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Znojmo | Stadt mit tiefen, tiefen Kellern

Im Vordergrund der Fluss, dahinter weit oben die Altstadt von Znojmo

So, jetzt müssen wir uns aber schicken, damit wir die verabredete Zeit für die Übergabe des Appartements in Znojmo (Znaim) einhalten. Kaum eingezogen, beginnt es zu regnen. Wir wohnen in einer ruhigen Straße am Fluss Diye, den man in Österreich unter dem Namen Thaya kennt. Das Thayatal erstreckt sich westlich von hier bis Vranov nad Dyjí (Frain). Die Diye ist über Nacht ziemlich angeschwollen und hat einige Fahrt aufgenommen, da es in den vergangenen Tagen immer wieder kräftig geregnet hat.

Unten der Fluss Diye und oben die Stadt Znojmo - und in der Mitte drin im ehemaligen Wasserwerk das Motor-Museum.

Als der Regen etwas nachlässt, erklimmen wir zu Fuß auf steilen Treppenaufgängen den hoch aufragenden Felshang, auf dem die Stadt thront. Nichts los hier, bei dem Wetter kein Wunder. Die kopfsteingepflasterten Straßen sind verlassen. Nur zwei junge Kerle bewegen sich zielstrebig in Richtung Brauerei und verschwinden im Restaurant. Wir kraxeln wieder hinunter.

Stadt mit tiefen, tiefen Kellern

Unsere Entscheidung, nicht wie geplant mit dem Motorrad, sondern mit dem Auto nach Mähren zu fahren, erweist sich vom Wetter her als sehr weise. Nichtsdestotrotz sind wir auch immer wieder betrübt, denn hier gäbe es einige supernette, kurvige Straßen zu fahren. Es ist Mai und dieses Jahr will es einfach nicht Frühjahr werden. Immer noch pendeln die Temperaturen zwischen einstellige und knapp zweistellig. Zudem ist es meist heftig windig, wenn uns Petrus nicht gerade sogar flüssige Sonne spendiert. Das haben wir in den vergangenen Jahren im Mai auch schon anders erlebt, denn bevorzugte Monate für unsere Tschechien-Touren waren immer Mai und Juni.

Eine überaus steile Straße führt hinauf in den Ortskern von Znojmo. Wer nicht fahren möchte, kann auch einen von zwei Treppenwegen nehmen.
Da hinauf möchten wir, um in den Untergrund hinunter zu steigen.

Am Morgen werden wir von geschäftigen Gezwitscher wach. Neben dem Fluss schießen Mehlschwalben in abenteuerlichen Sturzflügen Insekten jagend über die Wiese, um sich kurz darauf im ersten Stock aufgereiht auf die Fensterbänke zu setzen oder sich ganz verwegen in den Putz der Hausfassade zu krallen. Denen ist es zu kalt! Sie wärmen sich unter dem über den Fenstern befindlichen Dachvorsprung und flüchten vor dem Regen. Die 12°C am Morgen sind auch für uns nicht gerade Wohlfühltemperatur. Aber so ist unsere Akklimatisierung ein Klacks, wenn wir heute nachmittag in die Stollen des Untergrunds von Znojmo hinabsteigen. Besonders kuschelig ist es in derartigen Stollen und Kellern ja nun beileibe nie. Da waren wir in den letzten Jahren das eine oder andere Mal ganz froh derartige Höhlenbesuche in Motorradkleidung absolvieren zu können.

Bei Čížov stehen wir unter dem markanten, 1951 gebauten Wachturm, der ein Auge auf eine wehrhafte Zaunstrecke mit verrostetem Stacheldraht wirft. Das einzige erhaltene Relikt des Eisernen Vorhangs.

Zuvor besuchen wir aber noch ein Relikt des Eisernen Vorhangs. Fünfzehn Kilometer westlich von Znojmo erreichen wir das Örtchen Čížov (Zaisa), Dieses befindet sich unweit der Verbindungsstraße Vranov – Znojmo. Außerhalb des Ortes parken wir, weiter geht’s zu Fuß, denn das Dorf ist für den allgemeinen Verkehr gesperrt.

Am Ortseingang verkauft ein Anwohner laut Werbeaufsteller in seiner Garage Kaffee, Wein, Bier und Snacks. Doch er selbst ist nicht zu sehen, vermutlich wird er mittels Bewegungsmelder alarmiert und kommt aus seinem gegenüberliegenden Wohnhaus gesprintet, sobald sich ein potentieller Kunde dem Nebengelass nähert. In der Ortsmitte macht eine Hospoda einen sehr verschlossenen und verlassenen Eindruck, scheint aber ansonsten eine großzügiges Haus für mehrere Personen sowie im Gelände ausreichend Platz für Camper und Zelte anzubieten. Ein kleines gelbes Kirchlein am Straßenrand ist verschlossen. Čížov ist offensichtlich ein Dörfchen, in dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, jedenfalls unter der Woche und Mitte Mai. Wir sind die einzigen Besucher, die Insassen der zwei anderen Fahrzeuge auf dem Parkplatz sind offensichtlich schon weitergezogen.

