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Die Knochenstampfe in Dorfchemnitz & die Quersackindianer

Drei Motorräder stehen vor Parplatzschild in Kühnhaide

Das mit den Orientierung im Erzgebirge ist eigentlich gar nicht schwer, kompliziert wird es erst, wenn man bei Einheimischen nach dem Weg fragt. Oder nachzufragen versucht. Denn dass man die Antwort versteht ist nicht gesichert.

Bayerisch ist es nicht, hochdeutsch ist es gleich gar nicht und in englisch kommunizieren zu wollen wäre ja nun irgendwie lächerlich, oder? Der erzgebirgische Dialekt ist schon sehr speziell. Im Sächsischen dürfte er der Dialekt sein, der die meisten Vokale in einen anderen umwandelt, die Endungen verschluckt und der dadurch für einen Auswärtigen extrem schwer verständlich ist.

Es kommt wie es kommen muss: wir fragen einen Einheimischen nach dem Weg. Das kann nur uns passieren: wir geraten an einen Hörgeschädigten, der sich große Mühe gibt, uns zu antworten. Auch wir geben uns große Mühe, ihn zu verstehen! Leider vergeblich. Ein Hähnchenverkäufer verlässt schließlich überaus hilfsbereit seinen auf einem Parkplatz abgestellten Verkaufswagen, um uns mit Händen und Füßen den Weg zu zeigen. Danke! Jetzt sehen wir durch.

Dingnei un dingnauf in dr Kiehaad
Landschaftsaufnahme im Erzgebirge

Wenig später gelangen wir dann wieder in einen kleinen Ort, haben hingegen dummerweise das Ortsschild übersehen und rätseln nun, wo wir uns befinden. Wir fragen einen Anwohner: "Sagen Sie, in welchem Ort sind wir hier?" "Nu, in dr Kiehaad ..." lautet die Antwort. Bitte??? Gut, wenn man weiss, dass "de Kiehaad" ins Hochdeutsche übersetzt "die Kühnhaide" heißt ... Notieren wir also: Der Ort heißt Kühnhaide. Zwei Orte weiter bezeichnet man Kühnhaide wiederum als Kieheed. Ach Arzgebarg, wie bist Du schie!

Namen und Begriffe wie "Rachts, Tholm, Zwäntz sowie Kiehaad" erleichtern das Fortkommen nicht gerade. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass das eigene Kombiniervermögen ausreicht, derartige Begriffe wie rachts in rechts, Tholm in Thalheim, Dorfchams in Dorfchemnitz, Zwäntz in Zwönitz und Kiehaad in Kühnhaide zu übersetzen. Als wir ein anderes Mal zwei alte Einwohner nach dem Weg fragen, antwortet der eine mit lebhafter Gestik: "Do fahrt'r dingnei bis zim Rodhaus un do giehts noch rachts..." Alles klar?

Ich, die Autorin dieser Zeilen, wuchs im Erzgebirge auf. Was auch erklärt, warum ich mich hier sauwohl fühle und mit jedem Menschen ganz gut verständigen kann. Den Dialekt flüssig zu sprechen fällt mir nach über 25jährigem Exil allerdings schon schwer. Vermutlich klingt es für die Einheimischen wie reinstes Hochdeutsch, wenn ich doch mal ein wenig ins "arzgebargsch" verfalle, aber verstehen geht natürlich immer. Je länger ich in der Region weile und vor allem je ausgiebiger ich mit Schulfreunden quatsche, desto schneller bin ich wieder im alten Singsang.

Jochen hat mit der Verständigung naturgemäss wesentlich mehr Probleme. Als gebürtiger Essener, der nach Augsburg "verzogen" wurde, ist für ihn das Erzgebirgische kein Dialekt, den er mal so ganz nebenbei verstehen lernt. Hingegen ist es ein Heidenspaß, wenn Jochen versucht, sich die erzgebirgischen Wörter anzueignen und vor allem auch zu sprechen. Natürlich gelingt es ihm nicht zur Gänze. Mit einer erzgebirgischen "Gusch" muss man geboren sein. Ganz Klasse ist es, wenn im Restaurant die Gerichte auf der Speisekarte in Dialekt geschrieben werden. Für den U'hiesschen könnte das auch eine tschechische Karte sein, so viel unverständliches Zeug steht da drauf.

