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Keilberg | Klinovec | CZ

Motorrad fährt auf Straße zwischen Horní Blatná und Boží Dar
Motorrad wird überholt kurz vor Horní Blatná

Nach dem Grenzübertritt nach Tschechien hinüber, wo wir bei Horní Blatná (deutsch Bergstadt Platten) den Aussichtsturm besuchen, sind es nur knapp zwanzig Kilometer bis auf den höchsten Berg des gesamten Erzgebirges, den Keilberg bzw. Klinovec.

Der Klinovec trumpft mit 1244 Metern auf, er ist damit dreißig Meter höher als der Fichtelberg. Beziehungsweise 31 Meter. Um den höchsten Berg des deutschen Erzgebirges, gab es in den letzten Jahren einige Verwirrung. Und gibt es noch heute. Denn der Fichtelberg wurde 2004 neu vermessen und seitdem ist er 1215 Meter hoch, während in den meisten Schulbüchern noch 1214 Meter herumgeistern. Aber halten wir uns nicht mit Marginalien auf. Einen Meter hin oder her – ist doch egal. Viel wichtiger ist: diese geile Gegend hier!

Aber erst mal müssen wir den Keilberg erreichen, bei Horní Blatná / Platten sind wir gerade auf die 221 eingebogen, die erweist sich als eine kleine, wenig frequentierte Landstraße. Die Landschaft ist so anders als im Norden des Erzgebirges – denn nur wenige Kilometer von uns entfernt verläuft parallel zur Straße die deutsch-tschechische Grenze.

Auf einer Hochebene stellt Boží Dar (Gottesgab) im Winter die meisten Skipisten der Gegend. Da die Gemeinde 1028 Meter hoch liegt, rühmt sie sich, das am höchsten gelegene Städtchen Mitteleuropas zu sein. Gemächlich tuckern wir durch die saftig grüne Landschaft, ziehen an ausgedehnten Hochmoorwiesen vorbei und laben uns an der erfrischenden Herbstluft.

Blick auf das komplette Gebäude und den Aussichtsturm Keilberg

Nach einem kurzen Anstieg erreichen wir den Gipfel des Keilbergs. Die Kuppe wird von drei markanten Gebäuden dominiert: ein stabiler, schmucker Aussichtsturm, daneben eine große, marode Bergbaude und ein alles überragender Fernsehturm. Neunzehntes, zwanzigstes und einundzwanzigstes Jahrhundert. Für jedes Jahrhundert ein Gebäude.

Im Jahre 1884 errichtete der Erzgebirgsverein einen Aussichtsturm. Da der Zulauf immer größer wurde, baute man Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Haus mit dreißig Fremdenzimmern, das später noch erweitert wurde. Sein Verderben erfuhr das traditionsreiche Haus mit der Wende und dem Zerfall des alten tschechoslowakischem Regimes.

Keilberg / Klinovec
Panoramablick vom Keilberg hinunter ins Tal

1990 wechselte der renovierungsbedürftige Beherbungsbetrieb mehrmals den Besitzer. Zugesicherte Investitionen wurden nie getätigt und so verfiel der Gebäudekomplex zusehends. Eine Schande. So ein schönes Gebäude!

2003 wurde es zum letzten Mal genutzt, seitdem steht es leer. Der Putz und Anstrich blättert ab und das bröckelnde Mauerwerk schaut unter der fehlenden Verkleidung heraus. Nur der Aussichtsturm sieht taufrisch aus. Kein Wunder: er ist nach altem Vorbild neu aufgebaut. Er ist das Gebäude des 21. Jahrhunderts. Als er 2012 restauriert werden sollte, stellte man fest, dass es nichts mehr zu restaurieren gab. Das alte Mauerwerk konnte nur noch abgetragen werden. Seit 2013 steht der neue Turm nach altem Vorbild und in seinen Anbauten informiert eine Ausstellung über die Geschichte des Turms.

