Motorradtouren Erzgebirge Mittleres Erzgebirge Annaberg-Buchholz

Die Bergstadt Annaberg-Buchholz, Adam Ries und Sperrguschen

Holzfigur im Schaufenster mit Tasse in der Hand.

"Bist du enne Sperrgusch!"
"Bist du enne Sperrgusch!" Diesen Satz hören wir eine Mutter vorwurfsvoll zu ihrem Kind sagen. Eine Sperrgusch? Sperrgusch – das im Erzgebirgischen ein Neugieriger, einer, der die Gusch (den Mund) vor Staunen aufsperrt. Na, dann sind wir gerade auch ziemliche Sperrguschen – wir wundern uns, dass mitten unter dem Stadtkern Annabergs ein begehbares Bergwerk mit winzigen Stollen sein soll. 500 Jahre alt. Aber zu DDR-Zeiten gab es das noch nicht. Klingt komisch, ist aber so ...

Räuchermann im Schaufenster in Annaberg-Buchholz

Verlassen wir einmal kurz die Motorradtour im Herbst und beamen uns drei Monate in die Zukunft ... In den Winter. Besonders malerisch und heimelig wirkt das Erzgebirge natürlich im Winter, wo zugegebenermaßen jede Erzgebirgsstadt ihren ganz besonderen Charme entwickelt. Man muss Weihnachten nicht lieben, der selbst auferlegte Konsumrausch nimmt oft hektische Züge an, jedoch wirken die erzgebirgischen Orte dann wie eine Beruhigungspille. Im Dezember findet in Annaberg ein Weihnachtsmarkt statt, mit erzgebirgischen Köstlichkeiten, einheimischen Handwerksarbeiten und viel Holzkunst. Jedoch auch andere Städte können Annaberg durchaus die Stirn bieten. Schwarzenberg zum Beispiel. Dort werden die Buden in den Gassen der Bergstadt aufgebaut, und über dem Ganzen thront ein Schloss, dessen Schlosshof in den Weihnachtsmarkt einbezogen wird.

Wer einmal in der Adventszeit in den Abendstunden durch erzgebirgische Straßen fuhr, der weiß, was gemeint ist. Die Fenster sind erleuchtet, die meisten mit traditionellen Schwibbögen aus Holz. Und so erstrahlt ein ganzer Ort in einem warmen heimeligen Licht hunderter Lichterbögen. In manchen Fenstern leuchten auch gelbe, rote oder weisse Adventssterne aus kunstvoll gefalteten Papier.

Annaberger Faltstern im Schaufenster rot beleuchtet

Einen solchen Faltstern stellt die Buchbinderei Kraft her: den Annaberger Faltstern. Es gibt einen dreidimensionalen mit vielen Spitzen (es dürften 18 sein) und einen flachen mit sieben Zacken für's Fenster. Zur Auswahl stehen auch die Herrnhuter Weihnachtssterne. Da allerdings werden fertig geformte Zacken auf einen festen Korpus geklammert. Wer gern bastelt, nimmt diesen. Besser zu verstauen, weil einfach wie ein Lampion auf- und wieder zusammenklappbar ist der Annaberger Stern. Wir mögen Letzteren – der ist einfach was für Faule.

Natürlich werden auch tausende Plagiate aus Asien angeboten, jedoch sind die ziemlich bunt, kitschig, mit gestanztem Lochmuster. Wer das Erzgebirge mag, kauft die einheimischen Originale. Selbst ganz weit oben in den Kirchtürmen und in den Kirchen selbst sind die Sterne zu sehen. Gelegentlich leuchtet so ein großer Adventsstern auch außen an den Giebeln der Häuser und an Kirchen. An den Gotteshäusern muss dann oft die Feuerwehr her, um die Sterne anzubringen. Die für den Außenbereich bestehen dann nicht aus Papier, sondern aus Kunststoff.

Und schwupps sind wir wieder im Hier und Jetzt! Es ist September und wir begeben uns in Annaberg per pedes auf Erkundungstour. Puuhhh! Das macht Muskelkater in den Waden! Annaberg-Buchholz liegt am Westhang des 832 Meter hohen Pöhlberges und bergig ist ihr liebstes Hobby. Hier begann die wichtigste Geschichtsepoche des Erzgebirges: 1491 wurde am benachbarten Schreckenberg ein sensationeller Silberfund gemacht. Wo gerade noch ein dichter Urwald war, "Miriquidi" genannt, siedelten sich innerhalb kürzester Zeit viele Menschen an. Zahlreiche Neusiedler kamen aus fränkischen, mitteldeutschen und nordbayrischen Gegenden.

