Motorradtouren Marokko Hoher Atlas Tizi-n-Test | Mit dem Motorrad über den Wolken

Tizi-n-Test | Mit dem Motorrad über den Wolken

Tizi-n-Bachkoun

Gestern abend hatten wir noch kurz diskutiert, ob wir nicht noch im Hotel Marmar* in Quarzazate bleiben und uns einen weiteren Tag in der Gegend umschauen. Da hier die Filmindustrie öfters zu Gange war, gäbe es noch einiges zu sehen. Aber uns bitzelt die nächste Strecke dermaßen, dass wir am Morgen dann doch wieder zu Nomaden werden. Auf unserer heutigen Etappe steht vor allem der Atlaspass Tizi-n-Test im Fokus. Dieser Pass mit 2095 Metern ist der absolute Motorradleckerbissen in Marokko. Wo wir übernachten, wird sich wie immer unterwegs finden. Fahrtpensum soll um die 270 Kilometer sein - das ist die Distanz von Quarzazate bis zur Passhöhe.

Die schwarzen Felsen jenseits der Straße Richtung Taroudannt scheinen vulkanischen Ursprungs zu sein. Verwitterte Felsen wechseln sich mit weitläufiger, trockener Steinwüste ab. Nach rund 65 Kilometern Fahrt erreichen wir den Pass Tizi-n-Bachkoun - doch die wenigen, niedlichen Kurven sind schnell vorbei. Von den zwei Fahrspuren hat sich die Landschaft je eine Hälfte zurückgeholt, so dass alle Verkehrsteilnehmer nur je eine halbe Fahrspur zur Verfügung haben. Jedes Fahrzeug versucht so lange wie möglich „oben“ auf dem verbliebenen Teerstreifen zu bleiben, bis er dem Fahrer des Gegenverkehrs in die Augen blicken kann. Der Stärkere gewinnt. Und der Klügere gibt nach ...

Straße mit Bäumen in einer Ebene in Richtung Tizi-n-Test

Aufbruch in Quarzazate. Charles fällt auf die Knie und bittet uns, doch weiter mit ihnen zusammen zu fahren. Wie lieb. Aber unser Entschluss steht fest. Ab heute geht's allein weiter. Thomas bleibt noch bis Marrakesch bei uns, bevor er wieder Richtung Spanien und dann Deutschland düst. Für's Fotografieren und Filmen wollen wir uns endlich wieder so viel Zeit nehmen, wie wir es von unseren Solo-Touren gewöhnt sind. In der Gruppe möchte man ja die anderen nicht dauernd aufhalten, das Stativ auspacken und tausend verschiedene Varianten fotografieren und filmen. So schön es ist, in der Gemeinschaft zu fahren und zusammen zu sein – so unzufrieden sind wir mit unserer bisherigen Foto- und Videoarbeit. Wir werden uns dann noch eine Woche lang allein ein Stück Atlantikküste und noch einmal das Rifgebirge anschauen, das wir am Touranfang, der Gruppendymanik folgend, nach unserer Meinung viel zu schnell passierten.

In Tazenakht findet der motorisierte Tourist zwei Tankstellen, aber auch einen schönen Souk und Cafés. Die Gegend zwischen Tazenakht und Taliouine ist Safran-Anbaugebiet. Wenn man sieht, wie mühsam die Krokus-Ernte und vor allem das Zupfen der Safran-Fäden ist, leuchtet einem ein, warum das goldene Gewürz so teuer ist.

Extremkletternde Ziegen
Ziegen in Arganbäumen
Ziegen in Arganbäumen
Ziegen in Arganbäumen
Ziegen in Arganbäumen

Schließlich geht die karge Felslandschaft eine breite, leicht hügelige Ebene mit einem ausgetrockneten Flussbett über. Um uns herum Baumplantagen und Getreidefelder. Die Bäume halten wir anfangs für Olivenbäume, aber bei genauerem Studium stellen wir fest, dass es Arganienbäumen (oder auch Arganbäume) sind, die es nur im Südwesten Marokkos gibt.

Unbefestigte Straße führ an Felswand vorbei auf den Tizi-n-test

Als es auf den Pass Tizn-Test zugeht, grast eine Ziegenherde in einem Arganienhain, aber nicht nur, dass sie unter den Bäumen grasen – sie steigen auch auf die Bäume hinauf. Vor allem sind sie erpicht auf die Früchte, die für Menschen ungenießbar, aber für die Ziegen sehr lecker sein müssen.

