Motorradtouren Marokko Hoher Atlas Marrakesch

Marrakesch | "Sind Sie vielleicht eingebildet?"

Viele Leute teils mit Mofa auf dem Djamaa el Fna

Als wir aus Richtung des schönsten aller marokkanischen Pässe Tizi-n-test auf die Innenstadt von Marrakesch zufahren, orientieren wir uns an einem Turm, der uns den Weg in die Stadt zeigt. Wir lassen uns einfach vom Navi zu einem Hotel leiten. Das komfortable Hotel Les Jardins De La Koutoubia* ist genau das Richtige, um meinen verkorksten Magen zu kurieren. Wenn wir nicht an der Rezeption so hartnäckig um den Preis gefeilscht hätten, wäre das 5-Sterne-Hotel nicht unser Zuhause für eine Nacht geworden. Ruft mal das Hotel in booking.com auf! Da schlackert man mit den Ohren, welche Preise dort aufgerufen werden.

Am Nachmittag schlendern wir über den Djamaa El Fna. Der Platz der Geköpften. Er ist der zentrale Platz in Marrakesch, eine Mischung aus Tausendundeiner Nacht und afrikanischem Gewusel, auf dem früher zur Abschreckung die abgeschlagenen Köpfe der verurteilten Verbrecher und Missetäter auf Lanzen gesteckt wurden. Sagt man. Die Tourismusmanager würden die blutige Namensgebung gern ungeschehen machen und sähen es lieber, wenn wir ihn "Platz der Gaukler" nennen würden.

Einheimische und Touristen vor einer Garküche am Djamaa el Fna
Kellner in einem Ausschank für Tee auf dem Djamaa el Fna
Mann sitzt auf Plastikstuhl und hält einen Affen an der Kette fest

Am Nachmittag mogeln wir uns zwischen Akrobaten, Tänzern, Schlangenbeschwörern, schellenklingelnde Wasserverkäufern, Affenvorführern, Hennamalern und Märchenerzählern durch. Mogeln deshalb, weil wir uns überall nicht langeaufhalten.

Jeder Blick kostet! Und Fotos erst! Die bunt gekleideten Akteure sind meistens heftigst aufdringlich – klar, sie verdienen ihr Geld mit diesen Darbietungen. Trotzdem nervt's manchmal gewaltig, nie ungestört die Atmosphäre genießen zu können.

Am späten Nachmittag klappert es geschäftig – Garküchen werden aufgebaut. Junge Männer schieben große Karren und klapprige Eisengestelle auf den Platz und schälen Theken, Sitzbänke und Tische heraus. Innerhalb einer Stunde verwandelt sich der größte Teil des Platzes zu einem großen Imbissstand mit mehreren Fressgassen, in denen Kunden flanieren und die angebotenen Speisen bestaunen. Suppen, Fleisch in allen Variationen, Merguez-Würste, Kefta-Spieße, Schnecken, Kalbsköpfe, Schafsfüße und sogar Hirne werden zubereitet.

An einem Getränkestand wird unter anderem der traditionelle Pfefferminztee vorbereitet: jedes Glas wird mit frischen Minzblättern vollgestopft und oben drauf kommen sage und schreibe sechs Stück Würfelzucker! Bei diesem Zuckerkonsum in Verbindung mit der fehlenden Zahnhygiene ist klar, dass marokkanische Zähne sich in den Karieshimmel verabschieden! Die Garküchenbetreiber werben um jeden potentiellen Kunden mit markigen Sprüchen. Wir werden in allen möglichen Sprachen angesprochen. „Komm se rüber. Komm se ran“ – in englisch, französich, deutsch (um nur die häufigsten zu nennen), solange, bis man durch eine Reaktion seine Muttersprache verrät.

Madam? Sind sie eingebildet?

Die Anmache ist meist nett und spritzig, so macht es Spaß, den Werbesprüchen Paroli zu bieten. Erst mal Übersicht gewinnen, was alles angeboten wird und dann entscheiden: wird es eine Tomatennudelsuppe oder doch eher ein handfester Kefta-Spieß? Oder mal ein Stückchen eines Kalbskopfes? Dazu ein frischgepresster Orangensaft? Zum Abschluß noch ein Kalbshirn, das roh in der Auslage liegt, und bei Bedarf zubereitet wird? Oder einem Whiskey marrocain? Also einem marokkanischer Tee, bestehend aus grünem Tee, der auf frische Minzblätter und sechs Stück Zucker pro Glas gegossen wird?

Handkarren mit Metallgestell als Grundlage für eine Garküche auf dem Djamaa el Fna
Verkaufsstand mit CDs auf dem Djamaa el Fna
Mann sitzt an einem Tisch in einer Garküche mit Kellner vor ihm am Djamaa el Fna
Musikanten beim Musizieren am Djamaa el Fna

Als ich nach zehn ungewollten, aber doch ganz amüsanten Verkaufsgesprächen keine Lust mehr auf ein weiteres habe und mich für jegliche Anmache taub stelle, wirft sich mir ein selbstbewusster Garkoch in den Weg und scherzt: „Sind Sie eingebildet ...?“

An einem Getränkestand, der vor allem frisch gepressten Orangensaft im Angebot hat, erstehe ich eine Flasche Wasser. Der Orangensaft sieht zwar lecker aus, aber wo spülen die hier den ganzen Tag lang die Becher ab? Und ist der O-Saft nicht doch mit Wasser aus der Leitung gestreckt? Unsere Mägen sind noch nicht abgehärtet genug ... Sofort werde ich von einem vielleicht zehnjährigen Jungen angebettelt. Vermutlich hat die Bettelei am Orangensaftstand Methode, denn oft gibt es ein Wechselgeld, das der Tourist dann dem Jungen in die Hand drücken könnte.

