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Motorradtouren Slowenien Partisanenkrankenhaus Franja

Unfassbar: Partisanenkrankenhaus Franja

Alte Holzbaracken vom Partisanenlazarett Franja ineinander verschachtelt, versteckt in tiefer Schlucht, in dem ganz geheim Verletzte gepflegt wurden

Am nächsten Tag steht der Besuch eines geschichtsträchtigen Ortes auf dem Programm, wie wir ihn noch auf keiner unserer Touren sahen. Ein provisorisches, geheimes Krankenhaus, das sich in einer Schlucht über einem Gebirgsbach an die Felsen klammert und von dem militärischen Gegnern in der Zeit seines Bestehens nie entdeckt wurde.

Weil es keinen alternativen Weg aus der Umklammerung des Triglav-Hufeisens gibt, erklimmen wir also wieder den Bohinjsko Sedlo, um in Petrovo Brdo dieses Mal in Richtung Süden, hinunter in das wunderbar wellige Tal zu fahren. Es geht auf einer zweispurigen Straße mit verblassenden Markierungen und sehr dünnem Gegenverkehr durch endlos scheinende Fichten- und Mischwälder.

Landschaft mit Straße, weitläufiges Hochplateau

Die Landstraße Nr. 403 verläuft direkt neben der munter dahinfließenden Selška Sora und lässt sich zügig fahren. Nach einiger Zeit täte uns jetzt ein wenig Abwechslung gut, wir freuen uns immer, gelegentlich auch ein paar kleinere Straßen unter die Gummis zu bekommen. Da ist ein unscheinbarer Abzweig, den nehmen wir! Auf einer schmalen Straße winden wir uns mit bis zu 15% Steigung hinauf auf ein weitläufiges Hochplateau mit verstreuten Gehöften. Witzige Landschaft, die Häuser sind oft hunderte Meter auseinander gelegen. Die Streusiedlung ist in die Karte als Davca eingezeichnet (gesprochen Dautscha, wie uns unsere Herbergsmutter lehrt) und man sagt, es wäre das längste Dorf Sloweniens. Laut Karte dehnt sich die Streusiedlung mindestens zehn Kilometer in jede Himmelsrichtung. Hügelige Weiden gehen in Wälder über. Wir schwingen uns auf einspurigen Straßen zwischen einzelnen Anwesen hinüber bis zum nächsten Hügel. Hier hat man ein Gefühl der Entschleunigung, die Zeit scheint stehen zu bleiben. Nicht, weil alles so unmodern wäre, nein, eher, weil man das Gefühl hat, die Hektik und Geschäftigkeit der heutigen Zeit könne nicht bis in diese Region vordringen.

Im Winter tanzt der Eisbär
Auf dem Hochplateau mit Häusern im Hintergrund vor Bergkette

Im Winter ist die abgelegene Region vermutlich nicht leicht zu erreichen, die Micky-Maus-Straßen werden bei Schneefall wohl nur mit Schneeketten zu bezwingen sein. Oben wartet eine grüne Liftanlage auf den mit Sicherheit einsetzenden Trubel im Winter. „Ski Resort Cerkno Brdo“ steht auf unserer Karte. Google Street View kennt hier zig Wege. Wer den gelben „Pegman“ in Google Maps auf diesen Ort zieht, dem eröffnet sich die Möglichkeit, mit einem Skimobil digital über die schneeweißen Pisten zu düsen.

Ruhig und malerisch erscheint uns diese Region jetzt im Frühsommer. Wir treffen nur wenige Menschen, die wie wir unterwegs sind. Für die Bewohner muss es anstrengend sein, jedesmal zig Kilometer fahren zu müssen, um einen Arzt zu besuchen oder einzukaufen. Vom Tanken ganz zu schweigen. Apropos Tanken – unser Spritfass sollte langsam mal wieder eine Füllung bekommen, aber hier oben werden wir gewiss nicht fündig. Der Straßenbelag geht von Asphalt in Makadambelag über, was in Slowenien nicht ungewöhnlich ist. Hier entlang, sagt „Steffi“, unser Navi. Jedoch bremst uns ein Sperrschild aus. Also retour. Und runter in bewohntere Gebiete und eine Tankstelle suchen. Wir zweigen auf die Landstraße Nr. 912 ab, wo die Davča in die Selška Sora mündet. Die Davča hat sich eine enge Schlucht in den Fels gegraben, durch die sich unsere Straße ebenso zwängt. Auf der 912 cruisen wir gemütlich in tiefere Gebiete, weiter hinunter ins Cerknica-Tal, die bis zu 1630 Meter hohen Berge des Crni vrh hinter uns lassend. Im Tal werden die Straßen wieder ein wenig breiter und der Verkehr ein klein wenig dichter, aber wirklich nur ein klein wenig.

Lagekarte mit Beschilderung des geheimen Partisanenkrankenhauses Franja.