Eigentlich verwunderlich, dass man die gefräßigen Ziegen gewähren lässt, denn aus dem sonnenblumenkerngroßen Inhalt der harten Argannuss wird das teure Arganöl gepresst, welches in der Küche, aber auch in der Kosmetikindustrie Verwendung findet. Wenn’s schee macht ... Wir haben ja in Fes in dem Laden einer Kooperative gesehen, wie Frauen mit einfachsten Mitteln die Nüsse aufklopfen, aus dessen Mandeln das Öl gepresst wird. Vor Jahren muss es noch ein ganz normales Öl gewesen, vergleichbar mit Olivenöl, aber seit es der Westeuropäer für die extravagante Küche und den bitteschön-nichtalternden Teint entdeckt hat, wird es zum Luxusgut.

Motorrad fährt auf Straße ohne Randbefestigung auf den Tizi-n-test

Echt verwunderlich ist auch, dass kein Marokkaner hinter dem Baum hervorspringt und uns für unsere Fotos, die wir von den kletternden Ziegen machen (könnten) abkassieren möchte. Weit und breit ist kein Mensch in Sicht. Feuerfrei. Schließlich geht es den Pass Tizi-n-Test bergwärts. Eine einspurige bis anderthalbspurige Straße meist ohne Randbegrenzungen. Der Belag ist löchrig, geflickt, ausgewaschen und an den Rändern weggebrochen – also ganz nach unserem Geschmack!

Unser Reiseführer warnt, dass dieser Pass für Wohnmobile und Wohnanhänger eher weniger geeignet sei. Und auch nicht für nicht-schwindelfreie Fahrer. Es gibt nicht viel Verkehr auf dem Pass. Ab und zu mal ein Fahrzeug, das dann auch schon mal ein kleiner Pritschen-Lieferwagen sein kann. Wir sahen z.B. einen, der vier Esel auf der Ladefläche hatte. Auf der Passhöhe begegnete uns auch ein Bus, der wohl nach Marrakesch fuhr, aber das war's dann schon.

Traumpass für jede motorradtour: Tizi-n-test
Motorrad bei Auffahrt auf unbefestigter Straße mit großer Pfütze auf den Tizi-n-test

Update: Nachfolgende Beschreibung entspricht nicht mehr dem heutigen Zustand. Mittlerweile wurde der Pass kräftig ausgebaut und geteert, vermutlich wurden auch die beschriebenen Engstellen beseitigt!

In tausend Kurven windet sich der Tizi-n-Test bis auf eine Höhe von 2095 Metern. Wir hatten noch einmal vollgetankt, denn diese Bergstrecke ist tankstellenfreie Zone. Von Ouled Berhil (im Süden) bis Asni (im Norden, vor Marrakesch) gibt es keine einzige Zapfsäule. Angeblich fahren manche bergunerfahrene Kfz-Besitzer den Pass lieber in entgegengesetzte Richtung, also von Nord nach Süd, weil sie sich dann an der Felswand entlangdrücken können. Aber Gegenverkehr wird in jede Richtung spannend!!

Abenteuerliche Straße mit kleiner Randbefestigung durch überhängende Felsen

Für zweispurige Fahrzeuge besonders spannend ist ein größerer Felsüberhang. Unser Reiseführer untertreibt stark, wenn er schreibt, dass der Tizi-n-test "etwas abenteuerlicher als der Tizi-n-Tichka" sei. Etwas? Das ist ungefähr wie einen Maultierpfad mit der A8 zu vergleichen! Klar, das ist keine Piste mehr, aber immer noch so naturbelassen und wenig befahren, dass er uns in Erinnerung bleiben wird! Bei starkem Schneefall wird der Pass zwanzig Kilometer vor und nach der Passhöhe gesperrt, aber das ist jetzt, Anfang Mai, kein Thema.

Talblick auf den Straßenverlauf am Berg entlang des Tizi-n-Test

Oben in der letzten Kehre steht die Auberge La Belle Vue*. Klingt sehr chic und nach viel Komfort, ist jedoch in etwa wie eine Berghütte. Wir finden keine Dusche und nur ein WC mit Waschbecken auf dem Flur, aber der abendliche Blick in das Atlasgebirge macht die spartanische Ausstattung tausendmal wett.