Freundlicher Suppenkoch in weißem Kittel beim Bedienen
Verkaufsstand mit frisch zubereiteten Schnecken

Obwohl mir schon den ganzen Tag leicht übel ist, will ich etwas essen, da ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Aufnahme von Nahrung meine Übelkeit nicht verstärkt, sondern dass sie manchmal sogar etwas nachlässt. Also lassen wir uns ein Schälchen Suppe munden. Auch hier: Wo werden die Schalen und Löffel gespült? Über die hygienischen Umstände macht man sich besser keine Gedanken und schaut über den Zustand der Kochgerätschaften großmütig hinweg. Es soll allerdings seit Jahren schon Kontrollen der Gesundheitsbehörden geben.

Wir setzen unseren Rundgang fort und stürzen uns todesmutig in das nächste kulinarische Abenteuer. Verwundert stelle ich fest, dass sich Thomas anschließt und wie ich ein Schälchen Schnecken ordert, während Jochen hinter mir zehn Meter (respektvollen oder angewiderten?) Abstand hält. Zwanzig gestreifte Schnecken im eigenen Haus schwimmen in einer braunen Wasserbrühe. Beim Kauen der ersten Schnecke melden meine Geschmacksknospen: „Sehr ungewohnt! Aber man muss sich erst an das neue Geschmackserlebnis herantasten!“. Bei der zweiten Schnecke: „Durchhalten! Schnecken schmecken g---u---t!“ Nach der dritten Schnecke reichen wir beide, von heftigsten Schüttelattacken geplagt, unsere Schälchen zurück über den Tresen. Wetten, dass unsere verschmähten Schnecken wieder dem großen Kreislauf hinzugefügt werden?

Diese im Vergleich zu Weinbergschnecken nur halb so großen, ungesalzenen, im eigenen, braunen Saft schwimmenden Minischneckchen sind bitter und für den Westeuropäer ungewohnt und/oder ungenießbar.

Verkäufer an der Suppen-Garküche am Djamaa el Fna
Blick auf eine Gasse mit Suppen-Garküche am Djamaa el Fna
Eine Schale mit Suppe und Brot dazu von einer Suppen-Garküche am Djamaa el Fna
Verkaufsraum einer Suppen-Garküche am Djamaa el Fna

Die andere Hälfte des Platzes ist der Unterhaltung gewidmet. Gaukler, Märchenerzähler, Schlangenbeschwörer, Männer mit angeleinten Affen und Musikanten. Fotos kosten Dirham – jeder Zuschauer, der einen Fotoapparat hebt oder nur interessiert zuschaut, wird sofort angegangen und aufdringlich ein Honorar eingefordert. Ein vermeintlich zu geringes Entgeld wird mit entrüsteter Mine kommentiert und ein Nachschlag verlangt.

Fotos nur gegen Cash
Musikanten am Djamaa el Fna

An allen Ecken und Enden sind Bettler unterwegs. Ein Getöse, ein Lärm, ein hektisches Treiben. Orientalische, ungewohnte, infernale Klänge. Manche Musikgruppen sind gerade mal vier Meter voneinander entfernt. Die Gruppen spielen unterschiedliche Stücke, jeweils laut genug, um den Nachbarn zu übertönen. Etwas weiter entfernt sitzt ein einzelner Musikant mit einer Gitarre, die durch einen Verstärker soweit an den ortsüblichen Lärmpegel angepasst ist, so dass auch diese Musik sich unaufhörlich in die Gehörgänge vorarbeiten kann. Den Schlangenbeschwörern widmen wir keine Aufmerksamkeit, da uns die Tiere leid tun. Auch den Mann mit dem Affen fotografieren wir nur aus der Ferne.

Blick aus einem Kaffee auf die Straßen auf dem Djamaa el Fna

Eine hübsche, schlanke Frau in schwarzer Kleidung und einem schwarz-weißen Kopftuch spricht mich an. Ob ich mich nicht mit Henna bemalen lassen möchte? Doch da stimmt was nicht – die hübsche Frau ist ein hübscher Mann in Frauenkleidern! Eine Gruppe Musiker hat eine verschleierte Bauchtänzerin dabei. Die Bewegungen sollen weiblich wirken, tun es aber nicht wirklich. Wetten, dass auch diese Schönheit ein Mann ist?

Überall Roller, Mofas und Fahrräder. Jeder hupt und fährt in nahezu ungeminderter Geschwindigkeit zwischen den Passanten hindurch. Einen unbedachten Schritt zur Seite und man wird zu einem unfreiwilligen Sozius. Wo dann der Sitzplatz sein wird weiß in diesem Moment nur der Zufall. Ich kaufe bei einer Frau eine Packung Papiertaschentücher. Nach dem Bezahlen rechne ich nach – der Preis hätte woanders sicher für eine halbes Dutzend gereicht. Aber es sei ihr gegönnt. Am Rande des Platzes stolpern wir fast über den Geist von Osama bin Laden. Er wird von einem amerikanischen Panzer über das Pflaster gejagt. In miniature. Als kleine batteriebetriebenes Spielzeug auf Schienen ...

der Fahrt an der Atlantikküste
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