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Böhmerwald | Šumava

Motorrad fährt auf Straße an einem Haus vorbei im Böhmerwald

Am nächsten Morgen satteln wir die Kuh zu unserer Böhmerwald-Tour. Unser Hausherr in der Pension Amadeus* gibt uns noch ein paar Tipps für die Route, bevor wir losfahren. Als „Böhmerwald“ länderübergreifend bekannt war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Gebirgszug, der an der Grenze von Tschechien, Deutschland und Österreich liegt. Die Tschechen nennen ihren Böhmerwald „Šumava“ (von sumeti = rauschen).

Man darf sich den Nationalpark, vor allem in den grenznahen Regionen, nicht wie den Bayrischen Wald vorstellen. Es gibt Gebiete, in denen man wirklich kilometerlang keinen Menschen geschweige denn ein Haus sieht. Wahrscheinlich ist die Neubebauung im Nationalpark untersagt oder sehr stark reglementiert.

Dieses Waldgebiet ist das größte Mitteleuropas. Ein Drittel davon bilden die beiden Nationalparks Bayerischer Wald und Böhmerwald (1630 qkm) mit den wertvollsten schutzbedürftigen Naturgemeinschaften – zum Beispiel urwaldartige Restbestände der Bergwälder, Gletscherseen, Hochmoore oder Talauen. Einige Hochmoore wurden von der UNESCO zu Biosphärenreservaten erklärt und sind für die Allgemeinheit nicht zugänglich.

Blick über die Landschaft mit Wiesen und Wald im Böhmerwald

Als wir Anfang der 2000er Jahre hier mit dem motorradfahrenden Pensionswirt Josef unterwegs waren, fiel uns im Gespräch mit Josef auf, dass er statt Kurven ständig das Wort Serpentinen benutzte. Diese Kurven in der hügeligen Landschaft als Serpentinen zu bezeichnen, kam uns etwas arg übertrieben vor.

Da unsere Gespräche in „Tscheutsch“ manchmal nicht ganz so einfach waren, beließen wir es vorerst dabei. Nach einiger Zeit jedoch fassten wir uns ein Herz und versuchten Josef den Unterschied zwischen Serpentinen und Kurven zu erklären. Doch er hatte eine ebenso triftige wie einleuchtende Begründung für seine Wortwahl: Kurve > Kurwe > Kurwa ist das tschechische Wort für Prostituierte. Eine kurvenreiche Straße ist folglich mit vielen einschlägigen Etablissements und Damen ausgestattet und die Frage nach derselben könnte zu Verwicklungen und in die falsche Richtung führen ... ;-)))

Eiserner Vorhang bei den Hirschen

Zahlreiche im Šumava gelegene Ortschaften haben eine viele Jahrhunderte alte Tradition. Die Ortschaften wurden vorwiegend von Goldwäschern und Holzfällern aufgebaut. Der Goldabbau war bis Ende des 17. Jahrhunderts eine der Haupterwerbsquellen im Böhmerwald und ließ die kleinen Goldwäscher-Siedlungen schnell zu reichen Städten heranwachsen. Politische Unruhen haben das Gebiet in Bayrischer Wald und Böhmerwald aufgeteilt und während des kalten Krieges sogar hermetisch voneinander abgetrennt. Große Teile auf der tschechischen Seite entlang der Grenze waren als „verbotener Grenzstreifen“ unzugänglich und weitgehend entvölkert.

Seit 1989 ist der kalte Krieg vorbei, das Gebiet wieder offen und somit ist der gesamte Böhmerwald auch für deutsche Touristen als Erholungsgebiet wieder näher gerückt. Nur in den Köpfen des böhmischen Rotwildes ist diese Grenze des Eisernen Vorhanges immer noch Realität, wie Zoologen festgestellt haben. Dort wo früher die böhmischen Hirsche an den Grenzzäunen kehrt machen mussten, drehen die Tiere noch heute um und bringen diesen imaginäre Grenzverlauf auch ihrem Nachwuchs bei. Selbst ein Vierteljahrhundert nach der Grenzöffnung halten sie unbeirrt daran fest.

Blick auf die Holzkirche von Kvilda
Motorrad steht vor der Holzkirche in Kvilda

An den Straßen wurde in den letzten Jahren mächtig was getan. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hoppelte man auf ziemlich buckligen, rissigen und geflickten Asphaltbändern durch den Böhmerwald. Manche Straßen erkennen wir fast nicht wieder. Natürlich gibt es auch noch die Holperstrecken, die nach Rejštejn rauf zum Beispiel oder die Strecke wieder zurück bis Modrava, aber im großen und ganzen hat sich echt viel getan!