Wo die knochen gestampft werden
Motorrad steht vor Eingang zur Knochenstampfe Dorfchemnitz
Hammerwerk in der Knochenstampfe

Heute ist ein technisches Denkmal unser Ziel: die "Knochenstampfe" in Dorfchemnitz, auf erzgebirgisch: Dorfkams. So wie Chemnitz schlichtweg Kams heißt. In einem Bauernhof mit fränkischen Rautenfachwerk (das sind sie wieder – die Zuwanderer in mittelalterlichen Zeiten) befindet sich eine betriebsfähige wasserradgetriebene Knochenstampfe. Schon zu DDR-Zeiten war diese als technisches Denkmal geschützt und als Ausflugsziel beliebt.

Als wir am Morgen an der Knochenstampfe aufschlagen, schließt Jürgen Zabel gerade eine alte Holztür am Ende des Gebäudes auf. Der Leiter des Heimatmuseums betritt einen Raum, in dem es funkelt, glitzert und strahlt. Neugierig folgen wir ihm. Was ist denn das? Königliche und kaiserliche Kronen, mit Edelsteinen besetzt und mit Hermelin verbrämt. Natürlich alles Repliken, aber es funkelt wie echt. Wir werden von einem Pressefotograf als die ersten Besucher abgelichtet und sollen in einer Wochenzeitung verewigt werden. Bis die erschien, waren wir wieder zu Hause. Keine Ahnung, was daraus geworden ist.

Sonderausstellung in der Knochenstampfe

Eigentlich ist ja noch gar nicht offen, erst am kommenden Wochenende wird die Ausstellung feierlich eröffnet. Derartige Sonderschauen stehen immer nur wenige Wochen, dann wird die nächste vorbereitet. Eine ganz besondere Ausstellung beschäftigte sich vor einiger Zeit mit dem Thema "Kultur, Brauchtum und Tradition rund um das verzierte (erotische) Ei".

Wer hätte gedacht, dass es Eier mit erotischen Motiven überhaupt gibt? Und die dann mit 1000 Exponaten für eine Ausstellung reichen? Wir haben Fotos von einigen Exponaten gesehen, die ein Gothaer Sammlerehepaar zusammentrug. Die gemalten oder modellierten Motive der Eier sind erotisch, anmutig, zweideutig, oft auch ziemlich eindeutig.

Zurück zur Knochenstampfe. Die erste Frage, die sich vielen Menschen angesichts der Knochenmühle stellt: Wozu braucht man zu Pulver gestampfte Knochen? Ganz einfach, das Knochenmehl wurde zum Düngen der Felder verwandt. Jeder, der Knochenabfälle hatte, trocknete sie und konnte sie an den "Mühlenbauern" zu einem geringen Entgeld verkaufen. Die Knochenstampfe in Dotrfchemnitz wurde im Jahre 1744 eingerichtet, das Gebäude selbst ist aber wesentlich älter und wurde schon vorher als Mühle benutzt. Die senkrechte Anordnung der "Stampfen" (oder wie auch immer das heißt) besteht erst seit der Zeit des 1. Weltkriegs. Bis 1954 wurde die "Knochenstampfe" als solches genutzt, verfiel aber nach dem Tod des letzten Besitzers zusehens.

Alte Werkzeuge in der Ausstellung der Knochenstampfe Dorfchemnitz
Sonstige Utensilien in der Knochenstampfe in Dorfchemnitz

Dem Gebäude angegliedert ist außerdem ein großer Backofen aus dem Jahre 1585. Dieser Steinbackofen war so dimensioniert, dass darin mindestens dreißig Brote gleichzeitig gebacken werden konnten. Der Backraum ist an die drei Meter tief, aber nur vierzig Zentimeter hoch. Wurde hier das ganze Dorf mit Brot versorgt?