Das Besucherzentrum des Nationalparks Podyjí ist im ehemaligen Zollhaus untergebracht, dem letzten Haus von Čížov, es wird von einem Bunker flankiert. Der Nationalpark ist das tschechische Pendant des gegenüberliegenden, österreichischen Nationalparks Thayatal und erstreckt sich etwa vierzig Kilometer entlang der Thaya. Hier sehen wir ihn dann: den markanten, 1951 gebauten Wachturm, der ein Auge auf eine wehrhafte Zaunstrecke mit verrostetem Stacheldraht wirft. Diese Grenzanlage des Eisernen Vorhangs ist die letzte noch erhaltene im Land. Schade, dass so wenige Mahnmale dieser bedrückenden Epoche erhalten blieben. Wir halten uns jedoch nicht sehr lange auf, denn der Untergrund Znojmos ruft.

Znojmo liegt auf einem Felsvorsprung hoch über der Diye. Wir erklimmen den Fels auf einem Wander- und Treppenweg, der alternativ zur überaus steilen Straße angelegt wurde. Nichts für Fußlahme, aber für uns eine willkommene kleine Wanderung, um die 33.000-Einwohner-Stadt über unseren Köpfen zu erreichen. Gestern abend haben wir einen der zwei Wege hinauf schon einmal getestet und dort auf der nassen Treppensteige den dicksten Feuersalamander ever gesehen. Entweder war der schwanger oder Salamander haben in Znojmo ein echt fettes Auskommen.

St. Nikolaus-Kirche von Znojmo

Im 11. Jahrhundert entstand auf dem Felsen eine Burg und im Umland ließen sich daraufhin deutschsprachige Siedler nieder. Ab dem 14. Jahrhundert wurde Wein angebaut – noch heute prägen die ausgedehnten Weinberge das Landschaftsbild. 1918 war Znojmo sogar Hauptstadt eines Kleinstaates namens „Deutsch-Südmähren“. Doch nur drei Monate lang, dann wurde die Stadt der neugegründeten „Tschechoslowakei“ einverleibt.

Weitverzweigte Katakomben

Die Stadt Znojmo ist etwa viermal so groß wie Mikulov. Am ehemaligen Geflügelmarkt befindet sich der Eingang zum „Znaimer Untergrund“ (tschech. Znojmo podzemí), wo wir jetzt zwei Tickets für eine Führung erstehen. Die Zeit bis zur Führung überbrücken wir in einem Café, da gibt’s Gold am Tassenrand und obendrauf mächtig was für's Hüftgold.

Vor allem die Regionen am Rand des Felses mit Blick auf die Thaya und die St-Nikolaus-Kirche sind einen Besuch wert. Und wenn dann noch die Sonne rauskommt ...

Diese Katakomben sind Stollengänge, die sich zusammengenommen über dreißig Kilometer erstrecken und bis zu vier Stockwerke tief hinunter gehen. Die verschachtelten, vermutlich immer weiter aus- und umgebauten Gänge, sind im 14. und 15. Jahrhundert gegraben worden und dienten als Lager- und Schutzräume. Ihre Existenz war lange Zeit gar nicht mehr bekannt. In den 1960er Jahren brach dann ein Fuhrwerk mit Pferden in ein sich jäh auftuendes Loch ein. Huch. Auch Häuser sackten ab, weswegen man eiligst begann, die Stollen mit Beton zu stabilisieren.

Es wird eine Standardroute durch die Katakomben angeboten sowie drei verschiedene, sogenannte Adrenalinrouten. Im Hof vor dem Abgang kann man sich probeweise durch drei stählerne Formen quetschen. Sie verdeutlichen, welche Stollenhöhe und -breite bei den Adrenalinführungen begangen, gekrochen und gemeistert werden müssen. Die letzte Passform (das ist das beste Wort dafür) ist in etwa so hoch und breit wie ein Koffer. Alles klar – dieses Mal gibt’s nur die Tour für Schisshasen und keine Adventuretour wie vor einigen Jahren im polnischen Eulengebirge bei der Führung durch das unterirdische Nazibauwerk „Projekt Riese“. Da hatte sich der Führer im Boot davon gemacht, es gab keinerlei Beleuchtung in den Stollen und wir waren froh, wasserdichte Motorradstiefel an den Füßen zu haben – sowie ein weiteres Besucherpaar mit einer Handytaschenlampe an unserer Seite.

Im Untergrund Znojmos müssen großgewachsene Besucher wie wir auf ihre Köpfe gut achtgeben. Gelegentlich sind Schmerzensrufe zu hören.