Motorrad steht auf Straße vor dem Marktplatz von Annaberg-Buchholz

"Das grosse Berggeschrey" war angebrochen. Nur fünf Jahre später, 1496, gründete der damalige Landesherr Herzog Georg der Bärtige die "Neustadt am Schreckenberg".

Etwas mehr als 500 Jahre später besuchen wir die Stadt, die zu Ehren ihrer Schutzheiligen St. Anna im Jahre 1501 in St. Annaberg umbenannt wurde. In dieser Zeit hatte sie 521 bewohnte Häuser. Wenig später durften die Annaberger ihre eigene Währung prägen: der "Schreckenberger" ist als eigene Annaberger Währung in die Geschichte eingegangen. Er wurde unter anderem im Frohnauer Hammer geprägt, den wir heute morgen besichtigten.

Als man der kleinen Berggemeinde "St. Katharinenberg im Buchholz" das Stadtrecht verliehen hatte, wurde schon etliche Jahre am Schreckenberg Zinn- und Eisenerz abgebaut. Noch in heutiger Zeit findet man im Stadtwald von Buchholz eine Binge (ein eingestürztes Stollen- und Bergbaugebiet). Seit 1945 sind die Städte Annaberg und Buchholz vereint.

Einfahrt zum Markus-Röhling-Stollen mit der Grubenbahn

1520, also nur knapp dreißig Jahre nach dem großen Silberfund, wohnten in der Stadt Annaberg schon sage und schreibe 12000 Einwohner (zwölf Jahre zuvor waren es nur 6000), sie war damit zu damaliger Zeit einer der größten und reichsten Städte im Erzgebirge. Zum Vergleich: heute sind es ohne Eingemeindungen 23000 Einwohner.

Nach einem anstrengendem Bergauf-Spaziergang stehen wir im Foyer des Erzgebirgsmuseums. Um es zu finden, orientiert man sich an der alles überragenden St. Annenkirche, direkt gegenüber kann man das Erzgebirgsmuseum nicht verfehlen. Es widmet sich in drei Etagen der Bergbaugeschichte, der sakralen Kunst im Spätmittelalter, dem alten Handwerk im Erzgebirge und zeigt bürgerliche und bäuerliche Lebenskultur.

Kopf einziehen und ducken! jetzt geht's in "den Gössner"
Enger Stollengang im Bergwerk ZUM GÖSSNER. ©Foto: Knoblauch

Vom Hof des Museums aus geht es nun hinab in die Unterwelt Annabergs. Eng, sehr eng geht es in dem Bergwerk ZUM GÖSSNER zu. Hier beamt man uns mehrere hundert Jahre in die Vergangenheit.

Die Stollenanlage aus der Zeit um 1500 befindet sich gegenüber der Sankt-Annen-Kirche unter dem Erzgebirgsmuseum – das Silberbergwerk "Im Gößner". Die Stollen wurden erst 1985 bei Bauarbeiten einer Tiefgarage entdeckt und wieder begehbar gemacht. raktischerweise wurde der Einstiegsstollen im Museumsinnenhof angelegt, denn ein natürlicher Einstieg war nicht mehr vorhanden.

Eng, sehr eng ist es in dem Bergwerk ZUM GÖSSNER. ©Foto: Knoblauch

Eine Führung in diesem alten Silber-Bergwerk ist für großgewachsene Menschen – wie wir es nun mal sind – ein eindrucksvolles Erlebnis. Im Hof des Museums betritt man eine hölzerne Kaue. (Am besten zu erklären mit einem Haus über dem Einstiegsschacht.) Vorher wird jeder Kopf mit einem Schutzhelm versehen und die Bekleidung durch einen Regenumhang verschönert. Von der Kaue aus wird man 24 Meter über Stahltreppen in die Tiefe geführt. Die Treppen und Ausmauerungen im Eingangsbereich sind die einzigen künstlichen Details im Bergwerk.

Der recht bequeme und großzügige Abstieg bereitet in keiner Weise auf das vor, was uns erwartet: Manchmal nur schulterbreite Stollen, in denen der Besucher nur selten aufrecht stehen kann. Der Boden der Stollen wurde meist um 40 Zentimeter abgesenkt und auch der Stollen selbst ein wenig verbreitert, damit sich die Besucher darin einigermassen bewegen können. Im Originalzustand waren die Stollen nur 1,20 m hoch. Die Bergleute konnten darin also nur auf allen Vieren krauchen.