Unser Ziel liegt etwa drei Kilometer entfernt von Cerkno oberhalb von Dolenji Novaki. Es ist das geheime Partisanenlazarett Franja. Das war ein unglaubliches, humanitäres Unterfangen des Widerstands, in den letzten zwei Kriegsjahren des zweiten Weltkrieges verletzte Partisanen und auch Verletzte der Gegenseite versteckt vor den militärischen Gegnern gesund zu pflegen. Unglaublich deswegen, weil das Krankenhaus aus dreizehn zwischen die Felsen geklemmten Holzbaracken bestand und etwa einen Kilometer tief in der Pasica-Klamm steckte, die von einem reißenden Gebirgsbach fast unzugänglich gemacht wurde.

Treppenstufen, Geländer, befestigte Wege durch die Klamm

Auf dem Parkplatz unweit der Schlucht parken wir an einem verlassenen Restaurant, dem einzigen Gebäude hier. Vor diesem Betongebäude in typischer asymmetrischer Bauweise der 70er/80er Jahre steht heute ein Wohnwagenimbiss, der gekühlte Getränke und Snacks offeriert. Hier wechseln wir die Motorrad- gegen Wanderklamotten. Vor uns liegt eine kurze Wanderung schluchtaufwärts von etwa einem Kilometer Länge. Der Weg wird gesäumt von zahlreichen Schautafeln, die unter anderem Zitate und Berichte von Verletzten sowie Krankenpflegern enthalten, die die Geschehnisse und Umstände schildern. Heute können wir den Weg zu den Baracken bequem auf Wegen, Planken und fest installierten Treppen zurücklegen. Und es sind einige! Es ist fast dekadent, wie leichtfüßig wir heute in die Klamm gelangen, in Anbetracht der Umstände, wie in Kriegszeiten verletzte Menschen unter unmenschlichen Bedingungen hinaufgeschleppt werden mussten.

Höchste Geheimhaltung
Holzbaracken, in Schlucht, als Krankenlager für Partisanen

Es ist kalt und zugig. Zu Kriegszeiten wurden den Verletzten bei Übernahme die Augen verbunden – schließlich sollten sie später nicht berichten können, wo sie waren – und dann von mehreren Pflegern durch den reißenden und eiskalten Bach (!) die Schlucht hinaufgeschleppt. Kann man sich das vorstellen?! Nein. Sicher gab es ein paar provisorische Treppen, aber selbst mit den heutigen Stufen ist kaum vorstellbar, einen erwachsenen Mann da hoch zu transportieren. Das Krankenhaus wurde nach der leitenden Oberärztin Dr. Franja Bojc Bidovec benannt.

Holzstockbetten, für die Verwundeten

Die Felsen um das Krankenhaus und das Gelände am Fuss der Schlucht war zum Schutz gegen feindliches Militär vermint und aus kleinen Bunkern im Fels überwachte man den Schluchtanfang.

Im Schutz der Dunkelheit hatte man so nach und nach Material für die Hütten und die Betten, Operationsmaterial, Untersuchungsstühle, ja sogar ein Röntgengerät nach oben geschleppt. Am Ende der Schlucht konstruierte man auch ein über eine wackelige Holzplanke erreichbares „Elektrizitätswerk“, das aus Wasserkraft Strom generierte.

Holzbaracke, die als E-Werk diente. Schmale Holzplanken als Zugang, ohne Geländer

Die Einheimischen der umliegenden Ortschaften im Tal wussten von der Einrichtung und versorgten sie mit Lebensmitteln und allem, was sonst noch gebraucht wurde. Von Dezember 1943 bis Mai 1945 wurden insgesamt um die 600 Verwundete vieler Nationen in den Baracken untersucht, gepflegt, operiert und versorgt. Es gab sogar eine Krankenhauszeitschrift, die in einer Partisanendruckerei auf's Papier gebracht wurde. Auch diese ist tief im Wald versteckt, allerdings einige Kilometer entfernt, und kann auch besucht und die nach wie vor funktionierende Druckmaschine bestaunt werden. 2007 wurde das Partisanenkrankenhaus während einer Flutkatastrophe schwer beschädigt. Jedoch waren schon früher erstellte Pläne vorhanden, anhand dessen man die Anlage originalgetreu wieder rekonstruieren konnte. Ein sehr beeindruckender Ort.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Immer am vorletzten Juni-Wochenende steigt das feucht-fröhliche Motorrad-Event auf einer abgeschiedenen Festwiese nahe Cerkno. Das war letztes Wochenende. Einige hundert Biker aus allen Teilen Sloweniens und Österreichs reisen an. Es gibt gemeinsame Ausfahrten, Live-Musik und moderierte Animationen. Ausländische Gäste seien herzlich willkommen. Ach, wäre es uns etwas eher zu Ohren gekommen, wir hätten dem Motorrad-Klub einen Besuch abgestattet. Also vormerken: drittes Juni-Wochenende!

Mostnica-Klamm
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