Kvilda, ein verschlafenes Nest auf der Šumava-Hochebene mit ein paar Dutzend versprengten Holzhäusern bildet eine malerische Kulisse für eine Rast. Es liegt in 1065 m Höhe und ist von einigen Hochmooren umgeben. Die Moldauquelle (Pramen Vltavy, 1172 m) machen den Ort und die Umgegend zum Wanderparadies. Ein sieben Kilometer langer Waldwanderweg führt zum Ursprung der „Mutter aller böhmischen Flüsse“.

Motorrad steht vor der Holzfigur des Rankl Sepp
Holzfigur vom Rankl Sepp

Nur 5 Kilometer weiter, in Horská Kvilda, lädt uns der hölzerne „Rankl Sepp“ zu einer weiteren kurzen Pause ein: der hünenhafte Fuhrmann mit urbayrischem Namen war der Sage nach mit übermenschlichen Kräften ausgestattet und hat die Glashütten mit großen Mengen Quarzstein und Holz versorgt.

Er lebte von 1819 bis 1888 und soll ein 2,34 Meter großer, starker Mann gewesen sein, der durch sein außergewöhnliches und hilfsbereites Wesen das Vorbild für eine Romanfigur des Schriftstellers Karl Klostermann wurde. Der Schnitzer Ladislav Pavel verewigte die Figur in seinem Garten. Was die restlichen Figuren in seinem Garten, die Moai-Statuen der Osterinseln und ein Charlie Chaplin mit dem Böhmerwald zu tun haben, gehört zur künstlerischen Freiheit des Holzkünstlers.

Wir erreichen Rejstein (Unterreichenstein, 568 m). Diese am Zusammenfluß der Vydra mit der Losenice (Losnitzbach) gelegene Gemeinde wurde im 15. Jahrhundert von Goldwäschern gegründet. Ab 1584 war sie „königliche Stadt“, aber nach dem 30jährigem Krieg wurde der Goldbergbau gestoppt. Auf dem Marktplatz steht als Denkmal ein Stein aus dieser goldenen Zeit, er hat schüsselartige Vertiefungen, in denen man im Mittelalter den Goldsand rieb und so reines Metall gewann. Rejštejn ist unser Platz für die Kehrtwende und der nördlichste Punkt unserer Tour. Als nächstes geht es wieder in den Süden. Richtung Srní und immer entlang der Vydra, die uns nach Modrava leitet.

Auf der Suche nach einer Serpentine
Motorrad auf Brücke über die Vydra

Vorher veranstalten wir eine kleine Bildersuchfahrt nach Erinnerungen, die 20 Jahre alt sind. Mitte der Neunziger Jahre war ich allein mit einem klapprigen Toyota Starlet im Böhmerwald unterwegs. Mein erster Weg führte mich nach Klatovy, zu den Mumien unter der Jesuitenkirche.

Danach saß ich am Marktplatz von Klatovy auf einer hölzernen Außenterrasse eines Restaurants (die Terrasse und das Restaurant gibt es immer noch). Am Nachbartisch kam ich mit einem holländischen Busfahrer ins Gespräch, der eine Reisegruppe durch das Land kutschierte. Und dieser gab mir wertvolle Tipps: welche Streckenabschnitte schön zu fahren wären, welche Städte ich mir anschauen sollte und welche Burgen. Ich war damals auf der Burg Kasperk, fuhr rund um den Lipnostausee und landete schließlich in Český Krumlov, von dem ich schon gehört hatte.

Bei der Heimfahrt quer durch den Nationalpark folgte ich drei Tage später dem Hinweisschild zu einem Restaurant. Den Nationalpark zu durchqueren war damals ein einsames Vergnügen. In der waldreichen Gegend gab es kaum Verpflegungsmöglichkeiten, vielleicht in ein paar Dörfern, aber die lagen nicht immer auf der Fahrtroute. Ich folgte einem Schild, das in ein bis zwei Kilometer Entfernung ein Restaurant bewarb. Ich fuhr einen Waldweg entlang, relativ lange Zeit. Leichte Zweifel keimten: hier, mitten im Wald, soll ein Restaurant sein? Danach kurbelte ich eine Serpentine nach unten und musste noch einmal reversieren, weil ich nicht ‚rumkam. Schließlich fand ich ein Restaurant, das jedoch geschlossen war.