Moos unter der Kapuze und hinten ein Arschleder

Die Bergleute waren mit groben Tuch bekleidet. Knie und Hintern schützten sie mit Lederstücken (im Volksmund wird das Lederstück für den Allerwertesten "Arschleder" genannt). Auf dem Kopf trugen sie ein einfaches Kapuzentuch, darunter wurde ein Stück Moos gesteckt, das Stösse abfing und außerdem ein bisschen vor dem stetigen Tropfwasser schützte.

Schon nach kurzer Zeit war jeder Knappe durchnässt. Er trug eine Unmenge Meisel und einen 1,5 kg schweren Hammer mit sich. Der Meisel war nach 20 Minuten Klopfarbeit stumpf, deshalb musste er rund dreißig Stück zu je 400 g mitschleppen. Im Stollen herrscht sommers wie winters eine Temperatur von 10° C: dort mit durchnässter Kleidung bei mickriger Beleuchtung zu arbeiten – nicht gerade gesundheitsfördernd. Die Bergleute der damaligen Zeit erreichten darum nur selten das 40. Lebensjahr.

Personengruppe bei Führung im Bergwerk ZUM GÖSSNER. ©Foto: Thieme

Anfangs wurde in Schichten gearbeitet, später nur in Normalschichten, was heutzutage damit erklärt wird, dass es sich in den Ein-Zimmer-Behausungen der Familien als unmöglich erwies, tagsüber zu schlafen.

Die waagerechten Stollen waren durch sehr steile, aufwärtsgerichtete Stollen mit einem oberirdischen Pferdegöpel verbunden, mit dessen Hilfe die Ausbeute ans Tageslicht befördert wurde. Der Ein- und Ausstieg war ebenso nur über diesen Stollen möglich, mittels zusammengebundener Holzleitern gelangten die Bergleute in die Tiefe. Heutige Besucher haben es bequemer, neben den Leitern führt eine steile Stahltreppe hinunter.

Solche winzigen Silberbergwerke sind für die Annaberger Flur 970 Stück nachgewiesen, sie unterhöhlten den Berg mit Stollen, die – aneinandergereiht – eine Gesamtlänge von 1000 km ergeben hätten. Im Jahr 1890 waren nur noch 165 Bergleute in den Bergwerken Annabergs beschäftigt.

Wir lernen rechnen bei adam Ries – nicht Riese

Einem berühmten Sohn der Stadt ist in seinem Wohnhaus ein eigenes Museum gewidmet. Wer kennt nicht Adam Ries? Wohlgemerkt Adam Ries (1492 bis 1559), nicht "Riese", wie der Rechenmeister im westlichen Deutschland unentwegt genannt wird. Richtig ist jedoch Ries ohne "e".

Er schrieb, in Annaberg von 1529 bis 1559 wohnend, einige Bücher, die sich mit der Rechenkunst befassten. Besonders interessant ist "Das Rechnen auf den Linien". Diese Rechenart geriet im europäischen Raum total in Vergessenheit. Im Mittelalter wurde sie jedoch bei den alltäglichen Geschäften und in Ämtern bis ins 18. Jahrhundert angewandt.

Asiaten kennen die Rechenart noch heute. Das Museum bietet Kurse im Rechnen auf den Linien an. Der Mensch lernt nie aus – selbst Rechnen kann er noch einmal neu definieren! Man denkt gemeinhin, die Art und Weise, wie man seit der Grundschule rechnet, müsste schon seit Jahrtausenden in genau der gleichen Weise ausgeführt worden sein. Aber nein, unsere Urururahnen rechneten ganz anders! Auf der Website des Adam-Ries-Bundes sind die praktischen Beispiele anzuschauen. Man muss sich erst in diese andere Rechenart hineindenken. Es ist nicht schwer, aber sehr ungewohnt und verblüffend.

Das Ries-Buch ist heute online in detaillierten Fotos in der Bamberger Staatsbibliothek oder in der Wikicommon-Website verfügbar: Adam Risen Rechenbüchlin, auff Linien vnnd Ziphren

Adam-Ries-Museum
Johannisgasse 23
09456 Annaberg-Buchholz
Tel.: 0 37 33 | 42 90 86
Fax: 0 37 33 | 42 90 87
info@adam-ries-bund.de
www.adam-ries-bund.de

Schaubergwerk "Im Gößner"
im Erzgebirgsmuseum
Große Kirchgasse 16
09456 Annaberg-Buchholz
Telefon/Fax: 0 37 33 | 2 34 97

Öffnungzeit
Dienstag bis Sonntag, 10:00 bis 17:00 Uhr, Montags geschlossen

© Fotos "Im Gössner": Nr.1+2 Knoblauch, Nr.3 Thieme

Großes Baddabumm im Frohnauer Hammer
detailansicht