Der nette Berber am Souvenirbüdchen gegenüber hat nichts zu tun. An und in einem ausrangierten Autochassé hat er Tajine-Keramiken und Mineralien zum Verkauf ausgestellt. Während der Stunden, die wir hier oben bis zum Sonnenuntergang sitzen, fahren gerade mal zehn Autos vorbei und kein potentieller Kunde schaut sich seine Schätze auch nur an! Wir bezweifeln, dass heute überhaupt schon ein Geschäft zu machen war.

In 20 tagen zu fuss auf den Tizi-n-test – echt?
Berber sitzt vor Abgrund und schaut rückwärts am Tizi-n-Test
Zwei Personen sitzen am Tisch und blicken auf die Wolkendecke im Tal unterhalb des Tizi-n-Test

Der Berber erzählt uns, dass er in zwanzig Tagen zu Fuß von Zagora bis auf die Passhöhe des Tizi-n-Test gelaufen wäre. Ein Mann mit derart gesundem, lückenlosen Gebiss soll kein Auto besitzen? Die Marokkaner haben erst in den letzten Jahren mehr über Zahnpflege gelernt. Zahnbürste und Zahnpasta sind eine Errungenschaft der modernen Welt und nach wie vor nur bei den Reichen und Gebildeten in Gebrauch. Ohne ein Minimum von Zahnpflege verabschiedet sich jeder Zahn bei derart süßen Speisen und vor allem dem süßen Tee nach kurzer Zeit in kariöse Reiche. Zahnlücken und braune Zähne sind leider ein alltägliches Bild. Deshalb fällt ein makelloses Gebiss so auf.

Abends füllen sich die zweitausend Meter unter uns mit Wolkenwatte, wir sitzen zum Abendessen draußen auf der Terrasse und öffnen fasziniert von dieser grandiosen Umgebung eine mitgebrachte Flasche Rotwein. Unser Berber bekommt große Augen und auf Nachfrage ein Glas davon ab. Auch ein paar Aspirin erbittet er sich. Natürlich gerne. Schmerztabletten sind für die arme Bevölkerung unerschwinglich. Hier oben in der Einsamkeit bucht man Halbpension. Also gibt es eine Riesentajine. Was sonst. Und einen Berg Tomatensalat als Vorspeise. Die ersten Tomaten unserer Reise. Denn Grünzeug war ja bisher aus magenhygienischen Gründen tabu. Mir war vorher schon immer ein bißchen flau im Magen. Komischerweise geht es mir immer besser, wenn ich esse. Also rein damit. Somit kann ich nicht sagen, ob es die Tomaten waren oder eine Steigerung meines Zustandes, als es mir am nächsten Tag in Marrakesch noch übler wurde.

Abendliche Stimmung mit einer kompletten Wolkendecke zwischen den Gipfeln des Hohen Atlas

Wir drei sind die einzigen Gäste in der Auberge La Belle Vue* und teilen unser Quartier nur mit dem guten Geist des Hotels und dem Berber. Unweit des Hotels treibt sich eine große Ziegenherde herum. Sie scheint dem Hirten ausgebüxt zu sein, denn die Ziegen verteilen sich über den ganzen, steilen Hang und der Berber verständigt sich durch lautes Rufen über Hunderte von Metern mit dem Hirten und teilt ihm wohl auf diese Weise mit, wo seine abtrünnigen Zicklein hier oben gerade herumklettern.

Am nächsten Morgen. Es war eine etwas eigenartige Nacht. Die zwei Männer waren ganz schön laut da unten in den kahlen Hotelräumen. Es schallte fürchterlich. Ich machte mir während meiner etwas langwierigen Einschlafphase so meine Gedanken, ob die überschwängliche Lautstärke nicht eine Folge unserer mildtätigen Weinspende sein könnte? Aber von dem einen Glas? Andererseits, bei jemandem, der sonst nie etwas trinkt?

Sanitäranlagen mit Muschebubu-beleuchtung

Gibt es in Marokko Fünf-Watt-Glühbirnen? Vermutlich! Denn mehr Leistung hat die nackte Glühbirne auf der Toilette keinesfalls. Und selbst diese Funzel muss ihr Licht durch ein Mauerloch für zwei Toiletten gleichzeitig spendieren. Wir amüsieren uns göttlich über die Stromsparlampe.