Aber hier in Znojmo ist es entspannter. Eine Stunde lang wandern wir durch zahlreiche Gänge, geführt von einem einheimischen Mitarbeiter. Die einzige Gefahr: Großgewachsene Besucher wie wir müssen auf ihre Köpfe gut achtgeben. Gelegentlich sind Schmerzensrufe zu hören. Da tut schon eine Baseballkappe gute Dienste. Durch die Audioguides in Deutsch sind wir immer bestens informiert. In einem Labyrinth am Ende des Rundgangs erhält die Gruppe von zwanzig Besuchern vom zurückbleibenden Führer die Aufgabe, eine Zeitlang sogar ohne Licht, wieder herauszufinden. Wir schaffen es alle. Glauben wir jedenfalls. Der Guide zählt dummerweise beim Hinausgehen keine Besucher, da er meint, ein Besucherschwund von 10% sei allemal akzeptabel.

Es riecht wie bei Großvater in der Werkstatt
Motor-Museum: Hier wird alles was mit Motoren zu tun hat erst liebevoll restauriert und schließlich mit viel Humor präsentiert.

Unten am Fluss, im alten Wasserwerk von 1878, geht es nach wie vor um Kräfteübertragung und -umwandlung, jedoch nicht wie in der ursprünglichen Nutzung des Gebäudes. Heute wird in den Gemäuern kein Wasser mehr zu Energie verwandelt: hier steckt der passionierte Sammler Jan Drozd viel Energie in seine Leidenschaft und stellt seine liebevoll und vor allem eigenhändig reparierten und restauriertem Exponate aus. In den alten Räumen des “Muzeum motorizmu“ (Museum des Automobils) riecht es bodenständig nach Öl und Benzin, einem Geruch, der die Herzen von Schraubern, Bastlern und Kennern von Motoren schneller schlagen lässt.

Motor-Museum: Hier wird alles was mit Motoren zu tun hat erst liebevoll restauriert und schließlich mit viel Humor präsentiert.

Man wähnt sich olfaktorisch bei Großvater in der Werkstatt. Hauptberuflich führt Jan Drozd eine kleine Schlosserfirma. Seine Freizeit verbringt er mit der Wiederherstellung von Dingen, die einen Motor in sich tragen: Motorräder, Autos, Traktoren, Stallmotoren, Fahrräder, sogar alte Tankstellenanlagen. Natürlich sind überall noch eine Unmenge andere Dinge ausgestellt, die mit dem Betrieb von Motoren zu tun haben. Und auf dem Dach steht, wie kann es anders sein, ein Flugzeug. Wer seine Blicke gegenüber der Straße den Fels hinaufgleiten lässt, wird in schwindliger Höhe auf dem Felsen einen waghalsigen Kamikaze-Fahrradfahrer finden.

Ein Motormuseum, in dem Erwachsene mit Humor und auch Kinder ihren Spaß haben.

Zu sehen sind einige sehr seltene Schätzchen. Zum Beispiel eines der noch zwei existierenden Autos mit dem Namen Praga Charon. Es wurden nur fünfundzwanzig Stück produziert, eines befindet sich hier und ein zweites im Museum in Prag. Die Ausstellungsstücke sind mit zahlreichen Accessoires und Puppen phantasie- und vor allem augenzwinkernd in Geschichten eingebaut. Ein Motormuseum, in dem Erwachsene mit Humor und auch Kinder ihren Spaß haben.

Ein Skelett auf dem Fahrrad - oh Mann, hat der Arme den Berg nach Znojmo nicht hochgeschafft und ist unten verhungert?

Unser letzter Abend in Mähren ist angebrochen. Wir schlendern durch die Stadt. Einfach mal ohne Ziel, ohne Aufgabe, nichts tun. Hört sich einfach an, aber einfach ist das nicht. Nicht in unserer Leistungsgesellschaft und nicht, wenn man so wie wir drüber schreiben und das Ganze mit netten Fotos garnieren möchte. Nichts ist schwerer als der Müßiggang. Doch das Weinland in Südmähren bzw. die Stadt Znojmo hat uns die passende Kulisse und das passende Getränk dafür bereitgestellt. Nach der Besichtigung von klassischen Sehenswürdigkeiten wie der Znaimer Burg und der Rotunde steht uns nicht mehr der Sinn. Nur noch genießen.

Tausche Kronen gegen Grauburgunder

Wir tauschen unsere fast letzten tschechischen Kronen auf der Aussichtsterrasse zwischen Burg und Rotunde in zwei Gläser Grauburgunder ein. Die Wolken weichen der Sonne. An einem Kiosk schenkt die Brauerei Getränke aus und je mehr die Sonne das Regime übernimmt, desto mehr Znaimer Einwohner schlendern zur Terrasse und der Mauer, von der aus man einen grandiosen Blick auf die Diye und die St.-Nikolaus-Kirche hat, die auf dem Felsen der Burg gegenüber thront. Einige Instagram-Junkies sind auch unterwegs. Man erkennt sie an den Verrenkungen, die sie mit Glas und Selfiestick vor der Mauer machen. Und am Gesichtsausdruck. Schließlich tauschen wir unsere wirklich letzten Kronen gegen zwei weitere Gläser Grauburgunder und genießen die untergehende Sonne.

Bacchus wird nun hoffentlich dafür sorgen, dass wir nach so viel Müßiggang und vor allem köstlichen Grauburgunder heile über den Treppenweg in unsere Ferienwohnung hinunter kommen.

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