Man stelle sich das mal vor: im Backraum gestapeltes Brennholz wurde angezündet. Der Rauch zog durch den quadratischen, vielleicht sechs Quadratmeter großen Vorraum. Diesen Nebeneffekt nutzte man findigerweise aus: Im übelst verqualmten Vorraum wurde gleichzeitig geräuchert! Die Wände sind glänzend schwarz vom Ruß und Fett.

Nachdem das Holz im Backraum restlos verbrannt war, kratzte man die Asche- und Glutreste heraus und säuberte den Backraum so gut es ging mit einem Reisigbesen. Die Ziegel hatten jetzt genug Hitze, dass man zwei Stunden später fertige Brote mit langen Brotschiebern "ernten" konnte. Nach den Broten reichte die Hitze immer noch, um einige Backbleche mit Kuchen oder anderem Backwerk in den Ofen zu schieben.

Das Erzgebirge hat viele wundersame Geschichten zu erzählen. Eine davon ist die des Rennwolfes. Er ist keine Spezies aus Fleisch und Blut, die irgendwann mal durch die dunklen Wälder gestromert ist. Es wäre angesichts des dichten Waldbestands zwar durchaus einleuchtend, auf ein Tier der Gattung Lupus zu schließen, aber falsch geraten! Rennwolf nannte man einen Schlitten einer ganz besonderen Bauart. Angeblich hat man ihn in Zwönitz erfunden und auch nur dort eingesetzt, aber warum sollen die Rennwölfe nicht auch in den Nachbargemeinden "gerannt" sein, wenn sie praktisch waren? Soweit bekannt, gibt es sie heute nur noch in einigen Heimatmuseen.

Der Rennwolf bestand aus einem großem Schlitten mit Rückengeländer, einem Gestänge zum Schieben und, was der Clou war, sehr langen, nach hinten hinausragenden Kufen. Vorn in den Teil mit Geländer setzte sich eine Person oder man stapelte Lasten hinein. Eine zweite Person schob den Schlitten. Lustig wurde es am Hang (aber nur hinunter) und im Erzgebirge ging es ja schon immer gescheit und viel bergab! Dann kamen die nach hinten hinausragenden Kufen zum Einsatz, auf die sich der Schieber einfach links und rechts darauf stellte... und huiiii, ab ging die Fuhre. (Welche Schufterei es hingegen bergauf war, kann sich jeder phantasievolle Mensch lebhaft vorstellen ...)

In dem Mittelgebirge hatte man schon immer eines im Winter mehr als genug: Minusgrade und Schnee. In meiner Kindheit und auch noch in den 1980ern benutzten wir in meiner Familie einen großen Schiebschlitten, jedoch ohne diese verlängerten Kufen. Einen Kinderwagen auf tief verschneiten Wegen durch die bergige Stadt zu schieben war ein Kraftakt und nicht das Mittel der Wahl, wenn es ein Baby oder Kleinkind zu befördern gab. So ein großer Schiebschlitten war somit eine große Erleichterung für den Einkauf mit Baby oder Kleinkind, das man in dicke Decken vorne reinpackte. Auf jeden Fall tausendmal besser als ein bockiger Kinderwagen.

Auch über die erzgebirgische Strumpfwirkertradition ist einiges in der Heimatausstellung zu erfahren. Und der "Uhies'sche" wird dort wohl auch zum ersten Mal von einem "Quersackindianer" hören.

Quersackindianer ?! Quer... sack ... was?

Quersackindianer - wo wurden die erzgebirgischen Strumpfwirker genannt, die das Ergebnis ihrer Arbeit in einem sogenannten Quersack, den sie über die Schulter warfen, zu ihren Verlegern brachten. Ein Zimmer des Heimatmuseums ist deshalb den Strumpfwirkern gewidmet. Wie dieses Handwerk ausgesehen hat, wird durch zahlreiches Strumpfwirker-Werkzeug und alltägliche Gebrauchsgegenstände in einer Strumpfwirker-Stube demonstriert.

Das Strumpfhandwerk hatte sich schon Anfang des 18. Jahrhunderts etabliert. An den mechanischen Handwirkstühlen arbeiteten tausende Männer und Frauen in reinen Familienbetrieben. In den Wohnhäusern gab es meist einen Raum, in dem die Strümpfe produziert wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts brach eine neue Ära an: englische Cottonmaschinen verdrängten nach und nach die mechanischen Wirkstühle.