Bei unserem Besuch treiben sich zigtausende Wespen in der alten Bergbaude herum und belagern die Fenster von innen, um hinauszugelangen. Und die Zahl trifft es vermutlich nicht einmal, das müssen Millionen sein! Alle Fenster wimmeln gelb – schwarz. Ein gruseliges Bild, sehr gruselig!

Nun aber wieder die Kuh gesattelt. Die Stichstraße ist schnell wieder runter gerollt. Die Straßenqualität in Böhmen ist zwar nicht immer die Beste, jedoch sind wir das gewohnt – es gehört einfach dazu. Im Winter steppt hier der Bär, man kann es anhand der Skilifte ahnen. Die Skigebiete haben sich zu einer deutsch-tschechischen Kooperation zusammengetan und bieten 33 Kilometer Pisten aller Schwierigkeitsgrade.

Unten könnten wir nun in Gottesgab dank Schengen in Nullkommanix auf deutsche Straßen wechseln und nach Oberwiesenthal fahren, jedoch haben wir noch nicht genug böhmische Luft geschnuppert. Die deutsche Seite kennen wir. So fällt uns die Entscheidung nicht schwer. Wir biegen nach Osten ab und folgen dem Grenzverlauf auf tschechischer Seite.

Apropos böhmische Luft. So nannte man in meiner Kindheit einen bestimmten Geruch. Immer wenn es roch, als hätte ein Kater in die Ecke gepisst, hieß es: "Heute ham'mer wieder böhmische Luft." Die eigenartig duftenden Schwaden kamen aus den böhmischen Kohlekraftwerken, die es zwar heute auch noch gibt, denen man jedoch nach der Wende wirkungsvolle Filter verpasst hat. Adé "behm'sche Luft".

Wir wedeln durch den Zechengrund. Die Straße folgt dem Flüsschen Polava, dem Pöhlbach – leider nicht mit den gleichen wilden Windungen, den das noch junge Bächlein vollführt. Es durchfließt als Grenzbach den Zechengrund, dessen Name auf das alte Bergbaugebiet hinweist. Es ist eigenartig. Hier tuckern wir auf der Straße mit der Nummer 219 in großzügigen Kurven durch tschechisches Staatsgebiet und drüben, manchmal nur einen theoretischen Hupfer über den Grenzbach entfernt, blicken wir in die Fenster deutscher Wohnhäuser oder schauen den Arbeitern in erzgebirgischen Gewerbebetrieben bei der Arbeit zu.

Auf der anderen Seite führt die B95 durch den Zechengrund, manchmal ist sie weniger als hundert Meter weit entfernt. Wie der Schatten von Zwillingen folgen beide Straßen dem Tal, ohne dass man die Seiten wechseln könnte, es gibt unterwegs nur einige Grenzübergänge für Fußgänger. Erst in Vejprty / Weipert passieren wir die Grenze, hinüber nach Bärenstein. Nicht ohne uns vorher noch einmal den Tank mit preiswertem Sprit zu füllen.

Hakenschlagend fahren wir nun die B95 in die entgegengesetzte Richtung, aber auf deutschem Staatsgebiet, zurück, unter anderem durch den kleinen Ort Niederschlag. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen! Dann biegen wir in Hammerunterwiesenthal wieder ab und erreichen das Sehmatal. Die Gleise der schmalspurigen Fichtelbergbahn weisen uns den Weg. Bei einem der letzten Besuche sind wir mit einem schnaufenden Stahlroß vor alten, grünen Waggons bis nach Oberwiesenthal gezuckelt, bzw. nach O'thal, wie die Einheimischen es nennen.