Trotz Bettwäsche zweifelhaft hygienischem Zustands, keinem Warmwasser, einem durchweg einfachem, aber reichlichem Morgenmahl haben wir die Übernachtung auf diesem Pass auf fast 2100 Metern Meereshöhe sehr genossen. Das Bergpanorama mit Wolkenwatte hat einfach alles tausendmal wieder wett gemacht.

Wrack eines Busses an der Passhöhe mit Talblick des Tizi-n-test
Drei Berber im Gespräch vor einem Auto am Tizi-n-test
Blick in die Küche der Unterkunft am Tizi-n-test
Eine Lampe beleuchtet durch Mauerdurchbruch zwei Toiletten

Die BigTurtle wird aus der mit alten Plastikkanistern und -fässern gefüllten Garage geholt. Ein Huhn verläßt nur widerwillig und empört gackernd seinen Platz unter dem Motorrad. Wir hatten befürchtet, dass die Temperatur in der Früh im Keller sein würde. Aber nichts dergleichen. Auf der Passhöhe ist es 23 °C warm, wir geraten fast schon wieder ins Schwitzen, aber je tiefer wir kommen, desto kälter weht uns der Fahrtwind um die Nase.

Motorrad auf Abfahrt vom Tizi-n-test mit kleiner Randbefestigung vom Tizi-n-test
Motorrad bei Flußdurchfahrt bei Abfahrt nach Marrakesch am Tizi-n-test

Die Abfahrt Richtung Norden (und Marrakesch) ist nach der Passhöhe des Tizi-n-Test anfangs noch mit tiefblickenden Panoramen geschmückt. Die Straße windet sich in großzügigen Schleifen um die roten, mit niedrigem Oleander, Walnussbäumen und anderem Gehölz getüpfelten Berge. Das Asphaltband ist rissig und verflüchtigt sich oft seitlich in die Landschaft. Die Ausblicke geraten hier etwas weniger spektakulär als auf der Südseite.

Reichlich zwanzig Kilometer nach der Passhöhe stößt die Straße auf den Qued N'Fiss, dessen Flussbett wir ab nun in hunderten Windungen folgen. Das Gelände fällt steil zum Qued ab und das breite Kiesbett lässt erahnen, welche großen Wassermassen er nach starken Regenfällen und während der Schneeschmelze führt.

Gelegentlich fließt Bergwasser quer über die Straße, das unsere Stiefel aber nur etwas benetzt. So wie ich Jochen kenne, hätte er durchaus nichts gegen mehr Wasser und einer etwas größeren Sauerei – wenn die Fontänen bis hoch zum Windschild spritzen würden. Je wilder, desto besser. Wir durchqueren kleine Dörfer mit wenigen, an die Felsen geklebten Häusern, bis sich das Tal weitet und die Dörfer etwas größer werden.

Zwei Personen sitzen in einem Kaffee im Gespräch vertieft

In einer namenlosen Kleinstadt halten wir an, weil uns nach Kaffee dürstet und wir außerdem unseren "Vier Buchstaben" eine Pause gönnen wollen. Links und rechts der Straße stellen zahlreiche Händler ihre Waren aus, halbe Lämmer hängen unter Wellblechdächern im Freien und schwarzer Qualm steigt von großen Holzkohlegrills auf, die für die Mittagskundschaft angeheizt werden.

Wir parken unsere Motorräder zwischen Passanten in Kaftanen und Djellabas, die uns interessiert, aber doch verstohlen aus den Augenwinkeln beobachten, zwischen Pkws, LkWs, auf deren "Dachterrasse" Schafe transportiert werden (das Beobachten des Auf- und Abladens ist tierlieben Menschen nicht zu raten!), setzen uns an einen der Tische und schauen interessiert auf die Szenerie. Ab rund vierzig Kilometer vor Marrakesch ist es dann nur noch eine öde und langweilige Strecke, bis die ersten Wohnhäuser auftauchen und breit ausgebaute, promenadenähnliche Hauptstraßen den Weg in die Stadt bereiten.

Marrakesch | "Sind Sie vielleicht eingebildet?"
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