
dem Mgoun-Tal (Rosental)
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