Motorrad steht vor Puppe auf Reifenstapel

In Kretscham-Rothensehma befindet sich seit 1916 eine kleine Nachbildung der Cheops-Pyramide. Das lesen wir jedoch erst viel später, so dass wir das erzgebirgische Cheopsteil nicht sehen. Auf Bildern sieht es nicht besonders spektakulär aus. Ein dreieckiger Steinhaufen eben. Also verschmerzbar. Das nächste Ortschild vermeldet: Neudorf. Aha, wir nähern uns der Räucherware. Keinem Tabak, wie man vermuten könnte, sondern den im Erzgebirge beliebten Räucherkerzchen. Die werden in Neudorf nämlich traditionsreich hergestellt.

Räuchermann steht im Schaufenster mit Tasse in der Hand

Schon seit 1930 formt man hier aus Holzkohle, Harz und Bindestoffen Räucherkerzchen. Raacherkarzln auf arzgebargsch. Jürgen Huss, der Inhaber der Neudorfer Karzlschmiede, treibt sein Gewerbe mit großem Einfallsreichtum und Humor. Seine kurzweiligen Zeichentrickfilme "Is Karzl", in denen der Protagonist "'s Karzl" witzige Dinge tut und dabei breitestes Arzgebargsch spricht ... Kult! Das "Is" hat übrigens nichts mit dem IS zu tun, sondern mit der erzgebirgischen Aussprache. Woanders sagt man statt das einfach's, aber im erzgebirgischen hört man eher eines oder is raus.

Jürgen Huss leitet bei Raacherkarzl-Kursen bastelfreudige Besucher zur Selbstherstellung an und erfindet immer neue Dinge, rund um die erzgebirgische Weihnachtstradition. Aber nicht nur um die. Auch die gute, alte "Bemmbix" aus Blech, die seit 1990 nicht mehr hergestellt wurde, hat er nun wieder aufgelegt. Applaus! Applaus! Ach, hier weiss nicht jeder, was eine Bemmbix ist? Na, ganz einfach: eine Bix fir de Bemmen, sorry, eine Büchse für die belegten Brote ...

Motorradfahrerin vor Herzlich Willkommen Schild in Crottendorf

Und weiter geht's. Ins nächste Räucherdorf, vermutlich dem bekannteren. Crottendorf. Dessen Räucherkerzen-Verpackungen noch aussehen wie vor dreißig Jahren. Oder vor fünfzig Jahren? Auf jeden Fall: der Jäger im grünen Jagdrock war vermutlich schon immer drauf. Woher der Ortsname Crottendorf stammt, ist nicht genau erwiesen.

Wir wundern uns nur etwas über die Schildkröte auf dem hölzernen Ortschild. Eine Schildkröte hier im Erzgebirge, diesem Kälteloch Deutschlands? Noch nie eine einzige gesehen... Eine der allesamt recht stichhaltigen Thesen, woher der Ortsname Crottendorf stammt, weist jedoch auf Schildkröten hin. Demzufolge: Er könnte von den vielen Kröten und Schildkröten herrühren, die die ersten Siedler hier vorfanden. (Trotzdem: Schildkröten im Erzgebirge... ich nehme einfach mal normale Kröten als Erklärung!) Die zweite ist, dass der fränkische Ritter von Crotten das Dorf gründete, wofür die fränkischen Gemeinsamkeiten sprachlicher und architektonischer Art sprächen. Aber auch der germanische Gott Crodo könnte auf die Namensgebung einen Einfluss gehabt haben.

Falls mal irgendeiner von einem "Weihrichkarzl" spricht: das ist ein Raacherkarzl in seiner traditionellsten Form. Das Verglimmmen von Räucherkerzen hängt geschichtlich eng mit dem Bergbau im Erzgebirge zusammen. Weihrauch war schon immer ein Bestandteil der traditionellen Räucherkerzen. Mit dem Weihrauch der Räucherware segnete man sich und das Werkzeug vor der Bergschicht – auf dass man dem Berg heil entsteige. Heute gibt es noch viele andere, mildere Sorten.

Hirtstein | Tanz auf dem Vulkan
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