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Mit der Bimmelbahn auf den Fichtelberg
oder: Wie frei ist ein Freiabtritt ?

Blick aus dem Bahnhofsgebäude auf Bahnsteig in Cranzahl

Eine Fahrt mit der "Bimmelbahn" hat ein bißchen was mit unseren Motorradtouren gemein: Auf der Plattform vor und hinter jedem Waggon kann man sich den Fahrtwind um die Nase wehen lassen.

Es gibt drei wiederbelebte Schmalspurstrecken im Erzgebirge, die sich großer Beliebtheit erfreuen: die Fichtelberg-, die Preßnitztalbahn im mittleren Erzgebirge und die Weißeritztalbahn im Osterzgebirge.

Unsere Fahrt mit der Fichtelbergbahn beginnt in Cranzahl. Wir sind schon lange vor der Abfahrtszeit am Bahnhof. Da steht sie, schnaubend, prustend und voller Stolz. So können wir noch ein bißchen um die Dampflok herumschleichen und sie beim Rangieren beobachten. Allzu oft bekommt man so ein Relikt heutzutage nicht mehr zu Gesicht und den Rauch einer Dampflok unter die Nase.

Motorrad steht vor Gleisen in Cranzahl

Eine Stunde lang werden wir mit der Bimmelbahn und einer Geschwindigkeit von 30 km/h durch's Erzgebirge zuckeln, bevor sie uns in Oberwiesenthal, auf dem Fichtelberg, wieder ausspuckt. Bei jeder zweiten Fahrt führt sie einen bewirtschafteten Buffetwagen mit, sodass man die Fahrt bei Cappuccino, Bier oder einem heißen Tee genießen kann. Insgesamt fährt sie nach einem festen Fahrplan mehrmals täglich. Für größere Gruppen ist es auch möglich, den Buffetwagen ganz speziell zu buchen und bei Bedarf anzuhängen. Die Bimmelbahn ist die einzige auf schmaler Spur noch planmäßig verkehrende Bahn im Regierungsbezirk Chemnitz.

Dampflok bei Einfahrt in den Bahnhof in Cranzahl
Dampflok der Fichtelbergbahn im Bahnhof mit Schaffner

Die Bahn beginnt ihren Weg auf der südlich des Normalspurbahnhofes Cranzahl liegenden 750 mm breiten Gleisanlage. Sie hat einen Höhenunterschied von 238 Höhenmeter zu überwinden und überquert auf der Strecke fünf Brücken, ein Viadukt und 73 Weichen.

Als Sitz der Bahnmeisterei erhielt der Bahnhof ein massives Empfangsgebäude mit angebautem Güterschuppen. Eine Rarität ist die noch genutzte Bahnsteigsperre im Empfangsgebäude. Während der Fahrt fragen wir den Schaffner, der auch ausgebildeter Dampflokführer ist, Löcher in den Bauch. Da er Zeit hat und uns gegenüber sitzt, beantwortet er uns die Fragen ausführlich. Hervorzuheben ist die Heizung in den 100 Jahre alten Waggons. Bei Außentemperaturen um 10°C funktioniert sie sehr gut und so reisen wir in mollig warmen Abteilen und fahren unter lautem Stampfen und einem kurzen grellen Pfiff los.

Ein Passagier fragt, ob ein Mitfahren auf der Lok möglich wäre. Ja, das sei normalerweise gegen ein Entgelt von 15 Euro möglich. Jedoch momentan befände sich außer dem Heizer und dem Lokführer noch ein "Heizer in Ausbildung" – sozusagen ein Heizubi – auf der Lok und da wären die Platzverhältnisse zu beengt.

Wie frei ist ein Freiabtritt?

Nachdem wir etwa die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht haben, erblicken wir auf dem Bahnsteig Neudorf ein kleines Holzgebäude mit der Aufschrift "Freiabtritt, erbaut 1900". Quizfrage: Was bitte ist ein Freiabtritt ???

Schaffner bei Kontrolle der Dampflokomotive der Fichtelbergbahn
Blick aus fahrendem Zug nach vorne zur Dampflokomotive

Im erzgebirgischen Dialekt wurde früher und auch heute noch die Toilette als "Abtritt" bezeichnet, flapsig hat man zu dem zugigen, kalten, nicht besonders komfortablen Örtchen außerhalb der Wohnung sogar nur "Aabee" gesagt, mit Betonung auf dem A und auf dem E.

Demnach müßte also dieses Häuschen, der Größe nach zu schätzen, mit mehreren "Abtritten" ausgestattet sein. Wie "frei" es innen allerdings ausgestattet ist, bleibt der Phantasie überlassen. Dank Tante Gugel wissen wir, dass unsere Einschätzung richtig ist. Freiabtritt ist die gängige Bezeichnung einer Bahnhofstoilette, die frei auf dem Gelände steht.

In Oberwiesenthal haben wir Zeit, uns etwas umzuschauen und den erzgebirgischen Cappuccino zu testen. Hmmm, gondeln wir – im wahrsten Sinne – mit der Seilbahn auf den Fichtelberg oder nehmen wir ihn per pedes in Angriff? Ein Blick auf die Uhr und ein Gedanke an unseren weiteren Tourplan für heute entscheidet: wir bleiben hier unten im Städtchen.

Am Marktplatz staunen wir an der Postdistanzsäule von 1730, wieviele Stunden eine Postkutsche brauchte, um zu anderen Orten in Sachsen zu fahren. Nach Erfurt in Thüringen zum Beispiel 43 Stunden. Diese Postmeilensäulen haben wir einem Erlass von August des Starken zu verdanken, der das Postwesen vereinheitlichen wollte. In Hunderten sächsischer Städte findet man diese Distanzsäulen, nicht nur in Sachsen, sondern auch in Thüringen, weil das damalige Sachsen wesentlich größer war als das heutige.

Nachdem unsere Bimmelbahn schon bald wieder ihre Heimreise antritt, machen wir uns wieder auf in Richtung Bahnhof. Beim Besteigen des Zuges fällt uns auf, dass die Lokomotive diesmal andersrum angekuppelt ist.

Die Lokomotive ist bei der Rückfahrt andersrum angekuppelt. Die Fichtelberg-Bahn in Oberwiesenthal besitzt keine Drehscheibe, das ist einer der Gründe, und zweitens darf im Kessel immer eine bestimmte Marke des Wasserstandes nicht unterschritten werden. Da beim Bergabfahren das Wasser zum Heizkessel hin läuft, ist die Gefahr eines Kesselplatzers gebannt. Bei einer Explosion des Kessels würden in Sekundenbruchteilen ein Druck von 16 Sphärenmetern frei, welches einer Kraft von 1,6 Millionen PS entspricht. Was das für den Zug und die Fahrgäste bedeutete, kann man sich ausmalen.

SDG Sächsische Dampfeisenbahnges.mbH

www.fichtelbergbahn.de
kontakt@sdg-bahn.de

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