Unser erster Versuch, dieses Restaurant zu finden, endet nach einer holprigen Offroadfahrt vor einem Haus, das absolut keine Ähnlichkeit mit dem aus meiner Erinnerung aufweist. Und ganz wichtig: die Serpentine fehlt. Unterwegs bestaunen uns neugierig die Teilnehmer einer Kutschfahrt und fragen sich sicher, warum wir durch das Niemandsland hoppeln.

Mitten im Böhmerwald: Hotel Antygl

Der zweite Abstecher scheint vielversprechender. Ich kann mich zwar nicht erinnern, auf einem geteerten Asphaltsträßchen gefahren zu sein – damals war das noch ein Feldweg. Und der Schwarzenberg-Kanal (Plavebni Kanal) direkt neben der Straße ist mir auch nicht mehr präsent. Aber plötzlich liegt sie vor uns: die kleine Serpentine.

Nur 50 Meter weiter leuchtet eine weisse Fassade. An der Front steht „Hotel Antygl“ und davor befindet sich eine Holzterrasse. Genau so habe ich es in Erinnerung, auch der abfallende Parkplatz passt. Die Küche des Hauses zaubert uns zwei herrliche Palatschinken auf den Tisch.

Blick auf große Stein mitten im Fluß Vydra
Steinturm am Ufer der Vydra

Bei jeder unserer Touren durch den Böhmerwald ist ein Muss, dem Ort Modrava „Guten Tag“ zu sagen, und was noch viel wichtiger ist: dem Fluss Vydra. Dessen Flußbett besteht aus tonnenschweren Steinen, die über die Jahrhunderte durch die Kräfte des Wassers ihre jetzige Form erhalten haben. Modrava ist eine am wildromantischen Fluß Vydra gelegene Gemeinde, die im 19. Jahrhundert von Holzfällern gegründet wurde.

Holzbrücke über den Fluß Vydra

Außerhalb des Ortes halten wir an einer Holz-Brücke an. Die tolle Möglichkeit, sich im kalten, glasklaren Wasser zu erfrischen, entdeckt nur, wer weiss, was der von der Asphaltstraße abzweigende, unscheinbare Waldweg verbirgt. Kinder tollen in Badekleidung durch das kühle Nass und stapeln flache Steine zu aufstrebenden Pyramidchen.

In einem Supermarkt holen wir noch das Johnson-Mückenabwehrspray „OFF“, das es schon seit Jahren in Deutschland nicht mehr gibt, jedoch auf keiner unserer Touren fehlen darf. Gegen die lästigen Viecher, auch gegen Zecken, gibt es nichts besseres. Es hat aber sicher seine Gründe, dass das Spray bei uns nicht mehr erhältlich ist – vermutlich ist die chemische Keule für die deutsche Zulassungsbehörde zu deftig.

Fast gäbe es hier Parkplatzprobleme: Der Markt wird mehrheitlich von Österreichern frequentiert. Was die alles herausschleppen! Dabei sind die Waren relativ teuer, für tschechische Verhältnisse. Die Grenznähe lässt grüßen.

Dreißig Kilometer vor Český Krumlov sehen wir vor uns eine schwarze Wolkenwand. Hmmm, so wie das aussieht, fahren wir direkt rein. Regenklamotten oder nicht? Es wären ja nur noch 30 Kilometer ... Aber ohne Membran und in Mesh-Hosen? Da hat das Wasser freie Durchfahrt. Also Ganzkörperkondorm übergestreift. Es ist immer noch ziemlich warm. Wenn jetzt die Dusche nicht käme, wäre das ziemlich ungerecht ... Aber sie kommt. Und nicht zu knapp.

Zwei Personen sitzen auf Bank und im Hintergrund die Burg Ceský Krumlov

Eine dreiwöchige Tour durch Böhmen endet hier. Wir haben sehr abwechslungsreiche Wochen erlebt und trotzdem bei weitem nicht alle Sehenswürdigkeiten angeschaut, die wir uns als Waypoint auf das Navi geladen hatten. Böhmen birgt viel Potential für Aktivurlaube: eine Mischung aus Motorradreise und gelegentlichen Wanderungen ist einfach perfekt für Böhmen.

Also wer sich gern zur Abwechslung körperlich betätigt, der sollte sich den Luxus gönnen und die Wanderschuhe oder zumindest feste Schuhe in den Motorradkoffer packen. Aber auch wer ausschließlich Motorrad fährt, dem wird es keineswegs langweilig.

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