Um 1900 schossen die Strumpffabriken in Thalheim und dem Zwönitztal, Auerbach, Thum und Zschopau wie Pilze aus dem Boden. Thalheim zählte allein im Jahr 1897 schon vierzig Fabrikanten. Mit dem Export nach Amerika fuhren die Fabrikanten hohe Gewinne ein, mussten aber auch nach 1906 harte Rückschläge einstecken, als die englische Ware die deutsche vom Markt verdrängte.

Noch heute zeugen in den erwähnten Orten die alten Fabriken von diesem Industriezweig. In einigen Orten (Thalheim, Auerbach, Dorfchemnitz) entstanden wahre Strumpfpaläste, die nach 1945 zum "Strumpfkombinat ESDA" zusammengefasst wurden. Nach der Wende arbeitet allerdings nur noch ein winziger Bruchteil der Belegschaft an den erzgebirgischen Strumpfwaren. Das ESDA-Kombinat ging 1990 in Konkurs und im gesamtdeutschen Markt hatten nur kleinere, den Privateigentümern zurückübereigneten Firmen Bestand.

Große, prunkvolle Villen zeugen vom Reichtum der einstigen Fabrikanten. In Thalheim wird eine einstige Fabrikantenvilla zum Beispiel als Ärztehaus und eine andere wunderschöne Villa als Sprachheilklinik genutzt und das schon seit DDR-Zeiten. In den Peripherien der Kleinstädte sieht man auch die Kehrseite der Medaille, die ehemaligen Fabriken. Die Fenster blind oder eingeworfen, verfallen die Gebäude als mahnender Schandfleck im Ortsbild. Abriss ist wohl zu teuer.

Weihnachtsberg in Dorfchemnitz/Erzgebirge

Das "Weihnachtsbergzimmer" beinhaltet ein mechanisches Kleinod der Bastel- und Schnitzkunst der Erzgebirger: wie schon der Name sagt – einen Weihnachtsberg. Auf einer Fläche von 2,5 x 1,5 Metern ist eine Miniatur-Landschaft aufgebaut. In dieser wird mit geschnitzten, beweglichen Figuren in einer genauen zeitlichen Abfolge die Weihnachtsgeschichte dargestellt.

Man darf sich den Weihnachtsberg nicht so vorstellen, dass es da an allen Enden rappelt und zappelt, sondern es bewegt sich immer nur eine Figur oder eine Figurengruppe. Dadurch läuft die Weihnachtsgeschichte wie ein animierter Puppentrickfilm vor dem Besucher ab.

Detailaufnahme vom Weihnachtsberg in Dorfchemnitz

Absolut verblüffend ist dabei die Mechanik: Mit Gewichten wie bei einem Uhrwerk wird der Geschichte Leben eingehaucht. Das muss man gesehen haben. Unter der Grundplatte des Weihnachtsberges versteckt sich eine ausgeklügelte Mechanik. Normalerweise ist sie nicht sichtbar. Sehr eindrucksvoll sieht man dieses Gestänge- und Zahnradgewirr bei dem Weihnachtsberg, der sich in Brünlos in privatem Besitz befindet (später mehr dazu), dort hat man den Antrieb aus Demonstrationszwecken nicht verbaut. Leider ist die Anzahl historischer Weihnachtsberge, die heute noch existieren, sehr überschaubar.

Jeder Weihnachtsbergbastler hatte anscheinend eine Freude daran, im Weihnachtsberg ein Detail zu verstecken, das absolut nicht zu der Geschichte passt – hier in Dorfchemnitz sind es Zwerge in einer Höhle. Wir besichtigten noch einen anderen, in Privatbesitz befindlichen Weihnachtsberg in Brünlos, bei dem taucht das artfremde Detail in Gestalt eines Bergwerks auf. Der Weihnachtsberg war früher für den Bastler vermutlich so etwas wie es die Modelleisenbahn für die heutige Generation ist. Da noch was hingeklebt und da noch ein Männchen geschnitzt – ein Ende war vermutlich nie abzusehen.

Weihnachtsberg Brünlos
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